Massaker am Wahltag Parlamentswahl in Algerien
30.05.2002, 00:01 UhrDie erste Parlamentswahl in Algerien seit mehr als zehn Jahren ist von gewaltsamen Protesten und Boykottaufrufen überschattet worden. Wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale wurden bei einem Massaker erneut 23 Bewohner eines Dorfes getötet. Das rund 200 Kilometer westlich der Hauptstadt Algier gelegene Dorf sei in der Nacht von Extremisten überfallen worden, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur APS.
In der Stadt Tizi-Ouzou in der Kabylei kam es zu Ausschreitungen, als junge Berber vor Wahllokalen Reifen in Brand setzten und die Sicherheitskräfte mit Steinen bewarfen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Berichte über Verletzte lagen zunächst nicht vor. In der Kabylei, der Hochburg der Berber-Bevölkerung, hatten oppositionelle Parteien zum Wahlboykott aufgerufen.
Bis zum Abend zeichnete sich nur ein geringes Interesse der Bevölkerung ab. Nur rund 38 Prozent der 18 Millionen Wähler waren bis dahin an die Urnen gegangen. In der Berber-Region Kabylei betrugt die Wahlbeteiligung nach einem Boykottaufruf von Oppositionsparteien sogar nur bei knapp 2,4 Prozent. Die Berber befolgten seit Dienstag aus Protest gegen die Wahlen einen Generalstreik.
Aus grundlegender Opposition zum Regime in Algier hatten die beiden größten Parteien der Berber im Atlasgebirge, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) und die Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie (RCD), ihre Anhänger zum Boykott der Wahl und zu Streiks aufgerufen.
Nach Umfragen dürfte die bisherige Regierungsmehrheit in ihrem Amt bestätigt werden. Mit einem Ergebnis wird erst am Freitag gerechnet. Ein massiver Boykott würde die Legitimität der zweiten Mehrparteien-Wahlen seit Beginn des Ausnahmezustands 1992 in Frage stellen.
Die Regierung hofft, mit der Wahl am Donnerstag die Demokratie stabilisieren und Ruhe in das Land bringen zu können. Um die 380 Sitze in der Abgeordnetenkammer bewerben sich Kandidaten von 23 Parteien.
Seit der letzten Parlamentswahl starben rund 100.000 bis 150.000 Menschen im algerischen Bürgerkrieg. Die derzeitigen Wahlen sind vor allem ein Stimmungstest für Präsident Abdelaziz Bouteflika, der seit 1999 an der Macht ist. Ein massiver Wahlboykott würde die Legitimität der Wahl in Frage stellen.
Die letzte Parlamentswahl in Algerien vor mehr als zehn Jahren war wegen des drohenden Sieges der fundamentalistischen Islamischen Heilsfront (FIS) abgebrochen worden. Seitdem hat ein blutiger Bürgerkrieg zwischen 100.000 und 150.000 Menschen das Leben gekostet.
Quelle: ntv.de