Politik

Chen: Ich bin in ernster Gefahr" Peking stellt Ausreise in Aussicht

Wachposten bei dem Tor zum Krankenhaus, in dem sich Chen zurzeit aufhält.

Wachposten bei dem Tor zum Krankenhaus, in dem sich Chen zurzeit aufhält.

(Foto: AP)

Peking lenkt im Fall des chinesischen Dissidenten Chen möglicherweise ein. Der 40-Jährige könne "in Übereinstimmung mit den Gesetzen bei den zuständigen Behörden" einen Ausreiseantrag stellen, heißt es im Außenministerium. Chen fürchtet offenbar um sein Leben. Per Handy schaltet er sich in eine Sitzung des US-Kongresses ein.

In die diplomatische Krise um den blinden chinesischen Bürgerrechtler Chen Guangcheng kommt Bewegung. Die chinesische Regierung stellt diesem nun eine mögliche Ausreise zum Studium in Aussicht. Wenn Chen im Ausland studieren wolle, könne er "wie die anderen chinesischen Bürger" einen Antrag bei den zuständigen Behörden stellen, hieß es in einer im Internet veröffentlichten Erklärung des chinesischen Außenministeriums. Der Bürgerrechtler, der am 22. April aus dem ihm auferlegten Hausarrest geflohen und zunächst in der US-Botschaft Zuflucht gefunden hatte, hat nach Angaben eines Unterstützers eine Einladung einer New Yorker Universität.

Chen mit seiner Familie im Krankenhaus in Peking.

Chen mit seiner Familie im Krankenhaus in Peking.

(Foto: dpa)

Noch ist allerdings unklar, ob Chen dann tatsächlich auch eine Erlaubnis zur Ausreise bekommt. Der New Yorker Jura-Professor und Experte für chinesisches Recht, Jerome A. Cohen, hält eine Ausreisegenehmigung für möglich. Der "New York Times" sagte Cohen, der auch Chen berät, dass Peking dann ohne Gesichtsverlust Chen wie tausenden anderen Studenten ein Studium im Ausland gestatten könne.

Chen hatte sich noch kurz zuvor besorgt um seine Sicherheit geäußert und um Hilfe gebeten. "Ich bin in ernster Gefahr", sagte der blinde Dissident am Telefon mehreren Nachrichtenagenturen. Er habe das Gefühl, dass die ganze Familie völlig ungeschützt sei.

Seitdem er die US-Botschaft vor zwei Tagen verlassen habe, versuchten US-amerikanische Diplomaten vergeblich, persönlich mit ihm in Kontakt zu treten. Sie würden aber nicht in das Chaoyang-Hospital gelassen, in dem er sich zurzeit aufhält. Im Krankenhaus seien viele Wachen und riegelten ihn und seine Familie ab. Der 40-Jährige wirkte in dem kurzen Gespräch aufgeregt und verängstigt. Er bekräftigte seinen Wunsch, in die USA auszureisen. Er wolle aber nicht Asyl beantragen, sondern nur studieren.

Polizisten schirmen das Krankenhaus ab.

Polizisten schirmen das Krankenhaus ab.

(Foto: AP)

Chen wurde auch per Handy aus dem Krankenhaus in die Sitzung im Washingtoner Kapitol zugeschaltet. Er erklärte den Kongressangehörigen, er wolle Clinton in Peking treffen. "Ich hoffe, von ihr mehr Hilfe zu bekommen. Ich möchte ihr zudem persönlich danken."

Der blinde Bürgerrechtler bekräftigte seinen Wunsch, in die USA reisen zu wollen. "Ich möchte in die USA kommen, um mich ausruhen zu können", sagte Chen in dem live im Fernsehen übertragenen Telefonat. Dies habe er zehn Jahre nicht tun können. Chinas Regierung habe ihm für das Verlassen der US-Botschaft zugesagt, dass seine Bürgerrechte und Freiheit geschützt würden, sagte Chen. Dazu gehöre auch das Recht, ins Ausland zu reisen.

Unterstützer werden drangsaliert

Am meisten sorge er sich derzeit um die Sicherheit seiner Mutter und seiner Brüder, so Chen. Er wolle wissen, wie es ihnen gehe. Auch mache er sich Sorgen um all die Menschen, die ihm bei Flucht geholfen hätten.

Wie Anhänger und Verwandte Chens erklärten, wurden zwei Unterstützer von Beamten geschlagen, nachdem sie sich vor dem Krankenhaus versammelt hatten. Der Menschenrechtsanwalt Jiang Tianyong wurde nach Angaben seiner Frau so schwer verletzt, dass er fast taub sei. Seit Chens spektakulärer Flucht aus dem Hausarrest wurden bereits mehrere seiner Unterstützer festgenommen, darunter sein Bruder sowie eine Fluchthelferin.

Der Fall Chen überschattet den derzeit in Peking stattfindenden Strategie- und Wirtschaftsdialog mit den USA. Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao forderte US-Außenministerin Hillary Clinton auf, die Unterschiede zwischen beiden Ländern zu respektieren.

Chen: Massiver Druck auf Familie

Der Bürgerrechtler hatte sich Ende April aus dem Hausarrest in die US-Botschaft in Peking . Am Mittwoch verließ er die Botschaft wieder unter ungeklärten Umständen und wurde in ein Pekinger Krankenhaus gebracht. Die chinesische Regierung soll eine Garantie für die Sicherheit Chens abgegeben haben. Chen sagte später, seine Frau sei massiven Drohungen ausgesetzt und seine Familie als Druckmittel benutzt worden, damit er die US-Botschaft verlasse. Am Donnerstag erklärte der Dissident, nun doch mit seiner Familie in die USA ausreisen zu wollen. Er begründete dies damit, dass er

Chinas Staatsmedien kritisierten, Chen sei "zum politischen Werkzeug böswilliger Kräfte" geworden, die gegen das politische System in China arbeiteten. Die Zeitung "Global Times" schrieb, es gebe "viele technische Hindernisse", wenn der Aktivist jetzt in die USA ausreisen wolle. In dem Kommentar wurden aber auch Probleme und Vergehen auf lokaler Ebene im Umgang mit Chen eingeräumt.

USA sichern Unterstützung zu

Die USA stellte indes weitere Hilfe in Aussicht. "Wir werden ihn auf jedem Schritt seines Weges unterstützen", sagte der US-Botschafter Gary Locke dem TV-Sender CNN. Die USA wollten aber keine Versprechen machen, die sie nicht halten können. Asyl sei nicht möglich, weil Chen Guangcheng dafür auf US-Territorium sein müsse. Aber zu den Vorschlägen, die ihm schon in der Botschaft gemacht worden seien, habe die Option gehört, ihm eines Tages einen Besuch an einer US-amerikanischen Hochschule zu ermöglichen.

Unterdessen wächst im US-Wahlkampf der Druck auf Präsident Barack Obama, die Sicherheit und Freiheit des blinden Dissidenten zu gewährleisten. Der voraussichtliche republikanische Herausforderer von Obama bei der Präsidentenwahl im November, Mitt Romney, kritisierte das Vorgehen der Regierung im Fall Chen. Wenn sich Berichte bewahrheiteten, dass US-Regierungsbeamte ihn gedrängt hätten, die US-Botschaft in Peking zu verlassen, dann sei dies "ein schwarzer Tag für die Freiheit", sagte Romney bei einem Wahlkampfauftritt. "Und es ist ein Tag der Schande für die Obama-Regierung", ergänzte er. Der republikanische US-Abgeordnete Christopher Smith erklärte Chen während der Anhörung, dass der Fall ein "Test" für die chinesischen Versprechungen sei und dafür, ob die Menschenrechte den USA wirklich etwas bedeuteten.

Auch Menschenrechtsgruppen äußerten Kritik an der US-Regierung, sich angesichts des laufenden strategischen und wirtschaftlichen Dialogs unter Zeitdruck auf einen Handel eingelassen zu haben. Dadurch sei es nicht möglich gewesen, die Einhaltung der Chen gemachten Versprechungen sicherstellen zu können.

Dissident: China wird Ausreise nie erlauben

Ein führender chinesischer Dissident warf den USA schwere Fehler im Umgang mit Chen vor. Die US-Regierung hätte den blinden Bürgerrechtler niemals aus ihrer Botschaft in Peking lassen dürfen, sagt der im US-Exil lebende Wei Jingsheng. Die Situation sei "deutlich schwieriger" geworden, weil Chen nicht mehr unter dem Schutz der USA stehe. "Es gibt keine Chance, dass die chinesische Regierung ihm die Ausreise erlauben wird", sagte Wei.

Wei sagte, Chens Ausreise würde einen "Präzedenzfall" schaffen, den Peking so nie akzeptieren werde. "Es würde bedeuten, dass jeder Dissident ins Exil gehen könnte, wenn er an die Tür einer Botschaft klopft", sagte Wei. Außerdem würde China damit eine Einmischung der USA in seine inneren Angelegenheiten hinnehmen. Die USA hätten sich "konkrete Garantien" schriftlich zusichern lassen müssen. Mit dem Vertrauen auf die Worte der chinesischen Regierung habe Washington Chen in Gefahr gebracht.

Vor der US-Botschaft in Taipeh demonstrierten am Freitag taiwanische Menschenrechtsgruppen und forderten Washington auf, für die Sicherheit Chens und seiner Familie zu sorgen. "Befreit Chen!", riefen dutzende Aktivisten.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", das Vorgehen Chinas gegen Chen erwecke den Eindruck "willkürlicher Verfolgung politisch kritischer Bürger". Der FDP-Politiker forderte Peking zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf.

Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP/rts

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