Buback-Prozess geht 2011 weiter Peter-Jürgen Boock sagt aus
28.12.2010, 11:34 Uhr
Verena Becker verantwortet sich wegen Mitschuld am Mord von Buback seit September 2010 vor Gericht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bislang war der Prozess gegen Verena Becker vor allem ein Duell zwischen dem Nebenkläger Michael Buback und der Bundesanwaltschaft. Das dürfte sich im kommenden Jahr ändern.
Mehr als dreißig Jahre lang hat Martha B. mit niemandem über das gesprochen, was sie am 7. April 1977 gesehen hat - an dem Tag, als Terroristen der "Rote Armee Fraktion" den Generalbundesanwalt Siegfried Buback ermordeten. Ein Motorrad hatte sie gesehen, an einer Ampel in Karlsruhe, just an jenem Morgen, die Zeit weiß sie nicht mehr genau. Nur, dass es ihr gleich verdächtig vorkam, weil der Fahrer nicht losfuhr, als die Ampel grün wurde.
Nun sitzt die 73-Jährige als Zeugin vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim, wo seit dem 30. September gegen die ehemalige RAF-Terroristin Verena Becker verhandelt wird. Becker ist angeklagt als Mittäterin des Mordanschlags auf Buback. Der 6. Strafsenat unter dem sehr besonnenen Vorsitzenden Hermann Wieland gibt sich große Mühe, jeder auch noch so entfernten Spur nachzugehen und umfassend aufzuklären, was 1977 wirklich geschah. Es wurden einige Zeugen gehört, die zuvor noch nie vor Gericht ausgesagt hatten. Doch nach 16 Verhandlungstagen gibt es kaum Indizien, die auf Verena Becker als Schützin hindeuten.
"So sieht kein Mann aus."
Die Zeugin Martha B. ist sich allerdings sicher: Das Motorrad, das sie damals gesehen hat, das müssen die Attentäter gewesen sein! Und die Person auf dem Soziussitz, das war eine Frau. "Die Hüfte war etwas geschwungen", erzählt die Zeugin und malt mit den Händen eine kurvige Form in die Luft. "So sieht kein Mann aus."
Nur: Warum es sich bei den Motorradfahrern um die Attentäter handeln sollte, das bleibt offen. "Sie haben also ein Motorrad gesehen, das an einer grünen Ampel nicht losgefahren ist und nun meinen Sie, das müsste das Tatmotorrad gewesen sein", resümiert Bundesanwalt Walter Hemberger.
Nichts weist auf Becker als Mörderin hin

Michael Buback ist davon überzeugt, dass Becker seinen Vater getötet hat.
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Dabei klingt er etwas genervt, denn Hemberger glaubt nicht, dass Verena Becker - oder überhaupt eine Frau - auf der Suzuki 750 GS saß, von der aus der Generalbundesanwalt Buback und seine beiden Begleiter erschossen wurden. Die Bundesanwaltschaft hat Becker als Mittäterin angeklagt, weil sie eine maßgebliche Rolle bei der Organisation des Anschlags gespielt haben soll. Der Sohn des Opfers hingegen, der Nebenkläger Michael Buback, ist davon überzeugt, dass Verena Becker selbst die Schützin war. Und deshalb spielt der zentrale Konflikt in diesem Prozess bislang zwischen Buback und der Bundesanwaltschaft, der Behörde seines toten Vaters.
Verena Becker konnte sich von der anderen Seite des Saales aus anschauen, wie sich Michael Buback und Bundesanwalt Hemberger immer wieder in die Haare gerieten - wobei die 58-Jährige äußerlich regungslos blieb, die Augen stets hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, die sie krankheitsbedingt trägt. Die Beweisaufnahme brachte nichts zutage, was ihr hätte gefährlich werden können, abgesehen von DNA-Spuren an Bekennerbriefen, die aber vorher schon bekannt waren.
Detaillierte, aber merkwürdige Zeugenaussagen
Die meisten Zeugen können sich heute nur noch an wenig erinnern. Zum Beispiel der Jugoslawe, der direkt am Tatort war. In einer Pressemitteilung des Innenministeriums vom Tag der Tat klingt es so, als hätte er eine Frau gesehen. Nun, vor Gericht, wird er gefragt, ob er Männer oder Frauen erkennen konnte. "Unmöglich", antwortet er.
Dann wiederum gibt es Zeugen, die zwar sehr detailliert von einer Frau als Schützin berichten, deren Aussagen aber zumindest etwas merkwürdig scheinen: Ein 56-jähriger Kaufmann etwa schildert eine abenteuerliche Szene. Er habe vom Steuer eines VW-Busses aus das Attentat beobachtet. Nach den Schüssen habe das Motorrad den Dienstwagen Bubacks einmal umrundet. "Die Dame, die da drauf saß, hat mit der Maschinenpistole rumgefuchtelt." Er habe das Gesicht der Frau sehen können, sie habe gelacht oder "die Zähne gebleckt"."Es sah für mich aus wie eine Mafia-Hinrichtung."
Weiterhin Anklage wegen Mittäterschaft

Mit der Aussage von Peter-Jürgen Boock könnten sich die Konfliktlinien des Prozesses verschieben.
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Nur: Diese Beobachtungen, von denen der Kaufmann nach 33 Jahren zum ersten Mal erzählt, passen nicht zu anderen Aussagen und Beweismitteln. Nach allem, was bekannt ist, trugen die Attentäter olivgrün lackierte Integralhelme, so dass Gesichter kaum zu erkennen gewesen sein dürften. Möglicherweise wird nie geklärt werden, wer wirklich auf dem Tatmotorrad saß und die tödlichen Schüsse abfeuerte. Die umfassende und öffentliche Beweisaufnahme lässt wenig Raum für Michel Bubacks Theorie, wonach alle Hinweise, die auf Verena Becker deuteten, unterdrückt wurden, um die Terroristin zu schützen.
Nach Ende der Winterpause am 11. Januar wird es dann vorwiegend um die Frage gehen, welche Rolle Becker bei der Entscheidung für das Attentat sowie bei der Planung und Organisation spielte - die Punkte also, auf die sich die Anklage wegen Mittäterschaft stützt. Mit Spannung wird die Aussage des ehemaligen RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock erwartet. Er soll ab dem 25. Januar über die Struktur der RAF berichten und darüber, wie die Anschläge der "Offensive 77" - darunter das Attentat auf Buback - organisiert wurden. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Konfliktlinien in Stammheim dann deutlich ändern werden.
Quelle: ntv.de, Jochen Neumeyer, dpa