Grenzüberschreitende Kriminalität Politik bremst Ganoven aus
23.04.2012, 11:31 Uhr
Bei einer Fahrzeugkontrolle unweit der deutsch-polnischen Grenze.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wohnungseinbrüche nehmen zu, Autos und Baumaschinen verschwinden in noch nie dagewesener Dimension über die deutsch-polnische Grenze Richtung Osten. Dass Brandenburg und Polen oft nur Transitländer für die Kriminellen sind, ist zweitrangig, bestätigt aber gängige Vorurteile. Jetzt schaltet sich die Politik ein und will den Ganoven das Handwerk legen.
"Kaum gestohlen – schon in Polen." Das ist eines der gängigsten Vorurteile, wenn von der grenzüberschreitenden Kriminalität gesprochen wird. Dass es sich dabei nicht nur um ein Vorurteil handelt, belegen Polizeistatistiken, die die Innenministerien der Länder regelmäßig veröffentlichen. So sprach der brandenburgische Innenminister Dietmar Woidke erst kürzlich von einer Bilanz mit "Licht und Schatten". Einerseits sei die Zahl der Straftaten, wie die der Gewaltdelikte, im Allgemeinen rückläufig. Andererseits nehme die Grenzkriminalität immer weiter zu. Der Minister spricht sogar von einer "schwierigen Lage in den Grenzregionen".

Die Zeit des konventionellen Autoknackens ist vorbei. Jetzt werden elektronische Hilfsmittel für Diebstähle verwendet.
(Foto: picture alliance / dpa)
Für Woidke geht es wegen der "länderübergreifenden Dimension" um ein "deutsches, ein europäisches Problem". Tatsächlich ist Brandenburg wegen seiner Lage und den Ost-West-Transitstrecken von der Grenzkriminalität besonders betroffen. Autoschieber und von Osteuropa aus agierenden Banden stehlen in ganz Deutschland und Westeuropa hochwertige Wagen, aber auch Bau- und Agrarmaschinen und schaffen diese über Brandenburg nach Osten. 40 Prozent der von der Polizei gestoppten gestohlenen Fahrzeuge stammen nicht aus Brandenburg. 72 Prozent der Tatverdächtigen sind Ausländer, meistens Polen und Litauer.
Wie Woidke erläuterte, habe sich in den zurückliegenden Jahren das Kriminalitätsbild in der Grenzregion Stück für Stück verschoben. 2007 waren hier knapp 35 Prozent der Straftaten Diebstähle, im vergangenen Jahr bereits über 51 Prozent. "Das ist der eigentliche Grund für die verständliche Verunsicherung der Bevölkerung", so Woidke.
Bund erkennt die angespannte Situation
Brandenburgs Sicherheitsbehörden hatten bislang fehlende Signale aus dem Bundesinnenministerium beklagt und hoffen jetzt auf Fortschritte. Um endlich Nägel mit Köpfen zu machen, treffen sich nun Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und seine Ressortkollegen aus Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern in Frankfurt (Oder) und wollen über die Bekämpfung von Grenzkriminalität reden. Es wird aber nicht nur geredet, denn Friedrich wird mit seinem polnischen Amtskollegen Jacek Cichocki in Swiecko ein Pilotprojekt zu gemeinsamen Dienststellen des polnischen Grenzschutzes und der Bundespolizei offiziell eröffnen.
Woidke hatte bereits im Februar mit Polens Botschafter Marek Prawda gemeinsame verdeckte Ermittlerteams, noch mehr deutsch-polnische Polizeistreifen, eine enge Zusammenarbeit der Justizbehörden und direkte Funknetze für die Einsatzkräfte beiderseits der Grenze vereinbart. Der im Januar gestartete Einsatz von drei Hundertschaften in der Grenzregion wurde bis in die Sommermonate verlängert, die Soko "Grenze" erheblich aufgestockt. Jetzt setze sich auch beim Bund ein realistisches Bild von der Kriminalitätslage im Bund durch, hieß es aus Brandenburgs Innenministerium.
Polizei ist grenzüberschreitend im Einsatz
Die zusätzlichen Polizisten sollen künftig nicht mehr nur vorbeugend, sondern auch operativ – uniformiert und zivil – eingesetzt werden, sagte jetzt Polizeipräsident Arne Feuring in Potsdam. Dabei werde ihr Einzugsgebiet beiderseits der Grenze vergrößert. Sogar die Streifenwagen würden zweisprachig beschriftet mit "Polizei" und "Policja". Dann sei es möglich, die Kriminellen auf beiden Seiten der Grenze bis tief ins Land zu verfolgen. Hilfreich sei dabei auch das gemeinsame Funknetz der Polizei.
Diese bereits in Frankfurt (Oder) und der polnischen Partnerstadt Slubice bestehende Praxis wird laut Feuring voraussichtlich noch bis zum Beginn der Fußball-Europameisterschaft im Juni ausgeweitet. Was die Politik als Fortschritt betrachtet, sehen die Anwohner mit Sorge. Wenn vermehrt Beamte bei der Fußball-EM eingesetzt werden, heißt es, würden sie bei der Kriminalitätsbekämpfung in den grenznahen Gebieten fehlen. Die Ganoven würden dies sicher zu schätzen wissen.
Kriminelle stürzen Firmen in die Krise
Eine positive Bilanz zog indes der Frankfurter Leitende Oberstaatsanwalt Carlo Weber. So mache das Verschieben von Autos und Baumaschinen inzwischen "die Masse des Untersuchungshaft-Geschäfts" aus. "Da werden polizeiliche Erfolge ganz klar sichtbar." Auch würden jetzt immer häufiger Wiederholungstäter gefasst, die nicht mehr mit Anfangsstrafen von sieben bis neun Monaten Freiheitsentzug davonkämen.
Der Diebstahl von Baumaschinen hat für die Firmen vor allem im grenznahen Raum existenzbedrohliche Ausmaße angenommen. Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen 2007 wurden Bau- und Landmaschinen im Wert von fast 2,5 Millionen Euro gestohlen und in den Osten gebracht. Einige Unternehmen im Grenzgebiet stehen bereits vor der Pleite, weil Versicherungen sich weigern, den Schaden in voller Höhe zu übernehmen. Allein im brandenburgischen Landkreis Uckermark haben 92 Betriebe inzwischen eine Petition unterschrieben, in der sie Hilfe anfordern im Kampf gegen die Grenzkriminalität.
Im Potsdamer Innenministerium hat man das "dicke Problem" längst erkannt. Ministeriumssprecher Ingo Decker spricht von einer Herausforderung für die nächsten Jahre. "Aber dann können wir es in den Griff kriegen", erklärt er. Decker sagte auch, dass es sicher falsch gewesen sei, nach dem Wegfall der Grenzkontrollen alles rosarot zu malen: Nur die Chancen aufzuzeigen und dabei zu verschweigen, dass es auch Risiken gebe. Die Menschen müssen nun merken, dass sie nicht alleingelassen werden.
Quelle: ntv.de