Politik

Weisband macht keine Zugeständnisse "Politik geht besser"

Marina Weisband bei der Vorstellung ihres Buche "Wir nennen es Politik" auf der Buchmesse Leipzig.

Marina Weisband bei der Vorstellung ihres Buche "Wir nennen es Politik" auf der Buchmesse Leipzig.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Piratenpartei muss derzeit schmerzhaft erleben, dass ihre Vorstellung von direkter Demokratie Grenzen hat. Partei-Ikone Marina Weisband will trotzdem nicht an ihrem Ideal von Politik rütteln. Im Interview mit n-tv.de verteidigt sie die reine Lehre der Basisdemokratie. Wenn die Partei nicht mitzieht, wird sie sich woanders nach Mutigen umsehen, kündigt sie an.

n-tv.de: Frau Weisband, in Ihrem Buch "Wir nennen es Politik" erzählen Sie, wie Sie nach einer spontanen Kandidatur und einer Vorstellungsrede von nur zwei Minuten zur Politischen Geschäftsführerin gewählt wurden. Haben Sie das Gefühl, dass es damals bessere Kandidaten für das Amt gegeben hätte?

Marina Weisband: Ich frage niemals "Was wäre wenn?". Aber es hätte andere gegeben, die das Amt auch sehr gut ausgefüllt hätten.

Ist es nicht ein Manko der Partei, dass sie so impulsiv ist?

Marina Weisband auf ihrer ersten großen Pressekonferenz im Oktober 2011, nachdem sie als Spontankandidatin zur Politischen Geschäftsführerin gewählt wurde. (Mit Andreas Baum und Sebastian Nerz)

Marina Weisband auf ihrer ersten großen Pressekonferenz im Oktober 2011, nachdem sie als Spontankandidatin zur Politischen Geschäftsführerin gewählt wurde. (Mit Andreas Baum und Sebastian Nerz)

(Foto: picture alliance / dpa)

Ich halte Parteitagsbeschlüsse nicht für die optimale Form der politischen Willensbildung. Ich finde gut und richtig, dass wir als Partei versuchen, alle Mitglieder einzubinden. Langfristig sollten wir einen Weg wählen, der moderner und eleganter ist. Ich wünsche mir, dass wir mit einer "Ständigen Mitgliederversammlung", kurz SMV, dieses Manko beheben. Personenwahlen müssen allerdings gleich, geheim und direkt sein. Das können wir über das Internet nicht herstellen.

Es wird also weiterhin so sein, dass sich jemand zwei Minuten lang vorstellt und aufgrund des Eindrucks, den er dabei hinterlässt, gewählt wird.

Spontankandidaten sind in letzter Zeit sehr unbeliebt. Trotz meines Beispiels. Mittlerweile reisen die Kandidaten schon Wochen und Monate im Voraus herum und stellen sich Befragungen.

Sie sprechen in Ihrem Buch von einer "Ochsentour", die man auf sich nehmen muss, wenn man in einer klassischen Partei aufsteigen will. Warum lehnen Sie es ab, dass man sich in einem niedrigeren Gremium beweisen muss, bevor man in ein höheres aufsteigt?

Es will nicht jeder Repräsentant werden. Manche Menschen wollen einfach ihre Ideen einbringen. Ich möchte aber wirklich dahin kommen, dass die Kandidaten immer unwichtiger werden. Die Aufgabe des Vorstandes sollte immer mehr organisatorischer Natur sein. Da wir eine politische Partei sind, müssen wir uns aber auch nach den Regeln der repräsentativen Demokratie richten. Und diese Regeln setzen natürliche Mechanismen von Profilierung und Aufstieg voraus. Nicht, dass ich das toll fände. Aber das ist erstmal, wie es funktioniert.

Das heißt, die Piratenpartei muss sich dem System anpassen?

Die "Ständige Mitgliederversammlung"

Um außerhalb von Parteitagen Positionen der Piratenpartei basisdemokratisch abstimmen zu können, gibt es die Überlegung, einen dauerhaften Online-Parteitag einzurichten. Wichtige politische Entscheidungen müssten dann nicht mehr vom Vorstand, sondern könnten von der Basis getroffen werden. Das Problem: Viele Piraten misstrauen geheimen Abstimmungen über Computer, weil sie diese für manipulierbar halten.

Die Piratenpartei ist gerade schon stark dabei, sich anzupassen. Ich finde sogar, wir passen uns gerade viel zu sehr der repräsentativen Demokratie an. Wir könnten ruhig mutiger sein und uns trauen, neue Dinge auszuprobieren. Die SMV wäre für mich ein riesiger Schritt dahin.

Sie schreiben: "Die größte Schwäche des aktuellen politischen Systems ist: Es passt nicht mehr zu unserem Denken." Was meinen Sie damit?

Wir sind eine Generation, die damit aufgewachsen ist, dass wir vernetzt sind, dass wir alles kommentieren können. Wir wollen mehr Verantwortung übernehmen. Wir wollen aktiver sein. Und wir wollen nicht mehr so abhängig sein von einzelnen Personen. Ich glaube, das geht den meisten meines Alters so. Das Problem der Piraten ist, dass einige sie als eine repräsentativ-demokratische Partei haben wollen. Und damit kommen immer wieder Debatten wie: "Was ist denn jetzt mit dem Bundesvorstand? Was ist mit Johannes Ponader? Ist er für unser Unglück verantwortlich? Wird Marina uns alle retten?" Und das sind doofe Fragen, wenn man eigentlich weniger abhängig sein möchte von einzelnen Personen. Es ist ein Widerspruch, mit dem die Piraten gerade leben. Und ich glaube, der behindert uns ganz stark.

Ist es nicht im Menschen tief verwurzelt, dass er eine Person haben möchte, der er Vertrauen entgegenbringt? Widerspricht es nicht unserer Natur, Politik in anonymen Internet-Netzwerken zu betreiben?

Wissen Sie, es hat mal unserer Natur widersprochen, von den Bäumen herunterzukommen. Wir sind doch keine stupiden, triebgesteuerten Wesen, die immer noch das brusttrommelnde Alphamännchen suchen müssen. Wir haben uns als Gesellschaft stark weiterentwickelt. Und wir entwickeln uns immer weiter. Ich finde es falsch, dass wir total viel Verantwortung auf Repräsentanten abwälzen und uns dann beschweren und rummotzen, während wir selber unseren Arsch nicht hoch bekommen.

So sind Menschen nun einmal. Und so schnell werden sie sich nicht ändern lassen.

Langfristig kommen wir da nur hin, wenn wir anfangen, unsere Schulen zu demokratisieren. Wenn wir unseren Kindern schon mehr Selbstständigkeit beibringen und sie auch mal machen lassen und ihnen vertrauen. Das wird sicherlich noch etwas dauern, aber irgendjemand muss damit anfangen.

Ist das Gründen einer Partei, die auf dieses Prinzip aufbaut, dann nicht der zehnte Schritt vor dem ersten?

Wir können Menschen nicht beibringen, wie sie mitbestimmen können, wenn sie in Wirklichkeit gar nicht mitbestimmen können. Genauso wenig, wie sie einem Kind Schwimmen beibringen können, ohne es ins Wasser zu lassen. Wir als Piratenpartei versuchen jetzt schon, dass Menschen mehr mitbestimmen dürfen.

"Eine Bundestagsfraktion würde unsere Arbeit erleichtern"

Marina Weisband

Marina Weisband wurde im Mai 2011 zur Politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei gewählt und schon bald zum Liebling der Medien. Im Jahr darauf trat sie nicht wieder zur Wahl an, weil sie sich dem Amt nicht gewachsen fühlte, wie sie selbst sagt. Ihr Nachfolger wurde Johannes Ponader. In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" beschreibt sie, wie politische Entscheidungen ihrer Meinung nach zustande kommen sollten. Eine zentrale Rolle spielen dabei Abstimmungsplattformen im Internet.

Gleichzeitig schreiben Sie in Ihrem Buch Stichworte auf, die eine "ideologische Grundbasis" bilden sollen. Wollen Sie einen Wertekanon für die Piratenpartei entwickeln?

Sicher. Wir müssen das, was uns eint, lernen auszusprechen. Wir haben versucht, es mit dem Wort der "Plattformneutralität" zusammenzufassen. Aber das ist ein sehr umständliches, kein schönes Wort. Man versteht es nicht auf Anhieb.

Einen Slogan für die Partei haben Sie also noch nicht?

So einen richtig geilen Slogan noch nicht. Ich war bei "Freiheit, Demokratie, Information". Das Problem dabei ist: Je größer die Begriffe, desto abgelutschter klingen sie. Ich denke schon, dass so ein Motto hilfreich sein könnte, aber wir haben als Partei auch erst nach und nach gelernt, wofür wir eigentlich stehen.

Was ja interessant ist, dass man das erst lernt, nachdem man zusammen Politik gemacht hat.

Das stimmt. Man lernt ja auch immer mehr, was die eigentlichen Missstände sind. Das ist ja auch, warum ich so unbedingt will, dass die Piratenpartei in den Bundestag kommt: Um zu sehen, wo die eigentlichen Missstände sind.

Sie wollen unbedingt, dass die Piratenpartei in den Bundestag kommt? Dem "Zeit"-Magazin haben Sie gesagt ...

... dass es egal sei. Mir ist es, um ehrlich zu sein, auch egal, ob wir Mandatsträger haben oder nicht. Es ist für den Erfolg, der mir am Herzen liegt, nicht zentral, weil für mich die Ideen das Wichtige sind. Es würde unsere Arbeit aber unfassbar erleichtern und eine ganze Bewegung vorwärts bringen, wenn wir dazu noch ein bisschen Geld, ein bisschen Einblick und direkte politische Mitbestimmungsmöglichkeiten hätten. Und das hätten wir mit einer Bundestagsfraktion.

Sie nehmen den Bundestag als Vehikel, um an Geld zu kommen?

Nein, ich sehe ihn als Vehikel, um an Informationen zu kommen, um Abläufe zu verstehen. Ich sehe ihn als Vehikel, um die richtigen Fragen zu stellen, und im Optimalfall sehe ich ihn auch als Vehikel für Bürgerbeteiligung.

Können Sie verstehen, dass Leute sehr reserviert darauf reagieren, wenn eine Partei sagt: "Wir würden gerne in den Bundestag, aber eigentlich nicht um Oppositions- oder Regierungsarbeit zu machen, sondern um ganz andere Dinge zu verfolgen"?

Ich kann das verstehen. Aber andererseits kann ich dieselben Leute fragen: "Ihr habt schon fünf Parteien, die genau das klassische Ding da tun. Seid ihr zufrieden mit der Politik? Findet ihr, dass alles palletti ist? Wenn ja, denn wählt uns nicht." Gleichzeitig vertreten die Piraten ja auch Themen wie die Gleichstellung der Ehe, das Prinzip von Plattformneutralität, einer Enquete-Kommission zum Testen des Bedingungslosen Grundeinkommens. Als Zusatzfeature sehe ich eine große Chance zur Veränderung, um die Repräsentationskrise, die wir zurzeit haben, zu überwinden.

"Ich glaube, dass Mitbestimmung ermutigt"

Sie sprechen von einer "Krise" und auch in Ihrem Buch zeichnen Sie ein Bild davon, dass die Bürger immer weniger mitreden können. Aber ist das System nicht so demokratisch wie selten zuvor?

Wir haben beide recht. Tatsächlich gab es noch nie so viel Mitbestimmung. Aber jetzt gibt es die Möglichkeit zu so viel mehr, wenn wir die neue Technologie adäquat nutzen. Wir stecken zurzeit in einer dreifachen Krise: in einer ökonomischen, in einer ökologischen und in einer repräsentativen Krise. Und diese drei Krisen erfordern neuartige Ansätze von Lösungen.

Sie glauben, mit besseren demokratischen Verfahren würden wir die Umwelt besser schützen und die Finanzkrise überwinden?

Bei der Umwelt weiß ich das nicht genau, bei der Finanzkrise bin ich mir ziemlich sicher. Das Problem ist, dass sie von kaum jemandem nachvollzogen werden kann. Ich denke, dass es zu vielen Krisen gar nicht kommt, wenn die Politik von Anfang an nachvollziehbar ist. Wenn Fehler und Blasen frühzeitig erkannt werden.

Gerade bei Blasen ist es ja so, dass die Fundamentaldaten bekannt sind, nur sieht man die Blase trotzdem nicht. Da gibt es doch gar keinen Mangel an Transparenz.

Um ehrlich zu sein, ich habe nichts von diesen Fundamentaldaten mitbekommen. Das ist halt das Problem. Wir brauchen mehr Aufbereitung dieser Geschehnisse.

Dann muss man den Leuten sagen, sie sollten mehr den Wirtschaftsteil lesen.

(lacht) Das sage ich den Leuten in meinem Buch ja auch.

Aber es würde sich in diesem Punkt ja nichts dadurch ändern, dass man ein neues Mitbestimmungstool hätte.

Ich glaube eben schon. Ich glaube, dass Mitbestimmung ermutigt und die Pflicht auferlegt, sich besser zu informieren.

Mitbestimmung gibt es aber auch in der klassischen Politik, der Sie nie eine Chance gegeben haben. Trotzdem beschreiben Sie in Ihrem Buch eine große Frustration mit der Politik. Ist das nicht unfair?

Vielleicht. Ich möchte gar nicht sagen, dass die klassische Politik böse ist. Sie hat einen tollen Job gemacht. Ich glaube nur, es geht besser. Das andere ist: In einen Ortsverband zu gehen, reizt mich gerade so überhaupt nicht. Wenn ich da was erreichen will, muss ich mich erst einmal jahrelang durch diese ganzen Strukturen arbeiten. Ich war einmal als Gast bei einem SPD-Ortsverein. Die Struktur dort hat mich nicht dazu motiviert, mitzuarbeiten.

"Ich hoffe, dass die Piraten mutig genug sind"

Nun stehen Sie vor Ihrem Diplom in Psychologie. Wie geht es weiter?

Mein Studium wird noch bis Sommer dauern. Ich werde mit den Piraten Wahlkampf machen und für danach habe ich keine Pläne.

Macht nicht jeder im Studium Pläne für die Zeit danach?

Ich nicht.

Spielt es für Ihre persönlichen Pläne eine Rolle, ob die Piraten in den Bundestag kommen?

Nein, für mich persönlich spielt es eine größere Rolle, ob wir in absehbarer Zeit eine "Ständige Mitgliederversammlung" beschließen, als die Frage, ob wir in den Bundestag kommen.

Das heißt, wenn die "Ständige Mitgliederversammlung" nicht beschlossen würde, würden Sie sich weiter zurücknehmen?

Ich würde weiter bei den Piraten bleiben und für die Piraten-Ideen kämpfen, aber ich würde parallel dazu nach Möglichkeiten suchen, wie man Beteiligungsmöglichkeiten weiterentwickeln kann. Ich hoffe, dass die Piraten mutig genug sind, das zu machen. Sollte sich das anders herausstellen, werde ich irgendwo außerhalb der Piraten das System weiterentwickeln.

Die Fragen stellte Christoph Herwartz

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Quelle: ntv.de

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