Der große Schwund Praxis-Sterben in Deutschland
02.04.2008, 14:45 UhrDie große Mehrheit der Ärzte in Deutschland rechnet mit deutlichen Mediziner-Engpässen in den Kliniken, einem Praxis-Sterben und dem weiteren Abwandern junger Mediziner. Das ergab eine in Köln vorgestellte Studie, die sich auf die Befragung von 300 Medizinern stützt. Demnach erwarten 97 Prozent der Ärzte, dass bis 2010 mangels Nachfolger zahlreiche Praxen schließen werden. Knapp 89 Prozent gehen von Mediziner-Mangel in den Krankenhäusern aus. Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete die Zahlen als "alarmierend".
Mehr als neun von zehn Klinikärzten verlangten bessere Arbeitsbedingungen und höheren Lohn. Niedergelassene Ärzte sehen sich durch eine weitere Öffnung der Kliniken im ambulanten Bereich bedroht. Die Studie wurde vom F.A.Z.-Institut, Deutscher Ärzteversicherung und DBV-winterthur in Auftrag gegeben. Nach deren Angaben handelt es sich um eine Repräsentativbefragung, die allerdings bereits im Oktober vergangenen Jahres gemacht wurde.
Fazit ist auch, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung bedroht ist - besonders in ländlichen Regionen, wo bereits heute teilweise keine flächendeckende Versorgung über Fachärzte mehr sichergestellt werden könne. Zugleich stellt das "Dossier" eine Unsicherheit bei den Patienten mit Blick auf die Gesundheitsreform fest: Acht von zehn Ärzten gaben an, häufig etwa nach Leistungskürzungen durch die Krankenkassen befragt zu werden oder nach den Kosten für medizinische Zusatzleistungen, die nicht von den Kassen übernommen werden.
Zu einer neuen Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie - demnach müssen Kassenpatienten im Schnitt dreimal solange auf einen Termin beim Facharzt warten wie privat Krankenversicherte - sagte Montgomery, die Ergebnisse überraschten ihn nicht. Dass ein Privatversicherter "bei Service und auch im Wartezimmer" mitunter besser behandelt werde als ein Kassenpatient sei Ergebnis des "politisch verordneten Wettbewerbs". Die Notfallversorgung und die Qualität der Leistungen seien aber "ohne jedes Ansehen des Versichertenstatus" einheitlich.
Fachärzte beklagen ökonomische Zwänge
Die Fachärzte räumten indes längere Wartezeiten in ihren Praxen für Kassenpatienten ein, aber wiesen die Schuld dafür von sich. "Zwangsläufig muss sich ärztliches Handeln an ökonomischen Maßstäben orientieren", erklärte der Bundesvorsitzende des Deutschen Facharztverbandes, Thomas Scharmann, in Aachen. Mögliche längere Wartezeiten seien Folge der Rationierung medizinischer Leistungen durch die Politik. Die feste Obergrenze für Arzthonorare bei Kassenpatienten koste die Ärzte ein Drittel ihres Umsatzes. "Leistungen über Budgetgrenzen werden von den Kassen nicht bezahlt - das können sich immer weniger Ärzte leisten."
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erzielen ein Drittel der niedergelassenen Mediziner gute bis sehr gute Verdienste, überwiegend Fachärzte. Ein Drittel liegt im Mittelfeld. Bei einem Drittel sind es nur bis zu 1800 Euro im Monat netto. Internisten in Westdeutschland erzielen hingegen inklusive der Einnahmen von Privatpatienten einen durchschnittlichen Praxisüberschuss von 137.000 Euro im Jahr.
Verschiebbare Leistungen werden verschoben
Verschiebbare Leistungen würden - weil nicht vergütet - ins jeweils nächste Quartal verschoben, räumten die Fachärzte ein. Sonst müsse der Arzt entsprechende Behandlungen aus eigener Tasche bezahlen. "Selbstredend werden Notfälle immer sofort behandelt", versicherte Scharmann. Kritiker hatten bezweifelt, dass Arztpraxen bereits bei der Terminvergabe entscheiden können, ob eine Behandlung oder Diagnose medizinisch unmittelbar nötig ist.
Praxen, die kaum Privatpatienten mit entsprechend besserer Bezahlung haben, müssten möglichst viele gesetzlich Versicherte durchschleusen, sagte er. Erst Privatpatienten ermöglichten durch entsprechend höhere Einnahmen den Einsatz medizinischer Neuerungen.
Quelle: ntv.de