Strenge Auflagen für Absprachen Verfassungsgericht billigt Deals
19.03.2013, 12:09 Uhr
Der zweite Senat des Bundesverfassungsgericht spricht von "nur unzureichend ausgeprägtem Bewusstsein" der Strafrichter.
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Sogenannte Deals in Strafprozessen sind grundsätzlich zulässig. Das entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Die umstrittenen Absprachen müssen sich allerdings streng im Rahmen der gesetzlichen Regelungen abspielen. Auch, um falsche Geständnisse zu vermeiden.
Absprachen in Strafprozessen sind seit Jahren umstritten. Auch, weil ihre Rechtmäßigkeit seit jeher umstritten ist. Das Bundesverfassungsgericht hat nun für Klarheit gesorgt und Absprachen zwischen Gericht und Angeklagten in Strafprozessenfür zulässig erklärt. Karlsruhe knüpfte diese Grundsatzentscheidung aber an strenge Vorgaben. So können Richter künftig nicht mehr auf ein Pauschalgeständnis drängen, sondern müssen weiterhin in einer Beweisaufnahme die Schuld eines Angeklagten aufklären und dessen Geständnis "zwingend auf seine Richtigkeit" prüfen. Zugleich wies das Gericht den Staatsanwälten ein Wächteramt als Kontrolleure von Absprachen zu.
Bei den oft als "Deal" bezeichneten Absprachen stellt das Gericht einem Angeklagten im Normalfall eine mildere Strafe in Aussicht, wenn er ein Geständnis ablegt. Bei Richtern ist die Praxis äußerst beliebt. Problematisch aus Sicht des Verfassungsgerichts ist aber, dass sich die Absprachen oft vor Prozessbeginn und damit außerhalb des Gesetzesrahmens ereignen. Karlsruhe sprach von einem "nur unzureichend ausgeprägtem Bewusstsein" der Strafrichter.
60 Prozent der Richter handeln illegal
In einer Umfrage für das Gericht hatten knapp 60 Prozent der Richter eingeräumt, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen informell und damit unrechtmäßig vorgenommen zu haben. Als Hauptgrund gaben sie an, langwierige Beweisaufnahmen vermeiden zu wollen. So verkürzte Prozesse sind im Sinne des Urteils nun ein absoluter Revisionsgrund. Karlsruhe verpflichtete die Staatsanwaltschaft sich derartigen Absprachen zu verweigern und Rechtsmittel gegen Urteile, die darauf beruhen, einzulegen.
Trotz dieser Vorbehalte sollen Deals aber grundsätzlich möglich bleiben. Voraussetzung für eine rechtmäßige Absprache sind laut dem Verfassungsgericht Transparenz und eine ausreichende Dokumentation der Absprache.
Bei den verkürzten Prozessen kam es immer wieder zu Falschaussagen. Aus Angst vor drastischen Strafen legten Angeklagte in Hoffnung auf ein milderes Urteil immer wieder vermeintliche Geständnisse ab.
Fälle müssen neu aufgerollt werden
Anlass für das Verfahren in Karlsruhe war eine Klage von drei Männern, die vor das Verfassungsgericht gezogen waren, weil sie durch eine Absprache ihrer Meinung nach kein faires Verfahren bekommen hätten.
In einem Fall war ein junger Polizist wegen schweren Raubes verurteilt worden, weil er angeblich einem Schwarzmarkt-Händler Zigaretten abgenommen und für sich behalten hatte. Das Gericht stellte ihn vor die Wahl: ohne Geständnis vier Jahre Haft, mit Geständnis zwei Jahre auf Bewährung. Daraufhin erklärte der Angeklagte pauschal, die Vorwürfe entsprächen der Wahrheit - und bekam die Bewährungsstrafe. Zeugen wurden nicht mehr gehört. Später widerrief der Polizist sein Geständnis: Er habe es nur abgegeben, weil das Gericht ihn unter Druck gesetzt habe.
Kein Beschuldigter dürfe gedrängt werden, sich selbst zu belasten, betonten die Richter des Zweiten Senats. Auch der Grundsatz, dass die Schuld Voraussetzung für eine Strafe sei, müsse gewahrt bleiben. Die Gerichte seien auch bei einer Verständigung verpflichtet, "den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären". Sie müssten zwingend prüfen, ob ein Geständnis den Tatsachen entspreche. Die Fälle müssen nun neu aufgerollt werden.
Quelle: ntv.de, ieh/dpa/AFP