Späte Gerechtigkeit Prozess im Fall Gartenschläger
07.05.2002, 11:20 Uhr26 Jahre nach der Erschießung des DDR-Regimegegners Michael Gartenschläger an der innerdeutschen Grenze stehen seit heute in einem der letzten großen Prozesse um Schüsse an der innerdeutschen Grenze zwei hohe frühere Stasi-Offiziere in Berlin vor Gericht. Sie sollen mitverantwortlich für den Tod Gartenschlägers sein, der in der Nacht zum 1. Mai 1976 an der DDR-Grenze bei seinem dritten Versuch erschossen worden war, vom Westen aus eine Selbstschussanlage abzubauen.
Auf Veranlassung des heute 90-jährigen ehemaligen Generalleutnants und damaligen Hauptabteilungsleiters im Ministerium für Staatssicherheit, Karl Kleinjung, sollen die beiden weiteren Angeklagten im April 1976 einen "Maßnahmeplan" zur Festnahme oder "Vernichtung" Gartenschlägers erarbeitet haben, um "weitere Angriffe auf die SM 70 zu verhindern". Auf Grund dieses Plans sei ein Stasi-Sondertrupp an dem betreffenden Grenzabschnitt eingesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Totschlag vor.
Zum Auftakt des Prozesses wurde das Verfahren gegen Kleinjung abgetrennt. Der 90-jährige sei nicht verhandlungsfähig, entschied die Kammer. Daher müssen sich jetzt nur noch zwei 70 und 61 Jahre alte Angeklagte vor Gericht verantworten. Laut Anklage sollen sie einen Befehl herausgegeben haben, wonach Täter, die die DDR-Grenzanlagen verletzten, "festzunehmen oder zu vernichten" seien.
Der jüngere der beiden Männer erklärte vor Gericht, weder „vernichten“ noch „liquidieren“ hätten im Sprachgebrauch des Militärs bedeutet, einen Menschen zu töten. Vielmehr sei eine Festnahme beabsichtigt gewesen. Schusswaffen sollten nur in Notwehr eingesetzt werden.
Damit bezog sich die Verteidigung auch auf ein Urteil des Landgerichts Schwerin aus dem Frühjahr 2000, in dem die Mitglieder des Sondereinsatzkommandos, das Gartenschläger erschossen hatte, freigesprochen worden sind. Das Gericht hatte nicht ausschließen können, dass die tödlichen Schüsse auf den bewaffneten Gartenschläger in Notwehr abgegeben worden seien. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil mittlerweile bestätigt.
Der dem Gericht vorliegende Maßnahmenplan sei nicht identisch mit der Ausfertigung, die sie bei ihren Vorgesetzten abgegeben hätten, erklärten die Angeklagten. Zudem beriefen sie sich darauf, dass ein weiterer, inzwischen verstorbener Offizier die Befehlsgewalt über den Einsatz hatte, bei dem Gartenschläger getötet wurde.
Gartenschläger war es zwei Mal gelungen, die von der DDR verheimlichten "Todesautomaten" abzubauen. Die öffentliche Präsentation hatte die DDR weltweit bloßgestellt. Beim dritten Versuch, die Selbstschussanlagen vom Westen aus abzumontieren, wurde der damals 32 Jahre alte Gartenschläger von neun Schüssen getroffen und starb.
Gartenschläger war im September 1961 als 17-Jähriger in der DDR nach Protesten gegen den Mauerbau zu lebenslanger Haft verurteilt und zehn Jahre später von der Bundesrepublik freigekauft worden. Von Hamburg aus startete er später seine Aktionen gegen die innerdeutsche Grenze. Für den Prozess sind bislang insgesamt zehn Verhandlungstage bis Ende Juni angesetzt. Die tödlichen Schüsse auf Gartenschläger sind bislang ungesühnt geblieben.
Quelle: ntv.de