Politik

Russlands Probleme und der Zorn der Straße "Putin wird nicht ewig regieren"

Auch wenn sich Russlands Noch-Regierungschef Wladimir Putin bereits als Sieger geriert: Noch sind die Wahlen nicht entschieden. Immer mehr Russen sind empört über das abgekartete Spiel des Machtwechsels in Moskau. Früher oder später müsse Putin gehen, meint der Russlandexperte Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Gespräch mit n-tv.de. Das Land stehe vor einem Berg Probleme. Russland und den Westen sieht er "mitten in einem Zivilisationskampf".

n-tv.de: Am Sonntag wählt Russland einen neuen Präsidenten und die jüngsten Umfragen sehen den derzeitigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin weit vorn. Steht Putins Sieg schon fest?

Seit Monaten demonstrieren Russen gegen Putin.

Seit Monaten demonstrieren Russen gegen Putin.

(Foto: AP)

Alexander Rahr: Die entscheidende Frage wird sein, ob Putin in der ersten Wahlrunde gewinnt oder ob er vielleicht doch in die zweite Wahlrunde muss. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es im letzten Moment noch eine Überraschung gibt. Die Oppositionskandidaten wachsen alle in ihre Rolle hinein und ich glaube, dass sie nicht unbedingt schlecht abschneiden werden. Jeder von ihnen scheint ein achtbares Ergebnis anzusteuern, und das könnte für Putin in der ersten Wahlrunde tatsächlich sehr knapp werden. Die Wahlen werden auf jeden Fall spannender, als wir das vor drei oder vier Monaten gedacht haben.

Seit Monaten demonstrieren Zehntausende in den großen Städten Russlands. Auf dem Land sieht das Leben allerdings oft ganz anders aus. Wie mächtig ist die Opposition wirklich?

Es gibt einen , der auf die Straße geht, der nach politischen Reformen durstet und auch Putin zwingen will, diese Reformen endlich umzusetzen. Man will nicht mehr regiert werden, man will mitregieren. Doch das ist nur ein Teil der Gesellschaft,  60 bis 70 Prozent der Bevölkerung wollen das alles nicht. Sie fordern vor allem Stabilität, ein starkes Russland, eine Machtvertikale und eine Ordnungspolitik, für die Putin steht. Allerdings werden bei den Wahlen wohl selbst aus diesem Kreis der Bevölkerung auch viele für die oppositionellen Präsidentschaftskandidaten stimmen.

Woher kommt diese Unzufriedenheit mit Putin?

Die Art und Weise, wie Putin und der derzeitige Präsident Dmitri Medwedew künstlich die Ämter tauschten und praktisch als eine Art Parodie den Menschen vorgaukelten, dass hier eine seriöse Machtkonstellation neu entstehen würde, in Wirklichkeit aber alles nach einem abgekarteten Spiel roch, hat die Menschen gegen die Macht aufgebracht - sogar diejenigen, die Putin zuvor zwölf Jahre lang unterstützt haben.

Was war denn bisher das Geheimnis von Putins Erfolg?

Stabilität in Russland. Er hat immer wieder erklären und suggerieren können: "In den 90er Jahren habt Ihr furchtbar gelebt, es gab eine Krise nach der anderen und Russland stand vor dem Zerfall. Seit ich an der Macht bin, sind diese Probleme weg."

Und doch gibt es noch etliche Probleme, die nun zunehmend aufstoßen …

Putins Inszenierungen verlieren bei vielen Russen an Reiz.

Putins Inszenierungen verlieren bei vielen Russen an Reiz.

(Foto: REUTERS)

Es liegt ja einiges im Argen. Russland befindet sich mitten in einer Transformation von einer ganz schrecklichen Zeit - 80 Jahre Kommunismus, Totalitarismus, Ungleichheit –  in eine ungewisse Zukunft. Und natürlich  gibt es noch immense Probleme, die das Land bewältigen muss. Zunächst einmal muss sich in der Gesellschaft eine Mentalität durchsetzen, die europäisch ist. Die Menschen müssen die Geister und Gespenster der alten Zeit abschütteln. Das wird Jahre dauern. Dann muss eine moderne Wirtschaft errichtet werden, die nach westlichem Vorbild funktioniert. Das wird wahrscheinlich noch einmal über 20 Jahre dauern. Demokratische Institutionen müssen im Lande endlich funktionieren und dürfen nicht nur als Fassade gelten. Es reicht nicht, dass Putin oder die Opposition etwas von oben durchsetzen, vielmehr müssen die Menschen im Land das auch unterstützen und wollen.

Und wollen sie es?

Heute gibt es in Russland kaum eine Solidaritätsgemeinschaft. Alle wollen Geld verdienen, alle wollen raus aus dem Kommunismus, der sie gleich gemacht hat. Aber Konkurrenz wird absolut nicht akzeptiert, weder oben noch unten, und die Korruption ist sowohl oben wie auch für die Menschen unten das beste Mittel, um sich zu bereichern und nach vorne zu kommen.

Erwarten Sie denn, dass in Russland bald eine Zivilgesellschaft entsteht?

Ja, warum nicht? Russland ist eine Kulturnation, die sich immer sich in ihrer Geschichte an Europa orientiert hat. Sie hat in vieler Hinsicht den Westen kopiert, ohne es hundertprozentig zu kopieren oder dem Westen beizutreten. So ist die russische Geschichte. Man hängt immer einige Jahrzehnte, vielleicht ein oder zwei Jahrhunderte hinterher, aber letztendlich schafft das Land dann doch den großen Sprung und wird ein europäischer Staat.

Auch mit einem Putin an der Spitze?

Putin wird nicht ewig regieren. Ich rechne damit, dass er vielleicht sechs, vielleicht noch weniger Jahre als Präsident an der Macht bleibt. Er ist ja noch nicht so alt und er hat Russland auch noch einiges zu bieten, jedenfalls dem Teil der Bevölkerung, der ihn nun wählen wird. Es gibt -  und das ist das wichtige Argument dafür, dass er noch bleibt - im Moment keine echte Alternative zu ihm. Allerdings kann die Alternative sehr schnell kommen und dann wird Putin weggehen. Ich hoffe, dass er diesen Sprung freiwillig macht. Und freiwillig von der Macht loslässt. Ansonsten gilt für ihn der Slogan: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

Putin sieht allerdings nicht so aus, als würde er so schnell abtreten wollen …

Alexander Rahr ist Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Alexander Rahr ist Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Wer sieht denn in einer Nicht-Demokratie so aus, als ob er freiwillig die Macht abgibt? Auch Michail Gorbatschow hat die Macht abgegeben, als er vor der Alternative stand, entweder noch einmal Panzer gegen das Volk rollen zu lassen oder in Ruhe abzutreten. Boris Jelzin galt nicht als lupenreiner Demokrat und war halbautoritär wie Putin, nichtsdestotrotz hat er die Macht abgegeben, als er gesehen hat, dass er keine Unterstützung mehr im Volk hat. Ich denke, Putin ist kein Breschnew und auch kein Stalin. Im 21. Jahrhundert kann man mit stalinistischen Methoden Russland nicht mehr regieren. Auch Putin wird irgendwann einmal verstehen müssen, dass die Zeit gegen ihn spielt. Bis dahin wird er entweder einen Nachfolger finden, der seine Politik durchsetzt, oder es entsteht vielleicht ein Mehrparteiensystem in Russland und dann wird in einer anderen Partei ein neuer Anführer kreiert, der bei Wahlen die Präsidentschaft erringen will.

Doch scheinen einige Oppositionelle durchaus etwas zweifelhaft zu sein. Der Blogger Alexej Nawalny, der immer wieder die Korruption anprangert und die Machthaber als "Partei der Betrüger und Diebe" bezeichnet, schlägt beispielsweise auch gerne nationalistische Töne an.

Nawalny ist eine typische Figur, die in Russland im Mainstream schwimmt und eine theoretische Chance hätte, in der Tat Putins Nachfolge anzutreten. Genau so jemanden wünschen sich die Russen. Sie wünschen sich keinen echten Liberalen, von einer westlichen Demokratie haben die meisten Russen die Nase voll, Demokratie gilt für sie als Schimpfwort. Aber sie wollen auch keine totalitäre Struktur in Russland, die über alles herrscht und ihr Leben bestimmt. Patriotische Parolen kommen bei Russen sehr gut an, sie sind  so erzogen worden, ihre Geschichte ist immer heldenhaft gewesen. Aber Nawalny muss sich, wenn er eine Karriere machen will, in eine Partei integrieren und muss seine politische Karriere natürlich in den gegebenen politischen Strukturen machen. Von der Straße hinweg wird er nicht ins höchste Amt gefegt werden.

Auch Putin zückt im Wahlkampf die nationalistische Karte und beschimpft den Westen. Muss dieser sich auf eine neue Außenpolitik einstellen?

Ich glaube nicht, dass wir eine Neuauflage des Kalten Kriegs erleben werden. Allerdings werden wir viele Konflikte erleben, wir sind praktisch mitten in einem Zivilisationskampf. Auf der einen Seite der Westen, der für sich eine höhere Moral und ein besseres politisches System beansprucht, ein System, das man gerne auch auf andere Länder übertragen würde, auf Weißrussland, die Ukraine und Russland. Auf der anderen Seite  haben wir es in Russland mit einer Gegenbewegung zu tun, mit einem Verlangen nach eigenen Traditionen, die gehört werden müssen, nach einem anderen alternativen  Modell, das dem westlichen nicht unbedingt gleicht. Hier taktiert Russland auch sehr geschickt mit China, um eine Weltordnung zu verhindern, in der eben die westlichen Werteinteressen über denen souveräner Staaten wie Russland oder China stehen. Das ist ein Konflikt, der uns in den nächsten Jahrzehnten offensichtlich begleiten wird.

Mit Alexander Rahr sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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