Politik

Die Russen und die Krim-Krise Putins kurzsichtiger Triumph

Wladimir Putin fühlt sich von aktuellen Umfragen bestärkt.

Wladimir Putin fühlt sich von aktuellen Umfragen bestärkt.

(Foto: AP)

Der Westen ist entsetzt über Russlands Verhalten in der Krim-Krise. Im eigenen Land dagegen sammelt Putin mit seinem selbstbewussten Auftreten bei der Mehrheit Punkte. Doch längst nicht alle sind mit dem Konfrontationskurs einverstanden.

Das Auftreten von Russlands Präsident Wladimir Putin ist grotesk, und wenn die Lage auf der Krim nicht so ernst wäre, müsste man fast darüber lachen. Breitbeinig sitzt der Ex-KGB-Mann in seiner Residenz bei Moskau und erklärt der Welt seine Sicht der Dinge. Er behält sich militärische Schritte auf der Krim vor, weil Russen auf der ukrainischen Halbinsel bedroht seien. Zudem handle er auf Bitten des einzig legitimen Staatschefs des Nachbarlandes, Viktor Janukowitsch, der von faschistischen Banden aus Kiew vertrieben worden sei. Bislang sei aber noch nichts geschehen, Uniformierte vor den Kasernen des ukrainischen Militärs seien nicht etwa russische Soldaten, sondern natürlich lokale Selbstverteidigungskräfte, ihre Ausrüstung stamme aus frei zugänglichen Militaria-Läden.

Was im Westen die meisten Beobachter für dreiste und leicht zu durchschauende Lügen halten, scheint Putin im eigenen Land Punkte zu verschaffen. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VTSIOM weist so hohe Zustimmungswerte für den Kreml-Chef aus wie selten zuvor. 67,8 Prozent der Russen sind demnach mit Putins Arbeit zufrieden. Gefragt wurde am 1. und 2. März, also nachdem Russland nach der Krim griff. Das Eingreifen Russlands befürwortet die Mehrheit, 71 Prozent fordert eine aktivere Rolle auf der Krim.

Auch wenn die Ergebnisse des staatlichen Umfrageinstituts mit Vorsicht zu genießen sind, weisen sie auf einen Trend hin, der real und zugleich wenig verwunderlich ist. Denn das Gros der Russen informiert sich über das Weltgeschehen über das Fernsehen, das fest in staatlicher Hand liegt. Berichte über die Proteste in Kiew oder die Vorgänge auf der Krim spiegeln die Version des Kremls wider. Viele Menschen im Land sind daher davon überzeugt, dass die Maidan-Bewegung vom Westen gesteuert oder ausschließlich von Neo-Faschisten angezettelt wurde. Damit kann der Umsturz nicht legitim sein, Russland muss nach dieser Logik die Ukrainer vor diesen Entwicklungen beschützen.

Mittelschicht wendet sich ab

Putin gefällt sich in der Rolle des nationalen Helden. In den vergangenen Jahren inszenierte er sich immer wieder als mannhafter Macher: etwa mit blanker Brust auf dem Pferd durch die Steppe Südsibiriens reitend oder als erfolgreicher Schatztaucher im Asowschen Meer. Der Westen schmunzelt über diese Auftritte. In Russland kaufen jedoch viele Menschen Putin diese Macho-Attitüde ab. Es gibt eine Sehnsucht nach einem politischen Führer, der Russland zu neuer Größe verhilft. Nach Ende des Kalten Kriegs fühlten sich einige Russen als Volk, das auf der falschen Seite der Geschichte steht. Dass Putin nun dem einstigen Erzfeind USA wieder die Stirn bietet und sich von Sanktionen und Appellen nicht beeindrucken lässt, empfinden sie als späten Triumph. Und das ist auch Putins innenpolitisches Kalkül.

Dabei ist das eine kurzsichtige Taktik. Denn dafür einen Bruch mit den westlichen Partnern zu wagen, ist nicht nur wegen der bedrohten Wirtschaftsbeziehungen ein Fehler. Putin ignoriert damit auch wichtige Strömungen innerhalb der russischen Gesellschaft. Zwar nimmt die Mehrheit Putin die einfachen Botschaften ab, jedoch sind es eher unpolitische und weniger gebildete Russen, die sich vom Staatsfernsehen überzeugen lassen. In Wahrheit findet aber eine Polarisierung statt. Die urbane Mittelschicht ist aufgeklärter. Sie informiert sich in ausländischen Medien, pflegt Freundschaften in der ganzen Welt, mit denen sie ihre Ansichten austauscht. Diese Mittelschicht wendet sich nun zunehmend ab.

Wirtschaftlicher Aufstieg reicht vielen nicht

Damit verstärkt sich ein Trend, der schon lange anhält. Die Wahl vor zwei Jahren, bei der sich Putin von Dmitri Medwedew eine verlängerte Amtszeit genehmigen ließ und dann kurzerhand mit ihm die Ämter tauschte, politisierte viele bislang Desinteressierte. Die Jahre der wirtschaftlichen Blüte haben die Mittelschicht satt gemacht. Den Aufsteigern reichten die neuen ökonomischen Perspektiven nicht mehr, sie sehnten sich auch nach dem Rest dessen, was den Westen ausmacht: politische Teilhabe, offene Willensbildung und echte demokratische Einflussmöglichkeiten. Die Posse um Putins zweite Präsidentschaft führte ihnen vor Augen, wie weit Russland davon entfernt ist.

Das hegemoniale Auftreten Russlands in der Peripherie und die vollkommene Missachtung internationaler Ordnungsrufe verstärken diesen Anschein. Und führen zu Abwanderungsgedanken in der Mittelschicht. Schon vor der Krim-Krise trug sich unabhängigen Umfragen zufolge ein Drittel der städtischen, also gebildeteren Bevölkerung Russlands mit dem Wunsch der Emigration. Die vergangenen Wochen haben diese Tendenzen noch verstärkt. Mit einem solchen Brain Drain schadet Putin Russland auf Dauer mehr als er dem Land durch ein aufpoliertes Selbstbewusstsein hilft.

Quelle: ntv.de

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