Politik

"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" Rebellen wollen wählen lassen

Die Aufständischen stürzen Gaddafis Denkmal der Macht vor seiner ehemaligen Residenz in Tripolis.

Die Aufständischen stürzen Gaddafis Denkmal der Macht vor seiner ehemaligen Residenz in Tripolis.

(Foto: AP)

Noch ist der libysche Diktator nicht dingfest gemacht, schon stellt der Nationale Übergangsrat Wahlen in Aussicht. Im Frühjahr kommenden Jahres solle eine demokratische Regierung gewählt werden. Derweil ruft Gaddafi das Volk zum entscheidenden Kampf auf und spaziert nach eigenen Angaben unerkannt durch Tripolis. Über den Wiederaufbau des Landes zeichnet sich ein diplomatisches Ringen ab.

Der Nationale Übergangsrat der libyschen Rebellen hat Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in acht Monaten angekündigt. Der italienischen Zeitung "La Repubblica" sagte Mustafa Abdel Dschalil, man wünsche sich sei eine "demokratische Regierung" und eine "gerechte Verfassung". Der ehemalige Justizminister von Machthaber Muammar al-Gaddafi fügte hinzu: "Vor allem wollen wir nicht mehr vom Rest der Welt isoliert sein." Das "neue Libyen" müsse sich von der Vergangenheit unterscheiden und auf den "Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" aufgebaut sein.

Mitglieder des Nationalen Übergangsrates richten im Radisson-Hotel in provisorisches Pressezentrum ein.

Mitglieder des Nationalen Übergangsrates richten im Radisson-Hotel in provisorisches Pressezentrum ein.

(Foto: AP)

Was Gaddafi angeht, ist die vorherrschende Meinung innerhalb des Übergangsrats laut Dschalil, dass "ihm und seiner Bande" in Libyen ein fairer Prozess gemacht werden soll. Dazu sollten die Anzuklagenden lebend festgenommen und anders behandelt werden, als Gaddafi seine Gegner behandelt habe. Der langjährige Machthaber wird seit Juni per Haftbefehl wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht.

Ein Teil der Minister der Übergangsregierung wollte noch am Mittwoch von der Aufständischenhochburg Bengasi in die Hauptstadt umziehen. Dazu zählten die Minister für Öl und Kommunikation sowie für das Innen-, das Verteidigungs- und das Gesundheitsressort.

Pläne für den Wiederaufbau

In Doha wollen heute Vertreter des Nationalen Übergangsrates der Rebellen mit Diplomaten aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, der Türkei und dem Katar über die Freigabe eingefrorener Vermögen beraten. Der Übergangsrat bezifferte den unmittelbaren Investitionsbedarf auf 2,5 Milliarden Dollar.

Über den Wiederaufbau des ölreichen Landes zeichnete sich unterdessen ein diplomatisches Ringen ab: Der chinesische Außenminister Yang Jiechi sagte in einem Telefonat mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, dass die Vereinten Nationen den Wiederaufbau Libyens anführen und koordinieren sollten. Damit solle vermieden werden, dass allein westliche Staaten vom Wiederaufbau profitierten.

Deutschland will mit anpacken

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) geht indes davon aus, dass Deutschland eine Schlüsselrolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des neuen Libyens zustehe. "Das Land braucht jetzt einen Wiederaufbau, der es dauerhaft stabilisiert. Hier hat Deutschland eine besondere Kompetenz", sagte Westerwelle der "Passauer Neuen Presse". "Wir werden Libyen mit Rat und Tat zur Seite stehen, wenn das gewünscht wird."

Bilderstürze gehören zu Revolutionen dazu.

Bilderstürze gehören zu Revolutionen dazu.

(Foto: AP)

Grünen-Chef Chef Cem Özdemir sieht Deutschland hingegen in der Bringschuld. "Mit demokratischer Aufbauhilfe können wir Deutschen eine kleine Form der Wiedergutmachung dafür leisten, dass wir praktisch nicht dazu beigetragen haben, dass Diktator Gaddafi vertrieben wurde. Wir sind nun in der Bringschuld".

Auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, kritisierte die deutsche Haltung während des Libyen-Konflikts. "Außenminister Westerwelle hätte im UN-Sicherheitsrat 'Ja' zum Militäreinsatz sagen müssen. Jetzt gibt es Grund zur Freude über den Erfolg der NATO und der Rebellen". Deutsche Helfer sollten beim Wiederaufbau Libyens eine aktivere Rolle spielen als beim Sturz Gaddafis, so Mißfelder.

EU-Hilfe läuft an

Die Europäische Union kann ab sofort humanitäre Hilfe für die Bevölkerung Libyens leisten. "Wir sind bereit", heißt es in Brüssel. In den vergangenen Monaten seien erhebliche Lager von Hilfsgütern in dem von Rebellen kontrollierten Osten des Landes angelegt worden. Diese könnten nun schnell an Ort und Stelle geschafft und eingesetzt werden. Die EU hatte insgesamt 80 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in der derzeitigen Krise bereitgestellt. Gemeinsam mit anderen Hilfeleistungen sei die EU mit 150 Millionen Euro der mit Abstand größte Geldgeber Libyens.

Journalisten werden festgehalten

Einige der ausländischen Journalisten im "Rixos".

Einige der ausländischen Journalisten im "Rixos".

(Foto: dpa)

Gaddafis Anhänger halten 35 ausländische Journalisten in einem Hotel in Tripolis fest. Reporter der Sender BBC und CNN berichteten, die Journalisten würden daran gehindert, das Nobelhotel Rixos zu verlassen. Einen Kameramann des britischen Fernsehsenders ITN hätten die Bewaffneten mit einem Schnellfeuergewehr bedroht, berichtete BBC-Reporter Matthew Price. Es herrsche große Nervosität unter den Journalisten. Sie gingen davon aus, dass weiter Gaddafi-treue Scharfschützen auf dem Dach postiert seien. Das Hotel war telefonisch nicht erreichbar.

Gaddafi weiter kämpferisch

Derweil gibt sich Gaddafi trotz aller militärischen Rückschläge unbeugsam. Nach der Erstürmung seines Hauptquartiers durch Rebellen rief der 69-Jährige die Bevölkerung in einer Audiobotschaft zum Widerstand auf. Zuvor hatte Gaddafi in einer ersten Audionachricht angekündigt, er werde bis zum "Märtyrertod oder Sieg" kämpfen.

In seiner Residenz fielen immer noch vereinzelt Schüsse. Auch in der Nähe des internationalen Flughafens in Tripolis und im südwestlichen Vorort Al-Hadaba al-Chadra lieferten sich Aufständische und Anhänger Gaddafis weiter Gefechte. Laut Al-Dschasira griffen Regierungstruppen in der Nacht zudem die Rebellen-Hochburg Misrata mit Scud-Raketen an, die aus Sirte, der Heimatstadt Gaddafis, abgefeuert wurden.

Nach Gaddafis Rückzug feiern die Aufständischen im befreiten Regierungskomplex Bab al-Asisija.

Nach Gaddafis Rückzug feiern die Aufständischen im befreiten Regierungskomplex Bab al-Asisija.

(Foto: AP)

Trotz der Erfolge der Rebellen hat Gaddafi nach Ansicht von Kremlchef Dmitri Medwedew weiter Einfluss und militärische Macht. "Tatsächlich gibt es in dem Land eine Doppelherrschaft", sagte Medwedew nach einem Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Il in der sibirischen Stadt Ulan Ude. Das militärische Potenzial von Gaddafis Anhängern sei nicht erschöpft.

Ein Rebellensprecher sagte hingegen, die Frage sei nicht mehr, wo sich Gaddafi aufhalte, sondern nur noch, wann er festgenommen werde. Die Aufständischen hatten in der Nacht zu Mittwoch die Residenz des langjährigen Diktators in Bab al-Asisija in Tripolis eingenommen, von Gaddafi fehlte aber jede Spur. Noch ist unklar, ob er sich in der Hauptstadt Tripolis versteckt hat oder in den Süden des Landes geflüchtet ist.

Spaziert Gaddafi durch Tripolis?

Eine lokale Radiostation habe einen Aufruf von einem Mann verbreitet, bei dem es sich um Gaddafi handle, berichtete der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira. Darin habe er die Libyer aufgefordert, die Hauptstadt Tripolis von den Aufständischen "zu säubern". Gaddafi habe den Aufständischen Folter vorgeworfen. Sie würden Gegner "exekutieren".

Die BBC meldete unter Berufung auf den Gaddafi-treuen Sender al-Urubah, dass Gaddafi seinen Rückzug aus dem Militärkomplex Bab al-Asisija im Süden von Tripolis als "taktisches Manöver" bezeichnet habe. Die Anlage sei bereits durch 64 NATO-Luftangriffe in den vergangenen Monaten zerstört worden, habe er gesagt. Nach eigenen Angaben spazierte Gaddafi sogar unerkannt durch Tripolis, ohne eine Gefahr zu erkennen, wie der arabische Fernsehsender Al-Arabija berichtete.

Unterdessen kündigte die sandinistische Regierung Nicaraguas an, Gaddafi Asyl zu gewähren, falls dieser dies wünsche. "Wenn jemand uns um Asyl bitten würde, hätten wir dem positiv Rechnung zu tragen", sagte Bayardo Arce, einer der engsten Mitarbeiter des sandinistischen Präsidenten Daniel Ortega, in Managua. Dieser hatte seinem langjährigen Alliierten in der aktuellen Krise mehrfach Hilfe und Solidarität zugesagt.

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Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts

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