Optimismus in Lissabon Reformvertrag in Sicht
18.10.2007, 21:14 UhrNach jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs Europa von Grund auf erneuern. Die "Chefs" der 27 Mitgliedstaaten kamen in Lissabon zusammen, um die nötigen Verträge für Reformen und mehr Demokratie endgültig zu verabschieden. Italien und Polen, die ein Ja dazu von mehr Einfluss im Parlament und Ministerrat abhängig machten, drohten zwar mit Blockaden. Doch nach Einschätzung auch von polnischen Diplomaten konnten beide Länder mit Entgegenkommen rechnen.
"Es gibt Probleme, aber die halten sich in Grenzen", sagte der EU- Ratspräsident, der portugiesische Regierungschef Jos Scrates zu Beginn des zweitägigen Gipfels. Gleich zum Auftakt sendete der britische Premier Gordon Brown ein wichtiges Signal: Er werde seine vielfach euroskeptischen Bürgern nicht in einer Volksabstimmung befragen, sondern das Parlament die Verträge billigen lassen.
Merkel: vorsichtiger Optimismus
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartete schwierige Verhandlungen. "Ich gehe mit sehr vorsichtigem Optimismus in die Beratungen", sagte sie. "Wir sind wenige Millimeter vor dem Ziel, aber nicht im Ziel. Wenn alle sich anstrengen, dann kann man ein Ergebnis bekommen."
Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker sagte: "Es wird eine Einigung in Lissabon geben, weil es nötig ist, eine Einigung zu finden." Auch EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso war optimistisch: "Ich erwarte keine weiteren Komplikationen." Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, die meisten EU- Gipfel seien nicht einfach. "Auch dieser wird es nicht. Es geht um viel."
Die neuen Verträge sollen "Lissabonner Verträge" heißen. Dies bedeutet, dass Scrates die Dokumente nicht auf dem regulären Gipfel Mitte Dezember in Brüssel, sondern in der portugiesischen Hauptstadt unterzeichnen lassen will. Eine Gelegenheit bietet das Spitzentreffen der EU und der Staaten Afrikas Anfang Dezember in Lissabon.
Ersatz für die Verfassung
Die neuen Verträge sollen die 2005 in den Niederlanden und Frankreich gescheiterte Verfassung ersetzen und die Gemeinschaft handlungsfähiger machen. Die Rechtsgrundlagen sollen 2009 noch vor den Europawahlen in Kraft treten. In mehr Politikfeldern wie der Innen- und Justizpolitik sollen nun einfachere Mehrheitsentscheidungen möglich sein. Die Verträge sollen auch nationalen Parlamenten eine Einspruchsmöglichkeit gegen Gesetzesvorhaben geben und der EU außenpolitisch mehr Gewicht verleihen.
Brown sagte zum Ratifizierungsprozess in Großbritannien: "Das ist kein Verfassungsvertrag mehr, das sind Änderungsverträge." Das Versprechen seines Vorgängers Tony Blair, ein Referendum abzuhalten, gelte nicht mehr. Die nationalen Zuständigkeiten der britischen Regierung in der Innen- und Sicherheitspolitik, der Außenpolitik und in der Sozialpolitik seien gewahrt.
Einigung mit Polen sehr wahrscheinlich
Der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski bekräftigte noch einmal, sein Land werde nicht von der Forderung nach der Verankerung der sogenannten Ioannina-Klausel abrücken. Sie bietet die Möglichkeit bei knappen Entscheidungen in den Ministerräten, Beschlüsse zu verzögern. Diplomaten sagten, der Mechanismus könnte entsprechend in einem Protokoll zu den Verträgen festgehalten werden und sei damit rechtlich verbindlicher als die zunächst vorgesehene Form einer Erklärung. Robert Draba, Staatssekretär in der Kanzlei Kaczynskis, sagte: "Die Chancen auf eine Einigung mit Polen liegen bei 80 bis 90 Prozent."
Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi zeigte sich im Streit um die italienischen Sitze im Europaparlament hart: "Sie kennen die italienische Position", sagte er. "Darüber wird es für die Teilnehmer viel zu verhandeln geben."
Italien sieht sich durch die Verkleinerung des Parlaments von 785 auf 750 Sitze benachteiligt. Bisher hatten Italien, Frankreich und Großbritannien jeweils 78 Sitze. Künftig soll Italien 72, Großbritannien 73 und Frankreich 74 Sitze haben. Das Parlament hatte selbst beschlossen, sich zu verkleinern.
Streit mit Österreich beigelegt
Die EU und Österreich legten unterdessen ihren schwelenden Streit über Zulassungsbeschränkungen für deutsche und andere ausländische Studenten vorerst bei. Die Regierung in Wien kam mit der EU- Kommission überein, dass ein EU-Verfahren gegen die Einführung einer Quotenregelung an österreichischen Universitäten für fünf Jahre ausgesetzt wird. In dieser Zeit werde Österreich zusammen mit der Kommission nach einer Lösung suchen, sagte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Damit räumten beide Seiten ein Problem aus dem Weg, das auch ein möglicher Stolperstein für die Verabschiedung der Verträge war.
Quelle: ntv.de