Politik

"Merkel verkauft die Sicherheit der Bevölkerung" Regierung will Atom-Endlager privatisieren

In private Hände? Der Salzstock in Gorleben wird wieder als mögliches atomares Endlager geprüft.

In private Hände? Der Salzstock in Gorleben wird wieder als mögliches atomares Endlager geprüft.

(Foto: dpa)

Die Bundesregierung plant offenbar, Atommüll-Endlager in private Hände zu geben. Entsprechende Ziele sind nach einem Zeitungsbericht im neuen Atomgesetz formuliert. Zuständig könnte ausgerechnet ein Unternehmen sein, dass bislang über keinerlei Erfahrung verfüge. SPD-Chef Gabriel reagiert entsetzt. Derweil gibt Niedersachsen grünes Licht für die Untersuchung Gorlebens als mögliches Endlager.

Die Bundesregierung will einem Zeitungsbericht zufolge Atommüll-Endlager privatisieren. In neuen Entwürfen für das Atomgesetz solle das Bundesumweltministerium demnächst "die Wahrnehmung seiner Aufgaben mit den dafür erforderlichen hoheitlichen Befugnissen ganz oder teilweise auf Dritte übertragen" können, berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Bislang liegen die geplanten Endlager Gorleben und der Schacht Konrad in alleiniger Verantwortung des Bundesamtes für Strahlenschutz, das dem Bundesumweltministerium untersteht. Es würde damit faktisch entmachtet.

Nutznießer der Neuregelung könnte nach Angaben der Zeitung ein Unternehmen in Staatsbesitz sein, ein spezieller Passus widmet sich diesem Fall. Sollte der Staat die Hoheitsrechte an ein Unternehmen übertragen, das in alleinigem Besitz des Bundes ist, könnte es dem Entwurf zufolge weitgehend autonom wirtschaften. Der Bund würde dann nur noch die Einhaltung der Gesetze kontrollieren - eine fachliche Aufsicht sei "nicht erforderlich". Laut "SZ" kämen dafür nur die bundeseigenen "Energiewerke Nord" infrage. Sie sind der derzeit größte Eigentümer von Atommüll in Deutschland, haben aber bisher keine Erfahrung mit der Endlagerung. Einziger Gesellschafter der EWN ist das Bundesfinanzministerium.

Das Bundesumweltministerium betonte, es handle sich bei der Novelle nur um "langfristige Pläne". Der Bund wolle in dem Gesetz lediglich die Möglichkeit für eine andere Struktur verankern. Dem Bundesamt für Strahlenschutz ist der Passus im Gesetz dem Bericht zufolge neu. Die Opposition kritisierte das Vorgehen scharf. "Frau Merkel verkauft Schritt für Schritt die Sicherheit der Bevölkerung an die Atomwirtschaft", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel der "Süddeutschen Zeitung". EWN-Geschäftsführer Dieter Rittscher sei "für die skandalösen Einlagerungen" in dem maroden Atommülllager Asse mitverantwortlich. Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, sprach vom "ersten Schritt in die Vollprivatisierung der Atommüll-Endlagerung".

Grünes Licht für Gorleben

Fünf bis sieben Jahre könnten die Erkundungen in Gorleben dauern. Die Einlagerung insgesamt 50 Jahre.

Fünf bis sieben Jahre könnten die Erkundungen in Gorleben dauern. Die Einlagerung insgesamt 50 Jahre.

(Foto: dpa)

Ungeachtet des anhaltenden Protestes wird der Salzstock Gorleben ab Oktober als einziger Standort in Deutschland wieder auf seine Eignung als Endlager für hoch radioaktiven Atommüll erkundet. Das Land Niedersachsen hat dafür die Genehmigung erteilt. Nach zehn Jahren Pause lässt die schwarz-gelbe Bundesregierung damit das Bergwerk im niedersächsischen Wendland wieder unter Tage untersuchen. Atomkraftgegner kündigten für den 2. Oktober deshalb Proteste im Wendland an. Bundesumweltminister Norbert Röttgen will noch in diesem Jahr nach Gorleben reisen. Ein Termin steht aber noch nicht fest.

Das niedersächsische Umweltministerium verlängerte den Rahmenbetriebsplan für die Erkundung des Salzstocks bis zum 30. September 2020. "Im Oktober sollen die Erkundungsarbeiten in Gorleben wieder aufgenommen werden und möglichst in fünf bis sieben Jahren abgeschlossen sein", erklärte Umweltminister Hans-Heinrich Sander. Er forderte zugleich, es müsse eine Art "gläserne Erkundung" im Salzstock Gorleben möglich sein: Bürger und Kommunalpolitiker sollten über die Erkenntnisse unterrichtet werden. "Wir möchten den Bund dazu bringen, dass er alle bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Gorleben, und zwar die geologisch günstigen und auch die kritischen, vollständig auf den Tisch legt."

Niedersachsens Umweltminister Sander gibt grünes Licht, fordert aber ein transparentes Verfahren.

Niedersachsens Umweltminister Sander gibt grünes Licht, fordert aber ein transparentes Verfahren.

(Foto: dapd)

Außerdem sollten die Abfallbehälter aus dem Bergwerk unbedingt auch wieder herausholbar sein - für den Fall, dass die Sicherheit nicht mehr gegeben ist oder es neue Techniken zur Entsorgung gibt. Es müsse möglich sein umzukehren, sagte Sander. Der FDP-Minister schätzt, dass die Einlagerung der hoch radioaktiven Abfälle um die 50 Jahre dauern wird. Betreiber des Bergwerks ist das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter. Sander pocht auch darauf, dass internationale Experten die Erkundung begleiten. Nur durch ein transparentes Verfahren könne es gelingen, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu verbessern.

"Viel Geld auf ein totes Pferd"

Die Opposition kritisierte das Vorgehen in Gorleben und forderte die schwarz-gelbe Regierung auf, in anderen Regionen Deutschlands nach einem Endlager-Standort zu suchen. "Mit der Entscheidung wird unser Bundesland den Konstrukteuren des nationalen Atom-Klos überlassen", sagte Grünen-Landtagsfraktionschef Stefan Wenzel in Hannover. Auch SPD und Linke gehen davon aus, dass sich die Bundesregierung schon auf Gorleben als Endlager festgelegt habe - die CDU-Politiker weisen das aber zurück.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte: "Unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Erkundung wird jetzt an einem Endlager im industriellen Maßstab weitergebaut. Dabei geht es nur darum, den Energiekonzernen den formellen Entsorgungsnachweis für ihren Atommüll zu verschaffen." Auch andere Atomkraftgegner kritisierten die Entscheidung scharf. "Die Bundesregierung setzt viel Geld auf ein totes Pferd. Die fehlende Eignung des Salzstocks in Gorleben ist seit Jahrzehnten bekannt", erklärte der Sprecher der Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt, Jochen Stay. Das Aktionsbündnis X-tausendmalquer bezeichnete die Entscheidung als "einzige Provokation".

Proteste gegen Castor-Transport

Um den Salzstock wird seit Jahrzehnten erbittert gestritten. 1983 hatte die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl entschieden, Gorleben als einziges mögliches Endlager für hochradioaktiven Abfall in Deutschland genauer untersuchen zu lassen. Die jetzige Opposition sowie Umweltschutzgruppen haben wiederholt Zweifel an der geologischen Eignung des Salzstocks angemeldet und werfen Schwarz-Gelb vor, sie habe sich intern längst darauf festgelegt, in Gorleben ein Atommüllendlager einzurichten.

Derweil wächst die Sorge vor Ausschreitungen beim bevorstehenden Castor-Transport mit Atommüll im November ins nur wenige Meter vom Salzstock entfernte Zwischenlager Gorleben. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann rechnet mit besonders hohen Kosten für den Polizeieinsatz und fordert vom Bund finanzielle Unterstützung. Nach Angaben der Bürgerinitiative in Lüchow-Danneberg soll der Zug mit elf Atommüll-Behältern am 5. November im französischen La Hague starten.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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