"Das ist nicht wie 1968" Rice warnt Russland
14.08.2008, 07:33 UhrVor dem Georgien-Besuch von US-Außenministerin Condoleezza Rice hat sich die Tonlage zwischen Washington und Moskau im Kaukasus-Konflikt weiter verschärft. Russland müsse umgehend alle militärischen Operationen beenden und "anfangen, aus dem Loch herauszukommen, in dem es steckt", sagte Rice. Das Vorgehen Moskaus werfe die Frage auf, ob Russland der passende Partner für eine Reihe von internationalen Gremien sei. Rice warnte die russische Regierung vor Großmachtambitionen im Stil der ehemaligen Sowjetunion, nachdem Präsident George W. Bush zuvor bereits die Solidarität der USA mit Georgien bekundet hatte.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow stellte Washington dagegen vor die Wahl zwischen der Unterstützung Georgiens und einer Partnerschaft mit Russland. Frankreich bereitet unterdessen offenbar eine neue UN-Resolution auf der Basis des von der Europäischen Union (EU) vermittelten Friedensplans vor.
"Das ist nicht wie 1968"
Russlands müsse sich für sein Vorgehen in Georgien "auf internationale Verurteilung einstellen", sagte Rice in Washington. "Das ist nicht wie 1968 bei der Invasion der Tschechoslowakei, als Russland seine Nachbarn bedrohen, eine Hauptstadt besetzen, eine Regierung stürzen konnte und damit davonkam", fügte sie mit Blick auf die gewaltsame Beendigung des Prager Frühlings hinzu. "Die Dinge haben sich geändert." Die US-Außenministerin wollte am Donnerstag in Frankreich mit Staatschef Nicolas Sarkozy über die Lage in Georgien beraten und anschließend nach Tiflis weiterreisen.
Saakaschwili heizt Lage an
Der georgische Präsident Michail Saakaschwili heizte zusätzlich die Lage an. Er warf Russland vor, nie an einem Waffenstillstand interessiert gewesen zu sein. Moskaus Panzer "rücken langsam aber sicher weiter auf Tiflis zu", sagte Saakaschwili in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN. "Sie fahren damit fort, unsere Demokratie zu strangulieren." Moskau sei an keinem Dialog mit der georgischen Führung interessiert, sagte der Staatschef weiter. "Sie bringen uns doch sowieso um."
Bush warnte die Regierung in Moskau in seiner ersten ausführlichen Stellungnahme zum Kaukasus-Konflikt vor schwerwiegenden Folgen. Er erwarte, "dass alle russischen Truppen, die in den vergangenen Tagen nach Georgien marschiert sind, das Land wieder verlassen". Bush kritisierte auch, dass der Hafen von Poti blockiert werde und georgische Schiffe zerstört worden seien. Zudem kündigte er die Entsendung von Militärflugzeugen und Kriegsschiffen mit Hilfsgütern nach Georgien an.
Wogen glätten
Das Weiße Haus bemühte sich anschließend, die Wogen etwas zu glätten. Präsidentensprecherin Dana Perino sagte, dass die Beziehungen zwischen Russland und den USA nicht "gegnerisch" seien. Sie könnten am besten als "komplex und kompliziert" beschrieben werden. Als Reaktion auf das militärische Vorgehen Russlands gegen Georgien hat Washington bereits ein gemeinsames Manöver der US-Marine mit russischen Verbänden abgesagt und ein Sondertreffen der NATO-Außenminister kommende Woche einberufen.
Russland warnt USA
Lawrow sagte nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax, die georgische Führung sei "ein spezielles Projekt" der USA. Eines Tages müsse sich Washington aber zwischen einem "virtuellen Projekts" und einer "realen Partnerschaft" entscheiden. Der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin sagte im russischen Nachrichtensender NTV angesichts der aktuellen Krise einen Wandel der Beziehungen zwischen Russland und der NATO voraus.
Der belgische UN-Botschafter Jan Grauls teilte derweil in New York mit, dass die französische Delegation mit anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats Gespräche über einen neuen Resolutionsentwurf zur Kaukasus-Krise führe. Frankreich strebt demnach eine abgeänderte Fassung eines am Montag vorgestellten Entwurfs an, die den von der EU vermittelten Friedensplan berücksichtigen soll.
Russland und Georgien hatten in der Nacht zum Mittwoch grundsätzlich einem Sechs-Punkte-Plan zugestimmt, für den Sarkozy als amtierender EU-Ratspräsident in beiden Ländern geworben hatte. Das Dokument sieht nach französischen Angaben neben einer Waffenruhe vor, dass die georgischen Truppen sich in ihre üblichen Quartiere zurückziehen und die russische Armee hinter die Grenzen "vor Ausbruch der Feindseligkeiten".
Georgien hatte in der Nacht zum vergangenen Freitag einen Militäreinsatz gestartet, um die Kontrolle über seine abtrünnige Provinz Südossetien zurückzugewinnen. Moskau reagierte mit einer Gegenoffensive, die russische Armee drang dabei auch in georgisches Kernland vor. Nach russischen Angaben starben bei den Kämpfen 2000 Zivilisten. Durch den Konflikt wurden nach UN-Angaben rund 100.000 Menschen in die Flucht getrieben.
Entspannung in Gori
Ungeachtet des EU-Friedensplans waren russische Truppen am Mittwoch erneut auf georgisches Gebiet vorgerückt. Nach georgischen Angaben wollten sich die russischen Verbände aber am Donnerstag aus der umkämpften Stadt Gori zurückziehen.
Dort gibt es nach Medienberichten aus Tiflis und Moskau seit dem Morgen Anzeichen der Entspannung. Georgische Behörden und die russischen Streitkräfte teilten mit, dass die Situation in der Stadt 60 Kilometer vor Tiflis unter Kontrolle sei. Georgische Polizeikräfte würden nun für Sicherheit und Ordnung sorgen, sagte der örtliche Polizeichef Alexander Maisuradse laut Medien in Tiflis. Die geflohenen Einwohner der Stadt könnten von Donnerstagnachmittag an in ihre Häuser zurückkehren. Zuvor hatte es aus der Stadt Berichte über Plünderungen durch marodierende Soldaten gegeben.
Russland zieht sich Freitag zurück
Die russischen Streitkräfte seien auf dem Rückzug in die von Georgien abtrünnige Region Südossetien, sagte der Offizier Wjatscheslaw Borisow vom Moskauer Verteidigungsministerium laut der Agentur Interfax in Gori. Russische Soldaten würden sich noch etwa bis Freitag in der Region um Gori aufhalten, um den georgischen Sicherheitskräften die Kontrolle zu übergeben, sagte Borisow. Die russischen Soldaten hätten die Aufgabe, Waffen, Munition und Ausrüstung einzusammeln, die von der georgischen Armee bei ihrem Abzug zurückgelassen wurden.
"Die Lage in Gori ist im Großen und Ganzen ruhig", sagte der Chef des georgischen Sicherheitsrates, Alexander Lomaia, dem Fernsehsender Rustawi2 in Tiflis. Moskaus Armeegeneral Borisow wies Berichte zurück, russische Soldaten hätten in Gori, der Geburtsstadt des Sowjetdiktators Josef Stalin, geraubt und geplündert. Georgiens Menschenrechtsbeauftragter Sosar Subari erklärte in Tiflis, dass Einwohner in Gori vom Einfall "paramilitärischer Gruppen" berichtet hätten, die auch Menschen getötet und entführt haben sollen. Er kündigte eine Untersuchung der Vorwürfe an.
Quelle: ntv.de