Erneuerbar statt nuklear Röttgen will den Atom-Abschied
06.02.2010, 08:19 UhrDie Union sollte sich nach Auffassung von Bundesumweltminister Röttgen möglichst bald von der Atomkraft verabschieden. Die gesellschaftlichen Widerstände gegen die Atomkraft seien zu groß, sagt der CDU-Politiker. "Kernenergie hat auch nach vierzig Jahren keine hinreichende Akzeptanz in der Bevölkerung."

Atomstrategie paradox: Biblis A steht still, damit es nicht abgeschaltet wird.
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Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat die Union aufgerufen, sich möglichst bald von der Atomkraft zu verabschieden. Seine Partei müsse sich "gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will", sagte der CDU-Politiker der "Süddeutschen Zeitung". Bis zum Herbst werde die Bundesregierung darlegen, wie die Reaktoren schrittweise durch erneuerbare Energien abgelöst werden sollen.
Die gesellschaftlichen Widerstände gegen die Atomkraft seien zu groß, sagte Röttgen der Zeitung weiter. Kernenergie habe auch nach vierzig Jahren keine hinreichende Akzeptanz in der Bevölkerung. Deshalb dürfe die Union ihren Erfolg nicht davon abhängig machen, dass Kernkraftwerke störungsfrei laufen. Gleichzeitig warnte Röttgen davor, die Zusatzgewinne der Unternehmen mit einer Sonderabgabe abzuschöpfen. Der Staat müsse den Anschein vermeiden, er schöpfe Gewinne ab und mache dafür Zugeständnisse bei der Sicherheit. Dies sei auch verfassungsrechtlich schwierig.
Gegen Brüderle
Damit stellt sich Röttgen gegen FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, mit dem er bis Herbst das gemeinsame Energiekonzept der schwarz-gelben Regierung erarbeiten soll. Brüderle hatte kürzlich erklärt, "mindestens die Hälfte" der Sondergewinne abschöpfen zu wollen. Auch bei den Laufzeiten sind sich beide nicht einig. Während Brüderle sie vor allem vom Zustand der Meiler abhängig machen will, möchte Röttgen den Reaktoren höchstens acht Jahre mehr Laufzeit zubilligen.

Hier besteht noch Abstimmungsbedarf: Umweltminister Norbert Röttgen (r.) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle.
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Die deutschen Kernkraftwerke seien "auf 40 Jahre ausgelegt", sagte Röttgen. Gehe man darüber hinaus, "wäre das eine Zäsur". Auch müssten Sicherheitsstandards an den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik angepasst werden.
Erst am Freitag hatte Röttgen überraschend Bedingungen für den Atomausstieg genannt. "In dem Augenblick, indem wir 40 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Deutschland haben, gibt es keine Notwendigkeit mehr für Kernenergie", sagte Röttgen dem Bonner "General-Anzeiger". Der Minister machte dabei deutlich, dass er für das Jahr 2020 von einem Öko-Stromanteil von 30 Prozent ausgeht. Diese Zahl hatte die Bundesregierung bereits 2007 genannt. Röttgens Vorgänger Sigmar Gabriel war 2009 etwas optimistischer: Der heutige SPD-Chef erwartete für 2020 einen Anteil von 35 Prozent.
Erneuerbare versprechen 47 Prozent
"Die Laufzeit von Kernkraftwerken ist am Ende das Ergebnis von erneuerbaren Energien", sagte Röttgen. "Wir haben derzeit einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von 16 Prozent, bei der Kernkraft sind es 23 Prozent."
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) reagierte erfreut und bekräftigte seine Zusage, bis 2020 bereits 47 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland aus regenerativen Quellen zu decken. "Die Erneuerbaren Energien werden die von Minister Röttgen formulierten Bedingungen für das Ende der Kernkraftnutzung noch vor 2020 erfüllen. Damit kann und muss es auch nach Lesart des Ministers beim vereinbarten Atomausstieg bleiben", sagte BEE-Präsident Dietmar Schütz.
Netzausbau muss kommen
Innerparteilich ist Röttgens Vorstoß selbst bei Umweltpolitikern nicht unumstritten. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner sprach sich gegen jede Vorfestlegung aus.
"Der eingeengte Blick auf die erneuerbaren Energien springt zu kurz", kritisierte die CDU-Politikerin in der "Stuttgarter Zeitung". "Neben deren Ausbau müssen der Netzausbau ebenso vorangebracht wie Energiespeichertechnologien entwickelt werden, die eine ganztägige und eine ganzjährige Energiebereitstellung sicherstellen." Die Entscheidungen über den künftigen Stellenwert der Kernenergie und die Laufzeit der Atommeiler seien in ein Gesamt-Energiekonzept einzubetten.
Mit Tricks über die 32-Jahres-Grenze
Das nationale Energiekonzept soll bis zum Oktober vorliegen. Theoretisch müssten schon in diesem Frühjahr die Meiler Biblis A und Neckarwestheim 1 abgeschaltet werden. Berichten zufolge wollen die Betreiber dies verhindern, indem sie Reststrommengen des 2003 stillgelegten Kraftwerks Stade auf Biblis A und Neckarwestheim 1 übertragen.
Nach dem geltenden Atomausstieg dürfen die deutschen Atomkraftwerke nur 32 Jahre lang laufen. Allerdings wurde diese Laufzeit umgerechnet in Strommengen; diese allein sind maßgeblich. Einige der derzeit noch 17 Reaktoren, die - wie Biblis A und B in Hessen, Neckarwestheim 1 in Baden-Württemberg und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein - ihre Strommengen noch nicht produziert haben, sind derzeit schon älter als 32 Jahre. Biblis A und Brunsbüttel stehen, auch in Erwartung längerer Laufzeiten, seit Monaten still.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP/rts