Ein Betroffener berichtet Roma ziehen zurück ins Elend
20.09.2010, 17:23 UhrFast 8000 Roma hat Frankreich nach Rumänien zurückgeschickt. Einer der Betroffenen erzählt von seinem Schicksal. Die nackte Not hat ihn ins Ausland getrieben - und die Hoffnung auf ein anständiges Leben. Nun ist er zurück und fürchtet den Winter.
Die Roma-Familie Neda: Vater Miron, Mutter Daniela und die Kinder Manuela, Patricia und Bogdan.
(Foto: dpa)
Miron Neda hat seinen Sonntagsanzug an, dazu trägt er an diesem feuchtkalten Tag Plastik-Sandalen. Richtige Schuhe besitzt er nicht, ebenso wenig wie seine Frau Daniela (40) und die drei Kinder Patricia (10), Manuela (7) und Bodgan (4). Der 52 Jahre alte Rom aus dem westrumänischen Dorf Cheveresul Mare ist vor drei Wochen aus Paris zurückgekehrt. Geld hat er für die Rückkehr von den Franzosen nicht bekommen, sagt er, und auch kein Flugticket. Er hat sich freiwillig in einen Reisebus gesetzt und dafür 120 Euro bezahlt. Nach einem Monat als Zeitungsverkäufer an der Seine ist er mit so gut wie leerem Portemonnaie nach Hause gekommen.
Am Morgen des 30. Juli, gegen 7.00 Uhr, hatte die französische Polizei das Roma-Lager in Moulin-Galant am südlichen Stadtrand von Paris geräumt, wo Neda in einem Wohnwagen gehaust hatte. Er bekam ein Papier von der Präfektur des Departements Essonne, in dem er aufgefordert wird, das Land binnen eines Monats zu verlassen. Eine Begründung steht nicht auf dem Zettel, den der Mann heute sorgsam in einer Plastikhülle aufbewahrt. Er hat das Papier unterschrieben, ohne zu wissen was drin stand. Denn Lesen kann Neda nicht, schon gar nicht französisch. Dass er von den Franzosen kein Geld bekommen hat, liegt wohl daran, dass er schon einmal 2008 aus Frankreich ausgewiesen wurde und damals 300 Euro für eine "freiwillige Rückkehr" erhalten hat. Die Franzosen speichern die Daten dieser Rückkehrer. Ob Neda jemals wieder nach Frankreich geht? "Wie sollte ich? Sie würden mich wieder ausweisen", sagt er.
"Gebettelt habe ich auch"
An Nedas Haus bröckelt der Putz und gibt den Blick frei auf die Wand aus Lehm und Stroh. Drinnen, in der aufgeräumten Wohnküche, simmert ein Kraut-Eintopf auf dem mit Holz betriebenen Ziegelofen, der zugleich die einzige Wärmequelle ist. Eine Kanalisation gibt es nicht, Wasser holt man mit Eimern von einem Brunnen auf der anderen Straßenseite.
Neda hatte in Paris mit dem Zeitungsverkauf täglich höchstens 25 Euro verdient. "Ich will nicht lügen, gebettelt habe ich auch", sagt er, "vor einer Boulangerie" - das ist sein Lieblingswort in Französisch. Damit habe er an manchen Tagen zehn bis 15 Euro zusammen bekommen. Er hatte damit gerechnet, so seine Familie durch den Winter bringen zu können. Denn einen festen Job zu Hause hat er nicht. Bis 1995 war er Straßenkehrer in der nahen Kreishauptstadt Timisoara (Temeswar). Dann wurden dort Stellen abgebaut. Zu Hause verdient er hin und wieder etwas als Taglöhner in der Landwirtschaft. Dafür gibt es etwa 30 Lei (ca. 7,50 Euro) pro Tag. Aber was tun, wenn gerade kein Mais zu hacken, keine Ernte einzufahren ist?
Nackte Not trieb die Nedas nach Frankreich
Die Familie hat kein Geld, um den Kindern Kleider zu kaufen und schon gar keines für einen Arzt. Besonders nötig hätte es die Tochter Manuela, die bedeutend jünger wirkt als normale Siebenjährige. Sie mag auch nicht sprechen. "Ich glaube, sie hat es am Kopf", meint ihre Mutter. Ist das Kind geistig behindert, oder nur durch Unterernährung und mangelnde Förderung zurückgeblieben? Arzt müsste man sein.
Wie die meisten rumänischen Roma sind die Nedas keine Nomaden. Nach Frankreich trieb den Familienvater sichtlich die nackte Not. In Cheveresul Mare leben etwa 200 Roma. Von jeder Familie ist mindestens ein Mitglied in Frankreich, erzählt Viorel Marcu, ihr "Bulibascha" (Häuptling). Die meisten dieser Frankreich-Gäste hätten dort einen legalen Job - einer von ihnen ist auch der Zeitungs-Großhändler, von dem Neda die Blätter zum Straßenverkauf bekam. Die Roma haben daher in Paris einen festen Ansprechpartner. Sie fahren per Bus aus Rumänien gezielt nach Moulin-Galant bei Paris und kaufen einen alten Wohnwagen für 100 bis 300 Euro, den sie nach ihrer Abreise an die nächsten Anreisenden weiterverkaufen.
Häuptling lebt im Wohlstand
Der Bulibascha wohnt gegenüber von Neda, in einem blitzblanken Haus. Der Fußboden ist mit glänzenden Steinplatten ausgelegt, auf den polierten Möbeln steht Porzellan-Nippes. Woher der Wohlstand stammt, will der Häuptling nicht sagen. Auch er war 2008 in Frankreich, als Kompagnon des Zeitungs-Großhändlers. Auch er wurde ausgewiesen. Die Franzosen hätten damals jedem Rückkehrer 3600 Euro versprochen - in bar oder den Gegenwert in Nutztieren, mit denen sie sich in Rumänien eine Existenz hätten aufbauen sollen. Doch dieses Geld sei nie nach Cheveresul gekommen, sagt der Bulibascha. Dabei wäre dies die Lösung für die vielen armen Roma in seinem Dorf, sagt er: Investitionen, die Arbeit schaffen.
Quelle: ntv.de, Kathrin Lauer, dpa