Merkel steht zu Steinbrück "Ross und Reiter nennen"
19.03.2009, 08:11 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel hat vor einem internationalen Wettlauf um immer neue Konjunkturprogramme gewarnt. Zudem stärkte Merkel Finanzminister Peer Steinbrück den Rücken und forderte, im Kampf gegen Steueroasen "Ross und Reiter" zu nennen. Allein diese Androhung habe schließlich bereits Wirkung bei einigen dieser Länder in Europa gehabt, so Merkel.
Zuvor war sie aus der SPD scharf angegriffen worden. SPD-Chef Franz Müntefering warf Merkel mangelnde Konsequenz im Kampf gegen Steuerhinterziehung vor. Ihre internationalen Auftritte in dieser Sache seien "nicht glaubwürdig", wenn sie im Inland gleichzeitig zulasse, dass Steinbrücks Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung über Steueroasen von der Union blockiert werde. Müntefering drohte der Union "Krach" an, wenn das Gesetz nicht in der nächsten Woche vom Kabinett behandelt werde.
Drohbriefe aus der Schweiz
In der Schweiz ist der Streit seit Tagen Thema Nummer eins in den Medien. Die Erregung richtet sich vor allem gegen Steinbrück. "Ich bekomme Drohbriefe aus der Schweiz und werde als Nazi-Scherge beschimpft", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".
Steinbrück verteidigte den schärferen Kurs gegen die Steuerflucht. "Wenn der Kampf gegen Steuerhinterziehung mehr sein soll als eine Floskel, brauchen wir national wie international mehr Druck", sagte er. Deshalb heiße es in seinem Gesetzentwurf, wer mit Steueroasen Geschäfte mache, sei gegenüber dem Finanzamt auskunftspflichtig. "Wenn die Union das nicht mitmachen will, wird die SPD das zum Thema machen - auch im Wahlkampf", drohte er.
Kamele und Oasen
Im Bundestag warf die FDP Steinbrück unverantwortliches Verhalten vor. "Herr Finanzminister, diese Art und Weise des Umgangs mit unseren Nachbarländern ist eine schlichte undiplomatische Unverschämtheit", sagte FDP-Chef Guido Westerwelle. "Mit der Peitsche drohen, die Kavallerie gegen die Indianer schicken, ich glaube, diese Art und Weise ist schlichtweg unverantwortlich."
"Für den normalen Bürger ist weniger die Oase das Problem, sondern die Wüste drumherum", so Westerwelle. Die Regierung solle lieber dafür sorgen, dass die deutsche Steuerwüste wieder fruchtbarer werde. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast entgegnete Westerwelle: "In den Oasen saufen die großen Kamele. Sie haben sich heute wieder einmal als Schutzheiliger der großen Kamele, die anderen das Wasser wegsaufen, betätigt."
"Kooperation statt Abschottung"
"Das Motto heißt Kooperation statt Abschottung", gab Merkel im Bundestag als Zielsetzung für den EU-Gipfel heute Nachmittag in Brüssel und den Welt-Finanzgipfel Anfang April in London aus. Die EU-Staaten hätten Konjunkturpakete von 400 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. "Wir haben unseren Beitrag jetzt erst einmal geleistet und der muss wirken". Von neuen Konjunkturpakete halte sie daher "überhaupt nichts".
Es gehe darum, nationale Maßnahmen besser abzustimmen, damit sie sich nicht gegenseitig behinderten. Außerdem seien gemeinsame europäische Regeln nötig. Darüber hinaus müsse man Projekte besprechen, damit Europa gestärkt aus der Krise hervorgehe.
Alleingänge überwiegen
Allen Beschwörungen zum Trotz überwiegen in der EU allerdings nach wie vor nationale Alleingänge im Kampf gegen die Finanzkrise. Auch die von Merkel erwähnten 400 Milliarden sind lediglich eine Addition nationaler Konjunkturmaßnahmen. Forderungen von US-Präsident Barack Obama nach noch stärkeren Anstrengungen Europas weist die EU bislang zurück.
Das von der EU-Kommission geplantes Fünf-Milliarden-Programm zur Förderung von Energie- und Breitbandnetzen lehnt die Bundesregierung ab. Merkel gab sich dazu zurückhaltend. Die Bundesregierung werde nur Maßnahmen ihre Zustimmung geben, "wenn sie wirklich 2009 und 2010 substanziell begonnen werden". Alles andere mache keinen Sinn. Aus dem Kanzleramt hatte es zuvor geheißen, man schließe nicht aus, dass der EU-Gipfel keine Einigung erreicht. "Das Problem wird entweder gelöst oder es verschwindet", hieß es.
Lehren aus der Krise
Im Vordergrund des turnusmäßigen EU-Gipfels in Brüssel soll neben dem Kampf gegen die Finanzkrise und Lehren daraus nach Merkels Worten auch die Vorbereitung der Klimakonferenz für ein Anschlussabkommen zu Kyoto stehen. Europa wolle beim Klimaschutz Vorreiter bleiben, unterstrich sie.
Damit sich eine Finanzkrise wie der aktuelle nicht wiederhole, sei es zentral, dass die aktuelle Krisenbekämpfung gegenüber den Lehren aus der Krise nicht ein Übergewicht gewinne. Auf europäischer Ebene werde es dazu auch im Mai noch einmal ein Sondertreffen geben. Merkel unterstrich auch den Anspruch auf Solidarität, sollte ein EU-Land in Probleme geraten. "Wo Mitgliedsstaaten in Notsituationen geraten, werden wir helfen", sagte sie. Die erste Verantwortung liege jedoch beim dem jeweiligen Staat, alles zu tun, um seine Probleme allein zu lösen.
Quelle: ntv.de