Politik

Platzeck stolpert über die Vergangenheit Rot-Rote Versäumnisse

Für Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck geraten die ersten Tage seiner rot-roten Regierung zu einem Albtraum. Die Stasi-Enthüllungen in den Reihen seines Koalitionspartners machen normale Arbeit fast unmöglich, die Angriffe der Opposition werden immer heftiger. Platzeck will jedoch nicht von der Linkspartei abrücken und gesteht eigene Fehler ein.

Da waren sie noch ein Traumpaar: Platzeck und Kaiser nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages.

Da waren sie noch ein Traumpaar: Platzeck und Kaiser nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Matthias Platzeck war wirklich nicht zu beneiden. Über 800 Gäste hatten sich in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam versammelt, um mit einer glanzvollen Gala die Bambi-Verleihung zu feiern. Eigentlich ein angenehmer Termin für den Landesvater, bot sich doch die Chance, im Glamour der Stars und Sternchen ein Sonnenbad zu nehmen. Stattdessen holten den Ministerpräsidenten wieder einmal die Schatten der Vergangenheit ein.

Nach der Ehrung der DDR-Oppositionellen Christoph Wonneberger, Siegbert Schefke und Aram Radomski als "Stille Helden" trat Schefke für seine Dankesworte vor das Mikrofon. Er erinnerte an die Leipziger Montagsdemonstrationen, die er heimlich filmte und das Material in den Westen schmuggelte. Und konnte sich einen verbalen Seitenhieb gegen die rot-rote Koalition im Potsdamer Landtag nicht verkneifen. Ehemalige inoffizielle Stasi-Mitarbeiter gehörten in keine Regierung, erklärte der Journalist. Das saß. Platzeck, nach den Stasi-Enthüllungen in den Reihen seines Koalitionspartner politisch angezählt, kann diesen Abend nicht mehr genossen haben.

Volle Fahrt in unsichere Gewässer

Platzeck reagiert verschnupft auf das Chaos bei seinem Koalitionspartner.

Platzeck reagiert verschnupft auf das Chaos bei seinem Koalitionspartner.

(Foto: REUTERS)

Schon vor den Koalitionsverhandlungen war Platzeck klar, dass führende Linke mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zusammengearbeitet haben. Mit Kerstin Kaiser und Thomas Nord stehen zwei ehemalige IMs an der Spitze der Landespartei. Fraktionschefin Kaiser meldete während ihres Studiums in Leningrad Westkontakte und nachlässigen Kleidungssstil ihrer Kommilitonen, Landeschef Nord verriet als Marinesoldat die Fluchtpläne eines Kameraden. Ihre Vergangenheit ist ebenso wie die des Innenexperten Hans-Jürgen Scharfenberg (IM "Hans-Jürgen") und des Abgeordneten Axel Henschke (IM "Ingolf Köhler") seit langer Zeit bekannt. Platzeck wollte die Koalition trotzdem, weil er der Linken "die Fähigkeit des Dazulernens" zutraute. Mittlerweile bekennt der Ministerpräsident, die derzeitige Situation sei "ausgesprochen schmerzlich".

Einen Monat nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages scheint es, als hätte Platzeck einen folgenschweren Fehler begangen. Denn die Altlasten der Linken waren mitnichten beseitigt, und nun fallen sie der Koalition kurz nach ihrem Start auf die Füße. Akten der Birthler-Behörde belegen, dass einige Abgeordnete ihre Tätigkeit für das MfS bisher verschwiegen oder nur ungenügend darüber informiert hatten. Landtagsvizepräsidentin Gerlinde Stobrawa trat daraufhin von ihrem Amt zurück, die Abgeordnete Renate Adolph legte ihr Mandat nieder. Der nächste Fall ließ nicht lange auf sich warten, auch der kulturpolitische Sprecher Gerd-Rüdiger Hoffmann hatte seine Stasi-Tätigkeit nicht öffentlich gemacht. Zwar wehrte er sich lange gegen ein Mandatsverzicht, den die Fraktion ihm nahelegte. Schließlich kam er einem Ausschlussverfahren zuvor, um "mögliche Schäden abwenden" zu können.

Geschichtsaufarbeitung ohne Gewähr

Diese Schäden versucht die Partei schon seit Jahrzehnten zu bekämpfen – anscheinend ohne großen Erfolg. Schon auf dem 2. Parteitag der damaligen PDS im Juni 1991 forderte ein Beschluss die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte ein, die eine "wesentliche Voraussetzung für politische Handlungsfähigkeit" sei. Wer für Partei- oder Wahlmandate kandidiere, akzeptiere, dass die politische Biographie "keine Privatsache mehr ist", heißt es in einem Folgebeschluss von 1993. Deswegen müsse eine Zusammenarbeit mit der Stasi vor den Parteigremien offengelegt werden, damit diese eine Einzelfallprüfung veranlassen könnten. Über diese Regelung fiel 1994 auch Kerstin Kaiser, als sie nach dem Einzug in den Bundestag wegen ihrer Tätigkeit als IM von ihren Genossen gedrängt wurde, auf das Mandat zu verzichten. Ein seltenes Beispiel dafür, dass sich die PDS/Linkspartei nicht nur verbal von der SED distanziert, sondern auch Konsequenzen gezogen hat.

Thomas Nord und Kerstin Kaiser haben sich früh zu ihrer IM-Tätigkeit bekannt.

Thomas Nord und Kerstin Kaiser haben sich früh zu ihrer IM-Tätigkeit bekannt.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Chaos in der Potsdamer Linksfraktion nährt die Vermutung, dass die Aufarbeitung nicht ehrlich betrieben wurde. Hoffmann und auch Stobrawa verwiesen darauf, schon Anfang der Neunziger einer Prüfung unterzogen worden zu sein, die jeweils mit einer Empfehlung zur Weiterbeschäftigung endeten. Da allerdings lagen die Fakten offenbar nicht vollständig auf dem Tisch, wie sich heute zeigt.

1990 stellte die Ehrenkommission vor der ersten Legislaturperiode des Brandenburger Landtags fest, dass Gerlinde Stobrawa zwar als IM geführt, allerdings nie aktiv geworden war. Nach Angaben der "Berliner Morgenpost" sind in ihren Birthler-Papieren allerdings Dokumente aufgetaucht, laut denen die Linkspolitikerin als IME – Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz – geführt wurde und politisch unzuverlässige SED-Mitglieder angeschwärzt hat. Die Unterlagen seien damals nicht bekannt gewesen, sagte eine Sprecherin der Stasi-Unterlagenbehörde dem Blatt.

Alte Versäumnisse

Hier beginnt die Suche nach Platzecks persönlichen Fehlern. Denn seit 1990 hat es in Brandenburg keine systematische Stasi-Überprüfung aller Abgeordneten mehr gegeben. Kritiker unterstellen der SPD, unter Ministerpräsident Manfred Stolpe (1990-2002) eine Aufarbeitung verhindert zu haben. Stolpe hatte als Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg engen Kontakt zum MfS. Platzeck habe diesen Stil in seiner Nachfolge weitergeführt. Tatsächlich gestand der Ministerpräsident ein, hier einen Fehler begangen zu haben. In der Sondersitzung des Landtages zu den Stasivorwürfen beeilte er sich, eine Novellierung des Abgeordnetengesetzes anzukündigen, die eine Überprüfung aller Abgeordneten gewährleisten soll. Die Zügel hatte er da allerdings schon lange aus der Hand geben müssen. Die Fraktionen von SPD, CDU, FDP und Grünen hatten sich bereits entschlossen, eine freiwillige Überprüfung ihrer Mitglieder bei der Birthler-Behörde zu beantragen.

Noch versucht Platzeck, das Problem bei der "moralischen und politischen Integrität einiger Mitglieder des Landtages" zu verorten. In seiner Rede auf der Sondersitzung schob er den Schwarzen Peter an die geschassten Abgeordneten Hoffmann und Adolph weiter. Der Schaden für die gesamte Koalition ist jedoch nicht zu übersehen.

Futter für die Opposition

Die Opposition kann Rot-Rot nun genüsslich vor sich hertreiben. Blieb der CDU-Landesvorsitzenden Johanna Wanka nach der Entscheidung Platzecks für die Linkskoalition nur das Schimpfen über den "Verrat an der friedlichen Revolution" von 1989, haben die Christdemokraten längst wieder Oberwasser. Das Land sei nicht mehr regierbar, wetterte Generalsekretär Dombrowski, Bündnisgrüne und FDP stimmten in den Chor ein. Die Stimmung ist aufgeheizt, selbst der Fall Luthardt schlug hohe Wellen. Der Abgeordnete der Linkspartei hatte zuletzt eingeräumt, seinen Wehrdienst beim Stasi-Wachregiment "Feliks Dzierzynski" absolviert zu haben. Eine weitere Tätigkeit für das MfS bestritt er jedoch. Für Dombrowski brachte dieses Geständnis das Fass zum Überlaufen: "Das Bündnis muss beendet werden." Besonnener reagierten die Grünen. Fraktionschef Axel Vogel mahnte an, den Maßstab nicht zu verlieren. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Kralinski warnte vor einer "Hexenjagd" und verteidigte Luthardt: "Der Dienst im Stasi-Wachregiment schließt eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht aus."

Allerdings stehen auch die Genossen nicht mehr geschlossen hinter ihrem Koalitionspartner. Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion und ehemalige brandenburgische Sozialministerin, Dagmar Ziegler, forderte Platzeck auf, das Bündnis mit der Linkspartei zu beenden. Der Ministerpräsident verspiele das Vertrauen der Wähler. Das Vertrauen der SPD in die Linkspartei dürfte durch die Enthüllungen auch nicht gewachsen sein. Platzeck steht vor der Mammutaufgabe, die eigenen Reihen hinter der wankenden Linksfraktion zu schließen.

Im nächsten Jahr wird Potsdam erneut Gastgeber der Bambi-Verleihung sein. Ob Matthias Platzeck dann einen entspannten Abend genießen kann, hängt von seinem Krisenmanagement in den nächsten Wochen ab.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen