Massenproteste in Brasilien Rousseff will Volksabstimmung für Reformen
24.06.2013, 23:51 Uhr
Mit Investitionen in Höhe von rund 17 Milliarden Euro will Rousseff den öffentlichen Nahverkehr in Brasilien modernisieren.
(Foto: AP)
Brasiliens Präsidentin Rousseff geht auf die Demonstranten in ihrem Land zu. Sie schlägt eine Volksabstimmung über Politkreformen vor - und verspricht zugleich Milliardeninvestitonen für die Infrastruktur.
Als Reaktion auf die seit Wochen anhaltenden Proteste in ihrem Land unterbreitete Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff den Vorschlag, eine Volksabstimmung zur Einberufung einer Verfassungsversammlung abzuhalten. Diese solle über weitreichende politische Reformen beraten.

Nicht alle Demonstranten sind davon überzeugt, dass die Ankündigungen der Regierungschefin zu positiven Veränderungen in ihrem Land führen werden. So auch dieser mit Rousseff-Maske in Porto Alegre.
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"Brasilien ist reif, um weiterzugehen, und hat bereits klargemacht, dass es nicht stehen bleiben will", sagte Rousseff bei einem Treffen, das die Präsidentin sowie verschiedene Gouverneure und Bürgermeister mit Vertretern der Protestbewegung zusammenbrachte. Zudem kündigte sie Investitionen in Milliardenhöhe in den öffentlichen Nahverkehr an. Die Proteste gingen indes weiter, wenn auch mit verminderter Stärke.
Nach den Worten von Bildungsminister Aloizio Mercadante könnte eine Volksabstimmung am 7. September oder 15. November stattfinden; beide Tage sind gesetzliche Feiertage in Brasilien. Dies werde aber durch den Kongress festgelegt, der auch über das Plebiszit entscheide. "Die letzte Entscheidungsinstanz ist der Nationalkongress", betonte der Minister.
Der Oppositionspolitiker und mögliche Präsidentschaftskandidat Aécio Neves warf Rousseff vor, den Kongress übergehen zu wollen: "Es liegt in der ausschließlichen Kompetenz des Kongresses, eine Volksabstimmung einzuberufen. Um die Aufmerksamkeit abzulenken, gibt sie (Rousseff) dem Kongress ein Vorrecht, das die Legislative schon hat, und antwortet nicht auf die Sorgen der Bevölkerung."
"Großer Pakt" mit fünf Unterpakten
"Das Volk ist auf der Straße und will, dass die Änderungen weiter gehen. Die (Menschen auf den) Straßen sagen uns, dass sie öffentliche Dienstleistungen mit Qualität wollen, dass sie eine durchlässige politische Vertretung wollen. Sie wollen, dass der Bürger und nicht die wirtschaftliche Macht an erster Stelle steht", sagte Rousseff. Das Thema Politikreform habe schon oft auf der Agenda gestanden. Jetzt müsse die Initiative ergriffen werden, um aus dieser Sackgasse zu kommen.
Ihre Regierung werde 50 Milliarden Reais (rund 17 Milliarden Euro) für neue "Projekte für urbane Mobilität" bereitstellen, wie Rousseff nach dem Treffen in der Hauptstadt Brasilia verkündete. Unklar blieb, ob diese Summe bereits beschlossene Investitionen umfasst. Mit der Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs will die Präsidentin der Protestbewegung so bei einem ihrer zentralen Anliegen entgegenkommen.
Und auch auf weitere Kritikpunkte der Demonstranten ging Rousseff ein. So soll beispielsweise Korruption künftig als schweres Delikt eingestuft und mit schärferen Strafen geahndet werden, sagte die Staatschefin. Insgesamt schlug sie in Anlehnung an den von ihr angekündigten "großen Pakt" fünf Unterpakte mit verschiedenen Schwerpunkten vor. Neben der Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs auch das Bildungswesen sowie das Gesundheitssystem, in dem bereits existierende Reformvorhaben beschleunigt werden sollen. Bereits vor dem Treffen waren Überlegungen angekündigt worden, sämtliche Öleinnahmen in den Bildungssektor fließen zu lassen, sowie für den Ausbau des Gesundheitssektors tausende ausländische Ärzte anzuwerben.
Bislang vier Todesopfer
Im Großraum von Belo Horizonte, wo am Mittwoch das erste Halbfinal-Spiel des Confederations Cups zwischen Brasilien und Uruguay angepfiffen wird, blockierten Demonstranten mehrere wichtige Verbindungsstraßen. Bei der Blockade eines Busdepots in dem Ort Governador Valadares setzte die Polizei Pfefferspray ein. Etwa 100 Busse konnten wegen der Blockade das Depot nicht verlassen. Auch in Rio kamen wieder Demonstranten im Zentrum der Stadt zusammen.
Während einer Demonstration in der Stadt Cristalina kam es außerdem zu zwei Todesfällen. Zwei Frauen wollten in der rund 130 Kilometer von Brasilia entfernten Stadt eine Straße mit Autoreifen blockieren, als sie von einem Wagen erfasst und tödlich verletzt wurden. Der Fahrer des Wagens flüchtete. Damit kamen bislang vier Menschen bei den Protesten ums Leben. Keines der Opfer starb aber bei Auseinandersetzungen mit der Polizei, die in vielen Fällen mit massiver Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen war.
Die Proteste waren durch die inzwischen zurückgenommene Erhöhung der Ticketpreise im Nahverkehr ausgelöst worden. Längst richtet sich der Protest aber auch gegen Korruption, Ineffizienz und hohe Ausgaben für Sport-Großereignisse, denen geringe Investitionen bei Gesundheit und Bildung gegenüberstehen. Vergangenen Donnerstag hatten die Demonstrationen mit landesweit 1,2 Millionen Teilnehmern ihren Höhepunkt erreicht. Tags darauf versprach Rousseff den Demonstranten, ihre Forderungen anzuhören.
Quelle: ntv.de, bwe/AFP/dpa