Soldaten bleiben Rückzug abgeschlossen
22.08.2008, 20:22 UhrRund zwei Wochen nach Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen im Kaukasus hat Russland nach eigenen Angaben seine Truppen aus dem georgischen Kernland in das abtrünnige Südossetien zurückgezogen. Der Abzug sei um 17.50 Uhr MESZ abgeschlossen worden, teilte Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow in Moskau nach Angaben der Agentur Interfax mit.
Georgien dementierte diese Angaben. Ein Sprecher des Innenministeriums in Tiflis sagte, russische Truppen hielten sich immer noch auf georgischem Territorium auf, beispielsweise in Senaki und Poti. "Es ist nicht wahr, dass der Abzug vollendet ist", sagte Schota Utjaschwili.
Russlands Präsident Dmitri Medwedew hatte ein Ende des Truppenabzugs bis Freitag um Mitternacht angekündigt. Unterdessen gab es Kritik an der Absicht Russlands, auch nach dem Rückzug Schutztruppen in Georgien zu belassen.
Kein vollständiger Rückzug
Nach Einschätzung der US-Regierung hält sich Russland bei seinem Truppenrückzug aus Georgien nicht an die Vereinbarungen des Sechs-Punkte-Plans. "Sie haben sich nicht vollständig aus den Gegenden zurückgezogen, die als nicht umstritten gelten. Das müssen sie tun", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Gordon Johndroe.
Präsident George W. Bush sei in einem Telefonat mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy übereingekommen, dass Moskau die Vereinbarungen sofort umsetzen müsse. "Bislang haben wir das noch nicht gesehen", sagte Johndroe. Das US-Verteidigungsministerium teilte mit, bis auf die Erklärung Russlands habe man immer noch keine klaren Hinweise auf einen umfangreichen Militärabzug.
Soldaten bilden Pufferzone
Mehrere hundert Soldaten sollen nach Angaben des Generalstabs in Moskau als Schutztruppe die sogenannten Pufferzonen um die von Georgien abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien weiter kontrollieren. Die russische Armee werde ferner weiterhin die Autobahn kontrollieren, die Tiflis mit der Hafenstadt Senaki am Schwarzen Meer verbindet, sagte der stellvertretende Generalstabschef Anatoli Nogowizyn.
Georgiens Präsident Michail Saakaschwili kritisiert die russische Militäraktion als Besetzung. Die Bundesregierung erwartete von Russland den vollständigen Abzug. Die Russen hätten ihr Wort gegeben und würden deshalb jetzt auch beim Wort genommen, sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin. Verteidigungsminister Franz Josef Jung sprach sich für eine weitere Zusammenarbeit mit Russland erst nach Abzug der Truppen aus.
Kurz vor Ablauf der von Kremlchef Medwedew zugesicherten Rückzugsfrist hatten Russen wie Georgier von abziehenden russischen Verbänden berichtet. Die russischen Truppen hätten weite Teile des georgischen Kernlandes verlassen, sagte ein Sprecher des Sicherheitsrates in Tiflis laut der Agentur Interfax. Aus mehreren Städten wie Gori und Sugdidi seien die Kampfverbände bereits nahezu restlos abgezogen. Gori steht wieder unter Kontrolle der georgischen Polizei, hieß es.
Russische "Interpretation" des Friedensplans
Die Bundesregierung billigt Russland zu, in einer Pufferzone auf georgischem Kerngebiet vorübergehend eine begrenzte Zahl von etwa 500 Friedenssoldaten zu belassen. In Punkt Fünf des mit Hilfe Frankreichs vereinbarten Sechs-Punkte-Plans sei aber von vorübergehenden Sicherheitsmaßnahmen die Rede, die dann von einem internationalen Mechanismus abgelöst werden sollten, sagte Regierungssprecher Steg weiter.
Der amtierende OSZE-Vorsitzende, Finnlands Außenminister Alexander Stubb, sagte in Tiflis, der Friedensplan sei ernsthaft in Gefahr, wie der georgische Fernsehsender Rustawi-2 berichtete. Stubb betonte, er sei im Einklang mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nicht einverstanden damit, wie Russland den Friedensplan "interpretiert".
Der UN-Sicherheitsrat rang weiter vergeblich um eine Resolution zum Kaukasus-Konflikt. Bei den Beratungen in New York stand ein Resolutionsentwurf mehrerer westlicher Staaten einem Vorschlag aus Russland gegenüber. Letzteren lehnten die USA ab. Der Entwurf basiert zwar auf dem von Frankreich vermittelten sechsstufigen Friedensplan, erwähnt aber nicht ausdrücklich die Souveränität Georgiens.
Truppenerhöhung unter Vorbehalt
Der Generalstab in Moskau hatte zuvor mitgeteilt, Russland richte die Kontrollposten in den Pufferzonen um die von Georgien abtrünnigen Provinzen ein. Auch die Kontrolle von Verwaltungsgebäuden in den georgischen Städten Sugdidi und Senaki an der Trennlinie zu Abchasien falle darunter, hieß es weiter. Russland behalte sich zudem das Recht vor, die Zahl der Friedenssoldaten, die seit 1994 mit einem Mandat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Georgien stationiert sind, eigenhändig zu erhöhen.
Das erste Waffenstillstandsabkommen zwischen Georgien und Südossetien von 1992 schreibt vor, dass alle beteiligten Parteien dazu ihre Zustimmung geben müssen. Daran fühlen sich die Führung Südossetiens und deren Schutzmacht Russland seit dem Angriff Georgiens auf das abtrünnige Gebiet nicht mehr gebunden. "Wir werden Saakaschwili nicht um Erlaubnis fragen. Er selbst hat diese Situation durch seine aggressiven Handlungen herbeigeführt", sagte Nogowizyn.
NATO-Manöver im Schwarzen Meer
Der russische Generalstab bestätigte Berichte, wonach Moskau die militärischen Beziehungen zur NATO vorerst gestoppt hat. Die Militärführung kritisierte ein NATO-Manöver mit deutscher Beteiligung im Schwarzen Meer. Drei Schiffe eines NATO-Flottenverbandes aus Deutschland, Polen und Spanien waren am Donnerstag zu einer seit über einem Jahr geplanten Übung im Westen des Schwarzen Meeres eingetroffen, darunter die Fregatte "Lübeck".
Mit einer "Hilfsaktion für Georgien", wie von russischen Medien berichtet, habe dies nichts zu tun, betonte das Verteidigungsministerium in Berlin. Unterdessen nahm der US-Zerstörer "USS McFaul" mit Hilfsgütern an Bord Kurs auf Georgien.
Die EU-Kommission stockte unterdessen ihre humanitäre Hilfe zugunsten der Bevölkerung in Georgien auf. Für Nahrungsmittel, Notunterkünfte, Minenräumung oder Wasserversorgung stünden fünf Millionen Euro bereit, kündigte die EU-Behörde in Brüssel an. Als erster UN-Vertreter reiste Flüchtlingskommissar Antnio Guterres am Freitag in die südossetische Hauptstadt Zchinwali, um sich ein Bild über die dortige humanitäre Lage zu machen.
S üdossetien will von Russland anerkannt werden
Die Führung Südossetiens forderte Russland unterdessen zur Anerkennung der südossetischen Unabhängigkeit auf. Das Parlament in Zchinwali habe eine formale Anfrage an den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und an das russische Oberhaus gesandt, meldete die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Südossetien erfülle alle Voraussetzungen für eine Eigenstaatlichkeit, hieß es in der Anfrage.
Quelle: ntv.de