Politik

Solidarpakt heizt NRW-Wahlkampf an Ruhrpott kämpft um Kohle

Verfallene Häuser, marode Straßen - seit dem Niedergang des Bergbaus im Ruhrgebiet fehlt vielen Kommunen Geld.

Verfallene Häuser, marode Straßen - seit dem Niedergang des Bergbaus im Ruhrgebiet fehlt vielen Kommunen Geld.

(Foto: picture alliance / dpa)

Hoch verschuldete Kommunen in Nordrhein-Westfalen müssen wegen des Solidarpaktes Milliarden von Euro an Gemeinden in Ostdeutschland zahlen. Ist das gerecht? Bürgermeister sprechen von einem "perversen System". Jetzt versuchen auch die Spitzenkandidaten im NRW-Wahlkampf sich mit dem Thema zu profilieren.

Der Solidarpakt Ost verschärft den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. "Es kann nicht so bleiben, dass dauerhaft nur nach der Himmelsrichtung entschieden wird, wohin Gelder fließen", sagt FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner. "Bedürftigkeit muss mit Sicherheit wieder eine größere Bedeutung spielen." Wie er weiter vorgehen will, ließ Lindner noch offen. Eine Lösung für das Problem liege noch nicht auf dem Tisch, sagte er. Der Solidarpakt ist bis 2019 vertraglich festgelegt.

Lindner: "Bedürftigkeit muss mit Sicherheit wieder eine größere Bedeutung spielen."

Lindner: "Bedürftigkeit muss mit Sicherheit wieder eine größere Bedeutung spielen."

(Foto: dpa)

Aus genau diesem Grund spricht sich Lindners Konkurrent, der CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen, gegen Änderungen am Solidarpakt aus: Verträge seien einzuhalten, mahnte er. Zudem zeigt sich Röttgen überzeugt, dass Nordrhein-Westfalen seine finanziellen Nöte selbstständig lösen kann. "Es macht keinen Sinn, die Kommunen, die Großstädte im Westen gegen den Aufbau Ost und die Situation dort auszuspielen." Der SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft wirft er zudem Wankelmut vor: "Frau Kraft hat für den Solidarpakt gestimmt, selber dafür die Hand gehoben." Jetzt versuche die amtierende Regierungschefin, den Westen gegen den Osten auszuspielen.

Kraft sagte: "Jetzt ist endlich Westdeutschland dran." Ein vorzeitiges Ende des Paktes lehnt sie zwar ab. 2019 muss ihrer Meinung nach aber Schluss sein. Kraft forderte obendrein, dass Infrastrukturmittel des Bundes bis zum Ende des Abkommens in der Höhe nach Nordrhein-Westfalen fließen, die der Größe des Landes entsprechen.

Westfälische Kommunen besonders pleite

Als Kulturhauptstadt Europas kokettierte das Ruhrgebiet 2010 mit seinem maroden Industriecharme. Viele Ausstellungen zeigten historische Aufnahmen.

Als Kulturhauptstadt Europas kokettierte das Ruhrgebiet 2010 mit seinem maroden Industriecharme. Viele Ausstellungen zeigten historische Aufnahmen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Zwischenzeitlich erreichte die Debatte auch die Bundespolitik. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse wies die Forderung nach einer Änderung des Solidarpakts als "Zeugnis beschämender Oberflächlichkeit und mangelnden Verständnisses innerdeutscher Solidarität" zurück. Der Sozialdemokrat räumte allerdings ein, dass die Städte des Ruhrgebiets ebenfalls einen außerordentlichen Finanzbedarf hätten, und schlug einen "Ruhrsoli" vor.

Der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, sieht ebenfalls keine Notwendigkeit, am bestehenden Solidarpakt etwas zu ändern. "Wir haben eine klare Beschlusslage, wie lange er laufen soll: Dabei bleibt es", sagte Kauder.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann äußerte indes ein "gewisses Verständnis" für die Forderungen. Der Grünen-Politiker machte den Oberbürgermeistern im Revier aber keine Hoffnung: "Ich sehe nicht, dass dieser Solidarpakt vorher geändert wird."

Durch den Solidarpakt II erhalten die ostdeutschen Länder von 2005 bis 2019 insgesamt 156 Milliarden Euro an Finanzhilfen. Bund, Länder und Kommunen müssen diese unabhängig von ihrer Finanzsituation aufbringen. Die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen sind jedoch besonders pleite - nur acht von 400 Kommunen haben einen ausgeglichenen Haushalt. Viele verschuldete Städte führen ihre Lage auch auf die Finanzhilfen für den Osten zurück, die sie seit der Wende geleistet haben. Angestoßen haben die neuerliche Debatte über den Solidarpakt denn auch die Kommunen in Nordrhein-Westfalen.

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau hält den Solidarpakt für ein "perverses System".

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau hält den Solidarpakt für ein "perverses System".

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Essen etwa ist mit 2,1 Milliarden Euro verschuldet, davon soll ein Drittel auf den Solidarpakt zurückgehen. "Der Solidaritätspakt ist nicht mehr zeitgemäß. Künftig muss die finanzielle Situation als Kriterium für die Hilfe entscheidend sein", kritisiert Essens SPD-Oberbürgermeister Reinhard Paß das Abkommen in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung.

"Der Solidarpakt Ost ist ein perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat", sagte Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau der Zeitung. Es sei nicht mehr zu vermitteln, dass die armen Städte des Ruhrgebietes sich hoch verschulden müssten, um ihren Anteil am Solidarpakt aufzubringen, so der SPD-Politiker. "Der Osten ist mittlerweile so gut aufgestellt, dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld. Und bei uns im Ruhrgebiet brennt der Baum", sagte Sierau.

Ziel des Paktes war es, die Infrastruktur des Ostens und des Westens Deutschlands anzugleichen. "Das ist viel schneller erreicht worden, als wir uns das vorgestellt haben", sagte Frank Baranowski, Oberbürgermeister von Gelsenkirchen und Chef der Ruhr-SPD. Jetzt sei es an der Zeit, sich auf die Problemregionen im Westen zu konzentrieren. "Die Not ist hier viel größer. Das Ruhrgebiet braucht mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung."

Bürgermeister fordern Bundesratsinitiative

Wie viele andere Oberbürgermeister erwartet auch Baranowski von der künftigen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen eine entschlosseneren Haltung gegen den Solidarpakt. Baranowski fordert obendrein eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des Paktes. "Wir können nicht bis 2019 warten."

Die Verschuldung des Landes und seiner Städte und Kommunen war der Hauptgrund, weshalb die rot-grüne Minderheitsregierung in der vergangenen Woche aufgeben musste. Ihr Landeshaushalt war von der Opposition nicht gebilligt worden, weil er eine weitere Verschuldung vorsah.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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