Druck aus Moskau? Russischem TV-Sender droht Schließung
04.02.2014, 21:41 Uhr
Die Mitglieder der Punkband "Pussy Riot" gaben auf Doschd ihre erste Pressekonferenz nach der Entlassung aus dem Straflager.
(Foto: REUTERS)
Die Abkehr seines letzten großen Satellitenbetreibers bedroht Russlands wichtigsten unabhängigen Fernsehkanal "Doschd" in seiner Existenz. Der regierungskritische Sender sieht hinter dem Vorgang eine gezielte Attacke des Kreml.
Der regierungsunabhängige russische Fernsehsender Doschd sieht sich aufgrund der Abwendung seines wichtigsten Satellitenbetreibers von der Schließung bedroht. Wie der Satellitenfernsehanbieter Trikolor TV ankündigte, soll das Programm von Doschd ("Regen") vom 10. Februar an nicht mehr über seine Frequenzen ausgestrahlt werden. Michail Sigar, Chefredakteur von Doschd, sieht politischen Druck aus Moskau als Grund für die Entscheidung von Trikolor.
Zuletzt war der Sender wegen eines Berichts zum 70. Jahrestag der Belagerung Leningrads in die Kritik geraten. Doschd hatte in einer Online-Umfrage seine Zuschauer gefragt, ob eine Aufgabe Leningrads zum Schutz des Lebens Tausender Bürger zu rechtfertigen gewesen wäre.
Während der Belagerung des heutigen Sankt Petersburg durch die Deutsche Wehrmacht kamen rund eine Millionen Menschen ums Leben, die meisten davon durch Verhungern. Putins Sprecher Dimitri Peskow erklärte danach, der Sender habe "alle Grenzen des Tolerierbaren überschritten". Die Umfrage wurde rasch aus dem Programm genommen, der Sender entschuldigte sich.
Druck beginnt nach kritischem Bericht über Regierungspartei
Nach dem Ausscheiden bei Trikolor wird der Sender nur noch über das Internet sowie von einigen regionalen Anbietern ausgestrahlt. "Doschd wird also faktisch geschlossen", sagte Sigar. Zuvor hatten bereits die Betreiber Akado, Rostelecom und Beeline den Sender aus ihrem Angebot gestrichen. Trikolor mit seinen Millionen von Abonnenten war danach der letzte wichtigste Betreiber von Doschd gewesen. Die Reichweite des Senders verringert sich dadurch von rund 17 Millionen auf nunmehr 500.000 Haushalte, wie der britische "Guardian" berichtet.
Der TV-Anbieter gab Meinungsverschiedenheiten über die redaktionelle Linie als Begründung für die Abkehr von Doschd an - die Verantwortlichen des Senders vermuteten dagegen politischen Motive. Anfangs habe sich Trikolor dem Druck nicht gebeugt, sagte Chefredakteur Sigar. Die jetzige Entscheidung sei eine "Kehrtwende": "Es ist eine rote Linie, die zeigt, dass ein regelrechter Krieg gegen uns geführt wird". Auf einer Pressekonferenz sagte Sigar, der politische Druck habe eingesetzt, nachdem Doschd vor einigen Monaten eine Untersuchung des Oppositionellen Alexej Nawalny über den Immobilienbesitz von Verantwortlichen der Regierungspartei ausgestrahlt habe.
"Wir werden bis zum Schluss kämpfen"
"Die (Satelliten-) Betreiber haben nicht aus freien Stücken gehandelt", sagte Alexander Winokurow, größte Aktionär des Senders. "Wir sind uns sicher, dass sie unter Druck gehandelt haben." Doschd-Geschäftsführerin Natalia Sindejewa sagte, die Unabhängigkeit des Senders habe offenbar "gestört". Der Sender werde aber "bis zum Schluss" kämpfen und nicht sofort schließen.
Der im Jahr 2010 an den Start gegangene Sender gilt als der wichtigste oppositionelle Fernsehkanal Russlands. Er ist einer der wenigen, die einen kritischen Tonfall gegenüber Präsident Wladimir Putin anschlagen, weshalb er oft als "Oppositionssender" bezeichnet wird.
Doschd hatte nach den umstrittenen russischen Parlamentswahlen 2011 besonders intensiv über die anschließenden Proteste berichtet, woraufhin seine Zuschauerzahl vor allem in der Mittelschicht sprunghaft zunahm. Nach ihrer Freilassung aus der Lagerhaft Ende 2013 gaben die beiden Mitglieder von "Pussy Riot" auf Doschd ihre erste Pressekonferenz.
Quelle: ntv.de, bwe/AFP