Agentennetz ausgehoben Russland kritisiert US-Behörden
29.06.2010, 17:57 UhrMan fühlt sich an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert. US-Ermittler heben ein Netz von Agenten aus, die für Russland in den USA spioniert haben sollen. Elf Verdächtige werden in den USA und in Zypern festgenommen. Russland reagiert empört. Der Vorwurf sei unbegründet, heißt es. Ein Ex-Agent spricht gar von einer "Lachnummer".
Es klingt wie ein Spionagethriller mitten aus dem Kalten Krieg: Getarnt als Durchschnittsbürger, aber ausgestattet mit Geld aus Moskau, Geheimverstecken und ausgefeilten Verschlüsselungs-Methoden soll ein Agentennetz in den USA jahrelang für Russland spioniert haben. US-Ermittler, die sich selbst als russische Regierungsbeamte ausgaben, nahmen nach langwierigen Ermittlungen jetzt zehn Verdächtige in mehreren Städten im Nordosten der USA fest, wie das US-Justizministerium mitteilte. Der Elfte ging den zyprischen Behörden ins Netz, die ihn gegen 20.000 Euro Kaution wieder freiließen.

Die mutmaßlichen Spione Anna C., Vicky P., Richard M., Cynthia M. und Juan Lazaro bei ihrem Gerichtstermin.
(Foto: AP)
Russland reagierte verärgert. Regierungschef Wladimir Putin kritisierte das Verhalten der US-Behörden scharf und meinte, die US-Bundespolizei FBI habe sich "gehen lassen". Bei einem Treffen mit dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton nahe Moskau klagte er: "Die stecken einfach Leute ins Gefängnis." Putin schloss einen Rückschlag im zuletzt positiven bilateralen Verhältnis nicht aus. Die USA waren derweil um Schadensbegrenzung bemüht. Der Fall werde das Verhältnis zu Russland nicht belasten, sagte der stellvertretende Außenminister Philip Gordon in Washington. Die Zusammenarbeit gehe weiter.
Anklage erhoben
Gegen die mutmaßlichen Spione wurde Anklage wegen des Verdachts der Agententätigkeit erhoben, neun von ihnen wird außerdem Geldwäsche vorgeworfen. Den Verhafteten, die nach eigenen Angaben aus den USA, Kanada, Peru und Russland stammen, drohen bis zu 25 Jahre Haft. Die US-Bundespolizei FBI hatte sieben Jahre gegen den mutmaßlichen Schlapphut-Ring ermittelt.
Die Männer und Frauen, von denen manche als Ehepartner mit Kindern zusammenlebten, sollen teils seit den 1990er Jahren Informanten in politischen Kreisen rekrutiert und Daten für Russland gesammelt haben - über Atomwaffen, die amerikanische Iran-Politik, die CIA-Führung, wie die "New York Times" berichtet. Ihnen sei es gelungen, Kontakte zu einem früheren hohen US-Beamten für Nationale Sicherheit und einem Atomwaffen-Forscher zu knüpfen. Ob die Agenten aber an Staatsgeheimnisse oder Verschlusssachen kamen, ist offen.
"Augenblick raffiniert gewählt"
Das russische Außenministerium erklärte, der von der US-Justiz erhobene Vorwurf sei unbegründet "und verfolgt keine guten Ziele". Außenamtssprecher Andrej Nesterenko sagte nach Angaben der Agentur Interfax, das Szenario ähnle "Spionage-Skandalen aus dem Kalten Krieg". "Es ist bedauerlich, dass all dies vor dem Hintergrund des Neuanfangs mit Russland geschieht, der von der US-Regierung verkündet wurde." Außenminister Sergej Lawrow forderte von den USA Erklärungen. "Man hat uns nicht gesagt, worum es eigentlich geht. Ich hoffe, man erklärt uns das. Der Augenblick, in dem das gemacht wurde, ist ja raffiniert gewählt."
Erst am Donnerstag waren Obama und Medwedew im Weißen Haus zusammengetroffen. Dabei vereinbarten sie eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie eine stärkere Kooperation bei den Geheimdiensten und im Kampf gegen den Terror. Obama hatte den Kremlchef dabei als "Freund und Partner" bezeichnet. Medwedew sei "solide und verlässlich". Laut "New York Times" ist Präsident Obama "nicht glücklich" über den Zeitpunkt der Festnahmen. Die Ermittler seien aber besorgt gewesen, dass einige der Verdächtigen hätten fliehen können.
Eine "Lachnummer"
Der frühere Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB nannte die Spionage-Vorwürfe aus den USA eine politische "Lachnummer". Die Geschichte rufe bei jedem professionellen Geheimdienstler nur Gelächter hervor, sagte Ex-FSB-Chef Nikolai Kowaljow nach Angaben der Agentur Interfax. Dass insgesamt zehn oder elf "Illegale", wie Spione in russischer Geheimdienstsprache heißen, zusammengearbeitet haben sollen, sei "absoluter Blödsinn". "Ein Illegaler kontaktiert immer nur einen anderen Menschen - das ist die goldene Regel eines jeden Geheimdienstes auf der Welt", sagte Kowaljow.
Die Anschuldigungen aus den USA würden sich wie ein "billiger Kriminalroman deutlich unter dem Niveau von Agatha Christie" lesen. Es sei auch unverständlich, wieso sich Geheimdienstler mit Geldwäsche beschäftigen sollten. Aus Sicht von Kowaljow, der auch Parlamentsabgeordneter ist, ist die Affäre "ein ernster Schlag gegen die Politik von US-Präsident Barack Obama".

In diesem Haus in Yonkers, im US-Staat New York wurden zwei der mutmaßlichen Spione festgenommen.
(Foto: AP)
Der regierungskritische Moskauer Politologe Mark Urnow sprach von einem "beispiellosen Fall mit so vielen Festnahmen auf einmal". Sonst sei es aber nichts Außergewöhnliches, dass Staaten Geheimdienste einsetzten. "Diesmal hat es eben unsere Agenten erwischt", sagte Urnow. Er glaubt nicht, dass der Skandal den Neustart im Verhältnis zwischen den USA und Russland gefährdet.
"Ausbildung, Bankkonten, Auto, Haus"
Detailreich schildern die US-Ermittler die Arbeitsweisen der mutmaßlichen Spione, die angeblich auch die Identität von Toten annahmen: Im Vorbeigehen sollen dabei identische Taschen mit russischen Verbindungsleuten ausgetauscht worden sein. Botschaften für die Zentrale in Moskau wurden verschlüsselt auf Webseiten versteckt, die dem ungeschulten Auge nicht auffielen. Zur Übertragung von Informationen hätten Agenten Kurzwellentechnik verwendet und drahtlose Internet-Netzwerke an öffentlichen Plätzen aufgebaut, um Daten von einem Laptop zum nächsten zu senden.
Den Ermittlungen zufolge war das Agentennetz in den USA Teil eines Programms des russischen Geheimdienstes, in einer Reihe von Ländern Spione zu installieren. Mit Hilfe gefälschter Dokumente sollen die Agenten dabei "die Identität eines Bürgers oder legalen Bewohners des Landes annehmen, in das sie geschickt werden". Eine Weisung aus Moskau lautete: "Sie wurden auf eine langfristige Dienstreise in die USA geschickt. Ausbildung, Bankkonten, Auto, Haus - alles dient nur einem Zweck: Der Erfüllung der Hauptmission, d.h. Verbindungen zu politischen Kreisen knüpfen und Geheimdienstinformationen an C (die Zentrale) schicken."
Geld vergraben
Die FBI-Ermittler griffen derweil selber in die Agenten-Trickkiste und gaben sich bei ihren jahrelangen Ermittlungen auch als russische Regierungsbeamte aus und trafen sich mit den Verdächtigen. Am Sonntag schlugen die Fahnder dann in den Staaten New Jersey, New York, Massachusetts und Virginia zu. Fünf der Festgenommenen wurden am Montag einem New Yorker Haftrichter vorgeführt.
Dem im Zypern gefassten Verdächtigen werfen die Behörden dem Empfang und die Verteilung von Bargeld unter den Gruppenmitgliedern vor. Er soll außerdem im ländlichen Teil des Bundesstaat New York Geld vergraben haben, das zwei aus Seattle angereiste Mitglieder der Gruppe zwei Jahre später wieder ausgruben. Das zyprische Auslieferungsverfahren gegen den Mann soll in 30 Tagen beginnen. Nach Angaben der Polizei wurde er auf dem Flughafen Larnaka gefasst, als er nach Budapest fliegen wollte.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa