Politik

Interview mit Autor Boris Akunin "Russland wird nie wieder ein Imperium sein"

Erinnerungen an vergangene Größe: Offiziere der russischen Armee marschieren in Gedenken an den Zweiten Weltkrieg durch St. Petersburg.

Erinnerungen an vergangene Größe: Offiziere der russischen Armee marschieren in Gedenken an den Zweiten Weltkrieg durch St. Petersburg.

(Foto: REUTERS)

Der russisch-georgische Schriftsteller Boris Akunin gehört zu den schärfsten Kritikern von Wladimir Putin. Nach den Duma-Wahlen 2011 war er einer der Wortführer der "Bewegung für faire Wahlen". Das Vorgehen Moskaus in der Ukraine verurteilte Akunin mehrfach. Warum Putin als literarische Figur nicht taugt, nach welcher Droge das russische Volk süchtig ist und wie Deutschland jetzt mit Russland umgehen sollte, verrät der Schriftsteller im Gespräch mit n-tv.de.

n-tv.de: Als Russland die Krim annektierte, haben Sie katastrophale Folgen prophezeit. Inzwischen sind drei Monate vergangen. Haben sich Ihre Befürchtungen bewahrheitet?

Boris Akunin: Ich denke, Russland wird in nächster Zeit eine sehr schwere Belastungsprobe durchmachen. Bisher hat sich der russische Staat langsam entwickelt, nun muss er jedoch einen radikalen Wandel durchmachen. Offensichtlich verändert sich das System nicht durch Wahlen, sondern nur durch Explosionen.

Die westlichen Medien schreiben Wladimir Putin immer wieder die Rolle eines Bösewichts zu. Welche Rolle würde Putin in einem ihrer Romane spielen?

Boris Akunin, geboren 1956, schreibt Krimis und Romane. In Russland gilt er als einer führenden Autoren. Seine Werke wurden in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt.

Boris Akunin, geboren 1956, schreibt Krimis und Romane. In Russland gilt er als einer führenden Autoren. Seine Werke wurden in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Aus literarischer Sicht ist Wladimir Putin nicht besonders interessant. In meinen Romanen gibt es viele Bösewichter, aber das sind dämonische Gestalten, Persönlichkeiten mit einer großen Spannbreite. Putin scheint mir ein recht durchschnittlicher Autokrat zu sein. Er scheut radikale Schritte und macht im letzten Moment lieber einen Rückzieher. Er begeht viele Fehler, ist dabei aber vorsichtig. Er ist ein echter Oberst und wäre wahrscheinlich ein guter Regimentsführer, denn er verfügt über ein gutes taktisches Gespür. Aber im literarischen Sinn ist er keine interessante Figur.

Warum nicht?

Sein Aufstieg beruht nicht auf seinen persönlichen Verdiensten, sondern auf Fügung. Er wurde durch die Kraft der Umstände nach oben getragen. Deshalb muss er unbedingt an seinen Stern glauben, an irgendwelche Verbindungen mit Gott, an sein Karma - an irgendwas. Solche Leute sind für gewöhnlich nicht bereit, darauf zu hören, was ihre Umgebung sagt. Sie glauben ihrer eigenen inneren Stimme mehr, als der Meinung der Experten. Das wird so lange weitergehen, bis es zu einem Umsturz kommt.

Die neue Regierung in Kiew kämpft mit schweren Waffen gegen die Separatisten in der Ostukraine. Die Zahl der Toten steigt täglich auf beiden Seiten. Sehen Sie einen Ausweg?

Dafür ist es zu spät. Die Geschichte in der Ostukraine geht nicht mehr gut aus. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder endet es schlecht, oder es endet fürchterlich. Über die letztere Option will ich nicht sprechen. "Nur" schlecht geht es aus, wenn die ukrainische Regierung einen Weg findet, sich die Bevölkerung in der Ostukraine nicht zum Feind zu machen und wenn sie keine Siegesparade veranstaltet - gerade angesichts der enormen Verluste und einer derart stümperhaft geführten Militäroperation, die kein Ende findet. Ich fürchte, ohne Vermittlung einer neutralen Autorität wird man in dem Konflikt keine Lösung finden, weil beide Seiten schon zu weit gegangen sind.

Die Unterstützung für Wladimir Putin ist enorm. Viele scheinen ihn zu lieben, weil er den starken Mann markiert, der andere in die Schranken weist. Wie erklären sie sich das?

In Russland ist das nichts Erstaunliches. Russland hat seinen Großmacht-Komplex nicht ausgelebt. Diese imperiale Haltung verschwindet leider nicht so schnell, dafür braucht es einen Generationenwechsel. Was Putin dem russischen Volk gibt, wirkt wie Adrenalin, wie eine Droge. Wenn er sie injiziert, beginnt die alte Großmachtsucht von neuem. Die Euphorie, die das auslöst, kommt sehr schnell und ist sehr stark. Und das ist wirklich ein Verbrechen! Bei einem Volk, das ohnehin unter dieser Krankheit leidet, diese kaum verheilte Wunde wieder aufzureißen - dafür wird das gesamte Land bezahlen müssen.

Trotzdem genießt Wladimir Putin in Russland viel Rückhalt.

Aber Russland ist kein Imperium. Und Russland wird nie wieder ein Imperium sein. Damit muss man sich anfreunden, das muss man verstehen. Wir müssen uns unserem Land gegenüber anders verhalten. Russlands Interessen sollten nicht auf äußere Angelegenheiten gerichtet sein, sondern auf innere. Nicht darauf, die Nachbarn glücklich zu machen, sondern darauf, endlich ein normales funktionierendes Leben im Landesinneren aufzubauen. Was jetzt passiert, schiebt den grundlegenden Wandel der nationalen Mentalität für einige Zeit auf - kommen wird er ohnehin.

Was müssen Russland und der Westen tun, um aus der Spirale von Sanktionen und Eskalationen heraus zu kommen? Wie können wir die gegenwärtige Krise überwinden?

Dieses Problem muss Russland lösen, seine Bevölkerung lösen, aus dem Inneren heraus. Helfen ist schwer, denn damit der Kranke gesund wird, muss er gesund werden wollen. Aber zuallererst muss er verstehen, dass er krank ist. Wir in Russland müssen durch alle diese Etappen durch. Ganz generell sollten wir uns aber nicht der Macht der Klischees ergeben. In Russland leben ganz unterschiedliche Menschen, es gibt verschiedene gesellschaftliche Kräfte mit unterschiedlichen Einstellungen. Ihr solltet dem, was jetzt in Russland geschieht, mit Verständnis und Geduld begegnen: Unterstützen, was ihr für richtig haltet und sagen, was ihr als falsch anseht. Im Grunde sind es ganz einfache Dinge.

Mit Boris Akunin sprach Raphael Jung.

Quelle: ntv.de

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