Politik

Rücktritts-Nachwehen SPD-Angriffe auf Merkel

Nach dem Rückzug von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering haben führende Sozialdemokraten Zweifel an der Verlässlichkeit des Koalitionspartners geäußert. Er sei sehr enttäuscht über das Verhalten der Union bei den Verhandlungen über einen Mindestlohn für Briefzusteller, sagte Fraktionschef Peter Struck. Schließlich habe es eine Vereinbarung gegeben. Die Sozialdemokraten würden das Thema aber entschlossen weiterverfolgen, versicherte Struck.

Auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil griff den Koalitionspartner an: "Es ist eine Sauerei, was da passiert ist", sagte Heil. Merkel habe sich bei den Abmachungen mit der SPD als "außerordentlich unzuverlässig" erwiesen. Durch das Einschwenken von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf reine Lobbyinteressen und Positionen des CDU-Wirtschaftsflügels sei Vertrauen in der Koalition verspielt worden. Merkel müsse jetzt den Menschen ins Gesicht sagen, warum sich die CDU als "Partei der Lohndrücker" betätige.

"Die CDU steht auf der Reformbremse. Offensichtlich sind da Lobbyinteressen im Spiel, die Merkel dazu gebracht haben, sich von bestehenden Vereinbarungen der Koalition zu entfernen. So kann es nicht weitergehen. Wir müssen in der Koalition zu gemeinsamen Erfolgen kommen. Wir stehen in der Verantwortung. Dazu gehört, dafür zu sorgen, dass der wirtschaftliche Aufschwung weitergeht, aber auch dafür zu sorgen, dass dieser Aufschwung allen und nicht nur wenigen zugute kommt," sagte Heil bei n-tv.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla wies die Kritik zurück. "Der Ton der Sozialdemokraten gegenüber der Kanzlerin ist unanständig", sagte Pofalla. Er widersprach der Auffassung, dass sich die Kanzlerin Lobby-Interessen gebeugt habe. "In der SPD gibt es eine verschobene Wahrnehmung der Realität. Die CDU hat ein klares, zudem absolut faires Angebot auf den Tisch gelegt." Er verwies darauf, dass die Union letztlich auch mit einem Mindestlohn von acht Euro einverstanden gewesen wäre. Die Ablehnung des Angebots durch die SPD lasse nur den Schluss zu, dass sich die Sozialdemokraten kein Interesse an einer Einigung hätten, um sich das Thema für den Wahlkampf warmzuhalten.

Neue Zusammenarbeit

Die Bundeskanzlerin beriet sich unterdessen nach der Kabinettssitzung in Berlin erstmals mit dem künftigen Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier. Wahrscheinlich werde Merkel auch mit Steinmeier regelmäßig vor den Kabinettsrunden unter vier Augen wichtige Regierungsfragen klären, wie es die Regierungschefin mit dem bisherigen Vizekanzler Franz Müntefering getan hatte, so ein Regierungssprecher.

Müntefering nahm an der Kabinettssitzung wegen der Erkrankung seiner Frau nicht teil. In der Ministerriege seien die persönliche Betroffenheit der Kollegen, Anteilnahme und Bedauern über Münteferings Rückzug deutlich zu spüren gewesen, sagte der Sprecher. Die Ressortchefs wollen den Arbeitsminister in der nächsten Runde am kommenden Mittwoch offiziell verabschieden.

Tür ist nicht zu

Merkel werde sich aber nicht gegen einen neuen Anlauf beim Postmindestlohn sperren. Wenn in der Koalition weiter der Wille zu einem Mindestlohn bei der Post bestehe, "dann will die Kanzlerin mitmachen", sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg. Die Tür sei "in der Tat nicht geschlossen".

Alle Beteiligten hätten bereits vor den Gesprächen ihre Position nochmals deutlich gemacht. Stellungnahmen von Interessengruppen seien, dies sei "guter demokratischer Brauch", in die Beratungen mit eingeflossen. Es habe dadurch aber keine Vorfestlegung auf eine Entscheidung gegeben. Knackpunkt bleibe die Bedingung der Union, dass der Tarifvertrag für die Branche auch mindestens die Hälfte der Beschäftigten abdecken müsse. I

Ohne genaue Zahlen zu nennen, sagte Steg weiter, von beiden Seiten seien Vorschläge gekommen, die allerdings keinen Konsens fanden. Daher sei ein neuer Anlauf nötig, wenn es doch noch zu einem Mindestlohn in dem Bereich kommen solle. Bisher stehe das Thema noch nicht offizielle auf der Tagesordnung der nächsten Koalitionsrunde am 10. Dezember. Es sei aber durchaus möglich, dass es wieder aufgerufen werde, sagte Steg. Er ließ offen, ob dies bis zum Auslaufen des Post-Monopols zum Jahreswechsel noch gelingen kann.

Steg wies den Vorwurf zurück, die Koalition mische sich in die Tarifautonomie ein. Alle im Koalitionsausschuss genannten Zahlen zu einem Mindestlohn zwischen 8,00 Euro und 9,80 Euro seien im vorliegenden Tarifvertrag enthalten, der die Basis einer Allgemeinverbindlichkeit bilden sollte. Es habe in der Runde Einigkeit darin bestanden, die Tarifautonomie "als Wert an sich" zu betrachten.

Neuer Vorschlag

Der Wirtschaftsexperte Bert Rürup hat unterdessen angeregt, einen flächendeckenden Mindestlohn von 4,50 Euro einzuführen. Dieser sollte mit einem Kombilohnmodell verbunden werden, in dem der Staat die Einkommen von Geringverdienern aufstockt, schlug Rürup in der Wochenzeitung "Die Zeit" vor. Die vorliegenden Mindestlohn-Konzepte dienten vor allem als Hilfe für bestimmte Unternehmen und Branchen, um sie vor neuer Konkurrenz zu schützen. Rürup gehört dem "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" an.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen