Eine Auszeit für Minister Guttenberg? SPD sieht Käßmann als Vorbild
27.02.2011, 08:52 Uhr
Ein unglaublicher Vorgang: Offene Proteste gegen einen deutschen Politiker.
(Foto: dapd)
Die deutsche Demokratie steckt in einer Krise. Sinnbild dafür ist nach Meinung der SPD die Plagiatsaffäre um Verteidigungsminister Guttenberg. Die SPD appelliert an Bürger und Politiker, "unsere Demokratie wieder attraktiver zu machen, damit die Menschen nicht auf Trugbilder angewiesen sind, um sich in ihr wohl zu fühlen". In Berlin demonstrierten hunderte Menschen gegen den Verbleib Guttenbergs in der Politik.
Die SPD hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, durch ihr Verhalten in der Plagiatsaffäre um Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) der Demokratie erheblich zu schaden. "Viel schlimmer als das Verhalten Herrn zu Guttenbergs ist jedoch das Verhalten von Angela Merkel", sagte Parteichef Sigmar Gabriel der "Bild am Sonntag". Die Kanzlerin sei "die erste, die in Deutschland behauptet, dass jemand in seinem 'Privatleben' geistiges Eigentum stehlen und betrügen darf und trotzdem in seinem 'Beruf' Minister bleiben" könne. "Wenn das Schule macht, dann werden sich künftige Politiker darauf berufen. Das schadet der Demokratie ungeheuer", kritisierte der SPD-Chef.

Gabriel wirft Merkel vor, mit ihrem Festhalten an Guttenberg der Demokratie zu schaden.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Gabriel forderte Merkel auf, "dass sie niemanden, und sei er noch so populär, über das Gesetz stellt". Die Kanzlerin müsse Guttenberg "dazu bewegen, eine Auszeit von der Politik zu nehmen". Gabriel riet dem Minister, sich an der wegen einer Alkoholfahrt von allen Ämtern zurückgetretenen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann zu orientieren. Diese habe "wirkliches Verantwortungsbewusstsein und Haltung" bewiesen. "Rücktritte haben die Demokratie immer gestärkt, weil sie zeigen: die Demokratie lässt für Politiker keine anderen Spielregeln zu als für jeden normalen Bürger", fügte Gabriel hinzu.
"Attraktive Demokratie statt Trugbilder"
Er stufte die Plagiatsaffäre um den Verteidigungsminister als "ein Kennzeichen der Krise unserer Demokratie" ein. Dies betreffe Guttenbergs Aufstieg ebenso wie seinen Fall. "Viele Menschen empfinden Parteien und Politiker als technokratisch, weltfremd und häufig auch als grau und langweilig", sagte Gabriel. Guttenberg sei für viele eine Alternative gewesen - "scheinbar unabhängig, klar in der Sprache und dazu noch schick und mit dem Glamour des Adels".
Zu den immer noch hohen Beliebtheitswerten des Verteidigungsministers sagte Gabriel: "Viele wollen sich von diesem Bild noch nicht verabschieden. Es ist ja auch eine große Enttäuschung, wenn man auf einmal merkt, dass man einem Trugbild aufgesessen ist." Aus dem Fall Guttenberg müsse die Lehre gezogen werden, "dass wir unsere Demokratie selbst wieder attraktiver machen müssen, damit die Menschen nicht auf Trugbilder angewiesen sind, um sich in ihr wohl zu fühlen".
Das Sympathiepolste schmilzt
In den Umfragen wird Guttenberg dennoch bislang weiter als beliebtester Politiker geführt, eine klare Mehrheit ist gegen seinen Rücktritt. Forsa-Chef Güllner sagte im Deutschlandradio, Guttenberg habe ein so großes Sympathiepolster, dass es erst langsam schmilzt. "Das ist so, wie wenn ein Tier sich für die Winterpause ein Fettpolster anfrisst, dann zehrt es ja auch eine Weile von diesem Vorrat." Inzwischen gebe es aber schon "deutliche Sympathie-Dellen, und ich denke, dass dieses Sympathiepolster schon langsam, aber eben erst langsam abschmelzen wird".
Protest gegen ehrloses Verhalten
Am Samstag hatten hunderte Menschen in Berlin gegen den Verbleib Guttenbergs in der Politik und dessen Umgang mit der Plagiats-Affäre demonstriert. Die Demonstranten zogen vom Potsdamer Platz vor das Ministerium. Angemeldet war der Protestzug laut Polizei unter dem Motto "Protest gegen das ehrlose Verhalten des Verteidigungsministers, der Bundeskanzlerin und der Regierungsfraktionen im Bundestag".
Die Demonstranten hatten sich zu der Aktion verabredet, um "dem Lügenbaron den Schuh" zu zeigen – vermutlich in Anspielung auf diese Form des Protests in der arabischen Welt. Am Zaun des Ministeriums befestigten sie Schuhe und Schilder mit Schmähworten, unter anderem Anspielungen auf ein französisches Revolutionslied "Ah! Ça ira" aus dem 18. Jahrhundert.
In einem offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigen sich zahlreiche Doktoranden empört darüber, dass Merkel gesagt hatte, sie habe keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt. Sie sprachen von Verhöhnung ehrlicher Doktoranden und sammeln Unterschriften im Internet.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP