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Wagenknecht stellt Projekt vor Sahra feiert Geburtstag - und beerdigt die Linke

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Wagenknecht und ihre Mitstreiter vor den Kameras der Bundespressekonferenz.

Wagenknecht und ihre Mitstreiter vor den Kameras der Bundespressekonferenz.

(Foto: picture alliance / photothek)

Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen und die offizielle Vorstellung eines Trägervereins ist so etwas wie der Geburtstag des Projekts. Die Namenspatronin des Bündnisses, Sahra Wagenknecht, strotzt vor Selbstbewusstsein und großen Zielen - und lässt mit ihrem Austritt die Linkspartei kühl zurück.

Wer das Selbstvertrauen von Sahra Wagenknecht an diesem Montag ermessen möchte, muss notgedrungen mit einer nach oben offenen Skala operieren. Selten ist die Bundespressekonferenz in Berlin derart gut besucht wie bei der Vorstellung des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht. Die Namenspatronin des Bündnisses, aus dem bis Januar eine eigene Partei hervorgehen soll, nutzt die Gelegenheit zur Maßregelung des gesamten journalistischen Betriebs: "Es ist Ihr legitimes Recht, uns nicht zu mögen und andere Parteien vorzuziehen oder unsere Positionen nicht zu teilen. Aber setzen Sie sich bitte sachlich mit dem auseinander, was wir vertreten", sagt die 54-Jährige in ihrem Eingangsstatement. "Unterdrücken Sie die Versuchung zur falschen Darstellung und auch zur Kampagne."

In fester Erwartung von Widerspruch und Kritik an ihrem Projekt und dessen Zielen spricht Wagenknecht dem deutschen Medienbetrieb, dessen fester Bestandteil sie seit Jahren ist, Seriosität und das Bemühen um Objektivität ab. Medien-Bashing kommt in weiten Teilen der Bevölkerung immer gut an und markiert vorab jedweden Einspruch gegen Wagenknecht als Mittel der Kampagne. Die bekannteste Ostdeutsche nach Angela Merkel beklagt, dass "jeder, der von der dominanten Meinungsblase abweicht, ganz schnell diffamiert und stigmatisiert wird". Mit Blick auf ihre politischen Positionen zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sagt Wagenknecht: "Ich habe das ja selbst erlebt."

Die Russland-Nähe bleibt

Tatsächlich aber hat Wagenknechts Minderheitenmeinung zum Umgang mit Russland die Zahl ihrer ohnehin schon häufigen TV-Auftritte weiter nach oben katapultiert. Doch derlei Feinheiten haben in Wagenknechts Statement genauso wenig Platz wie ein kritisches Wort über Russland in der vierseitigen Pressemitteilung zur Gründung des Vereins BSW - zwei Absätze zur Forderung, Deutschland solle sich von USA und NATO entkoppeln, haben hingegen hineingefunden. Zudem will Wagenknecht die Bundeswehr nicht länger an der NATO-Außengrenze zu Russland, wie derzeit in Litauen, stationiert wissen.

Der Vorwurf der "angeblichen Putin-Nähe, die uns immer wieder unterstellt wird", wird das Bündnis Sahra Wagenknecht also absehbar verfolgen. Auch weil Wagenknechts Position, der Ukraine keine Waffen zu liefern und wieder russisches Gas zu beziehen, zu ihren unique selling points gehört: Das BSW vertritt reihenweise und zum Teil wortgleich AfD-Positionen, will aber mit deren rassistischen und völkischen Ideen nichts zu tun haben. Sie wolle Alternative für AfD-Wähler und -Sympathisanten sein, die mit Rechtsextremisten nichts am Hut haben, sagt Wagenknecht: "Wir bringen eine Partei an den Start, damit all die Menschen, die auch aus Wut, aus Verzweiflung, aber eben nicht, weil sie rechts sind, jetzt darüber nachdenken, AfD zu wählen oder das auch so gemacht haben, dass diese Menschen eine seriöse Adresse haben."

Ihr Name bleibt - erstmal

Anfang kommenden Jahres soll es so weit sein und die Partei mit dem Namen Sahra Wagenknechts gegründet werden. Mit ihrem Namen im Parteilogo wüssten auch die Menschen in jenen 15 Bundesländern, wo sie nicht zur Bundestagswahl antreten werde, wo sie ihr Kreuz zu machen hätten, sagt Wagenknecht. "Aber das wird keine Dauerlösung sein." Sie stellt sich und ihren Namen demnach nur in den Dienst einer größeren Sache. Die Linke, der sie - die Vorgängerparteien SED und PDS eingerechnet - mehr als drei Jahrzehnte angehört hat, habe ihr gar keine andere Wahl gelassen: "Wenn man ein ganz anderes Verständnis linker Politik hat, dann sollte man lieber getrennte Wege gehen." Immer wieder erwähnt Wagenknecht die vielen Zuschriften, die sie erhalte, in denen sie zur Gründung einer eigenen Partei aufgefordert werde, der die Verfasser umgehend beitreten wollten.

Bei allem Potenzial, das Wahlforscher und Politikwissenschaftler einer Wagenknecht-Partei zusprechen, weiß die langjährige Bundestagsabgeordnete natürlich auch um die zahlreichen Fallstricke auf dem Weg zur Etablierung einer neuen Partei. Mit der Vorstellung des Vereins BSW ist die Spendensammlung für die Parteigründung eröffnet. Dieser Montag ist gewissermaßen Geburtstag der Sahra-Wagenknecht-Partei, weshalb sie zusammen mit neun weiteren Linke-Abgeordneten aus der Linkspartei ausgetreten ist. Zum Wohl der Fraktionsmitarbeiter wollen die zehn noch bis Jahresende Fraktionsmitglieder bleiben. Denn mit dem Abgang von fast einem Drittel der Linksfraktion wird diese nur noch als Gruppe fortbestehen können und ohne Fraktionsstatus massiv an Geld und Mitspracherechten im Bundestag verlieren.

Kaperfahrt bei Linke-Verbänden?

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch will mit seinen verbleibenden Abgeordneten "in großer Ruhe darüber entscheiden", ob die Abweichler noch ein paar Wochen in der Fraktion bleiben dürfen, um diese zu erhalten. Wagenknecht und ihre Mitstreiter hätten auch einfach ihr Bundestagsmandat abgeben und die Linke dadurch andere Kandidatinnen nachrücken lassen können. Status und Mitarbeiterstellen der Fraktion wären so erhalten geblieben.

"Wenn es keine Kraft mehr gibt, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, dann hat das für Millionen Beschäftigte Konsequenzen. Deswegen glauben wir, dass es jetzt einfach wichtig ist, diesen Weg zu gehen", begründet Wagenknecht ihre Entscheidung, ihr Mandat zu behalten. Lieber beerdigt sie die Linksfraktion und damit womöglich die gesamte Partei, als ihr eigenes politisches Projekt. Außerdem hätten ihr Linke-Wähler geschrieben, die die Linke nur wegen Wagenknecht gewählt haben, sie wollten ihre Stimme zurück, wenn die Linke ohne Wagenknecht im Bundestag säße.

Neben Wagenknecht auf dem Podium sitzt Amira Mohammed Ali, die bis zum Ende des Sommers noch zusammen mit Bartsch die Linksfraktion angeführt hat. Sie ist nun Vorsitzende des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht. Geschäftsführer wird der ebenfalls zur Vorstellung anwesende Lukas Schön, der zwei Jahre lang Geschäftsführer des Linke-Landesverbands Nordrhein-Westfalen war. In einer Anzeige gegen Schön, die dem stern vorliegt, wirft der Landesverband Schön vor, im Oktober 2022 eine Kopie der Mitgliederkartei des gesamten Landesverbandes erstellt zu haben. Schön bestreitet auf der Bundespressekonferenz, die Daten kopiert zu haben. Dennoch hat das BSW noch vor der Gründung der eigentlichen Partei seinen ersten kleinen Skandal an den Hacken.

Das Spannungsfeld wird auch in den kommenden Monaten bleiben: Linke-Abgeordnete, die zum BSW wechseln, hantieren mit Ressourcen, die sie ihrem Mandat für die Linkspartei verdanken. Dazu zählen nicht nur ihre Büros und Mitarbeiter, sondern auch ihre Bekanntheit vor Ort und der direkte Kontakt zu den Wählerinnen. Die Hamburger Linke-Abgeordnete Zaklin Nastic beispielsweise ließ bereits am Tag vor der BSW-Vorstellung in der Hansestadt Plakate hängen, die für eine Veranstaltung zum Thema "Braucht es eine Sahra Wagenknecht Partei?" werben. Das Plakat ist in den Farben und Schrifttypen der Linkspartei gehalten, angekündigt wird aber ein Grußwort von Wagenknecht selbst. Nastic liegt wegen ihrer Unterstützung für Wagenknecht schon länger mit ihrem Landesverband über Kreuz und ist nun ebenfalls aus der Linkspartei ausgetreten.

Auch andere Abgeordnete mit Strahlkraft in die Partei schlagen sich auf Wagenknechts Seite. Dazu zählen Klaus Ernst, der bisherige Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Energie und Klimaschutz, sowie die Außenpolitikerin Sevim Dagdelen. Sie alle werden ihr Netzwerk nutzen, um möglichst viele Mitstreiter und Anhänger mit in das BSW zu nehmen. Dass nun aber die Linke demontiert werden soll, bestreitet Wagenknecht: "Das ist keine reine Veranstaltung jetzt für Menschen aus der Linken, aber selbstverständlich freuen wir uns über jeden, der uns da unterstützen will."

Parallelen und klare Unterschiede zur AfD

Aber Wähler und auch enttäuschte Mitglieder aller anderen Parteien seien willkommen. "Ich finde es gut, wenn Menschen, die auch beispielsweise die AfD gewählt haben und die jetzt zutiefst enttäuscht sind, wenn sie jetzt auf unser Projekt setzen." Programmatische Anknüpfungspunkte gäbe es für diese Wähler nicht nur im Umgang mit Russland. Auch Wagenknecht behauptet, abweichende Meinungen würden in Deutschland nicht mehr toleriert, auch Wagenknecht wirbt für eine enge Begrenzung der Zuwanderung, sie lehnt das Heizungsgesetz ab, spricht von "blindem Klimaaktivismus" und der "schlechtesten Bundesregierung" in der Geschichte der Bundesrepublik. Die EU-Kommission sei von Konzern-Lobbyisten gesteuert und müsse deshalb weniger Macht bekommen statt mehr.

Neben dem Umgang mit Rassismus unterscheidet sich das BSW in seinem bislang allenfalls unscharf umrissenen Parteiprogramm vor allem in wirtschaftlichen und sozialen Fragen von der AfD. Wagenknecht befürwortet höhere Mindestlöhne, will mehr Tarifbindung, ist für sozialen Wohnungsbau, will in Branchen mit monopolartigen Strukturen gemeinnützige Eigentumsformen. Die AfD dagegen fordert in Wirtschaftsfragen deutlich weniger Staat. Wagenknecht verbindet in ihren Ideen soziale Politik und mehr Nationalstaat. Ähnliche Vorstellungen sind auch bei vielen Mitgliedern und Wählern der ostdeutschen AfD-Landesverbände populär, weshalb der AfD durch die Wagenknecht-Partei ernsthaft Konkurrenz droht.

Eile vor Gründlichkeit?

Wagenknecht will explizit bei den drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen 2024 antreten, wenn sich bis dahin eine schlagkräftige Partei auf die Beine stellen lässt. "Wir werden langsam wachsen und kontrolliert", sagt dennoch der bisherige Linke-Abgeordnete Christian Leye. Wagenknecht sagt nach der Pressekonferenz im Gespräch mit RTL und ntv, "Spinner und Extremisten" sollten aus der zu gründenden Partei herausgehalten werden. Diese Sorgfalt steht aber in Konflikt mit dem straffen Zeitplan, um wie geplant zur Europawahl und dann auch noch bei drei Landtagswahlen anzutreten.

Andererseits muss die Partei im Werden das Momentum nutzen: Die Aufmerksamkeit für Wagenknecht ist nach Monaten des gespannten Wartens auf ihre Entscheidung über eine Parteigründung auf einem Höhepunkt. Um Spenden und dann bald auch Mitglieder zu sammeln, werden Wagenknecht und ihre Mitstreiter unbedingt im Gespräch bleiben müssen. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sie ihren bisherigen Unterbau namens Linkspartei noch brauchen.

Quelle: ntv.de

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