Cancún als Teil einer Gesamtstrategie "Sandwich statt Big Bang"
23.11.2010, 10:55 Uhr
"Kopenhagen hat den "Big Bang"-Ansatz zerstört - Greenpeace-Aktion am 7. Dezember 2009 vor der Küste der dänischen Hauptstadt.
(Foto: AP)
Es ist wieder soweit: Die Welt trifft sich zur Weltklimakonferenz. In diesem Jahr findet sie im mexikanischen Cancún statt. Vom 29. November bis zum 10. Dezember verhandeln die Staaten dort über den Klimaschutz der nächsten Jahre. Sicher ist: Einen Durchbruch wird es nicht geben. Aber, sagt der Klimaschutz-Experte Christoph Bals, das Treffen in Cancún kann die Basis legen für ein "Klima-Sandwich", an dessen Zubereitung bis 2015 zu arbeiten sein wird.
n-tv.de: Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen war die allgemeine Erwartung, ein Durchbruch sei unwahrscheinlich, aber denkbar - und wenn es in Kopenhagen nichts werde, dann sicher 2010 in Cancún. Mittlerweile rechnet kaum jemand mit einem Erfolg in Cancún, nicht einmal ein Erfolg 2011 in Südafrika gilt als sicher. Was erhoffen, was erwarten Sie von Cancún?
Christoph Bals: Kopenhagen hat den "Big Bang"-Ansatz zerstört - die Hoffnung, dass ein einzelnes Abkommen die Klimadiplomatie für die nächsten 10 Jahre gestalten kann. Jetzt geht es darum, die Klimaverhandlungen in einer ganz neuen Art und Weise so zu konzipieren, dass dieselben Ziele anders erreicht werden.
Aber sind diese Klimakonferenzen überhaupt noch zeitgemäß?
Kopenhagen war zwar alles andere als ein glänzender Erfolg. Aber die Konferenz hat das Thema in vielen Ländern auf die Tagesordnung gesetzt. In China etwa wussten vor zwei, drei Jahren nur 10 Prozent der Menschen etwas über den globalen Klimawandel. Heute sind es 90 Prozent. Und es geht bei den Verhandlungen nicht nur um Klimaschutz. Es geht auch darum, die besonders verletzlichen Staaten zu unterstützen und den Regenwald zu schützen - und auch darum, den Betroffenen eine Stimme zu geben.
Der kürzlich verstorbene SPD-Politiker und "Solarpapst" Hermann Scheer sagte einmal, technologische Revolutionen seien noch nie durch internationale Verträge ausgelöst worden. Er propagierte die Vorreiter-Methode, etwa wie beim deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz, statt jahrelang über Emissionsrechte zu verhandeln.
Hermann Scheer hat hier einen Gegensatz aufgebaut, den es in meinen Augen nicht gibt. Scheer hatte das Handeln vor Ort und Vorreiterkoalitionen im Blick. Beides ist unerlässlich, und tatsächlich gibt es sehr dynamische Aktionen in vielen Teilen der Welt, vor allem in China, in Südkorea, aber auch in Südafrika oder Brasilien, in Bangladesch, im Libanon oder in Costa Rica. Es bilden sich auch neue Koalitionen, um Dynamik zu erzeugen. Aber wir brauchen eine Dreifach-Strategie, und dazu gehören die internationalen Verhandlungen. Das größte Probleme für den Klimawandel - die Kohle und den Flugverkehr - löst man nicht alleine durch Vorreiterkoalitionen. Ein internationales Abkommen kann Vorreiterkoalitionen in Wettbewerbsfragen den Rücken freihalten. Cancún müssen wir als Bestandteil einer Gesamtstrategie begreifen, die zumindest bis 2015 gehen wird.
Wie soll in fünf Jahren ein Erfolg im Klimaschutz erreicht werden?
Um das in ein Bild zu bringen: Ich hoffe darauf, dass wir bis 2015 ein "Klima-Sandwich" mit den notwendigen Zielen, Verpflichtungen und Aktionen zusammenbekommen. Jetzt in Cancún, teilweise auch 2011 in Südafrika, müssen wir den unteren Teil dieses Sandwiches hinbekommen: Dabei müssen die Aktionspakete eingesammelt werden, zu denen die Länder sich jetzt schon verpflichten wollen. Es sollte aber auch die Grundlage für die zweite Sandwichhälfte gelegt werden. In der "Gemeinsamen Vision" sollte die Messlatte für den eigenen Erfolg verankert werden, nämlich, dass der Temperaturanstieg auf weniger als 2 Grad Celsius begrenzt werden sollte. Zugleich sollte ein Review beschlossen werden, der bis 2014/15 klärt, wie die Lücke zwischen den jetzt vereinbarten Zielen und dem 2-Grad-Limit geschlossen werden kann. Die Jahre zwischen 2011 und 2014 müssen dazu genutzt werden, um die notwendige Würze für dieses Sandwich zusammenzubekommen, damit am Ende auch der Appetit da ist, deutlich über die Verpflichtungen von 2011 hinauszugehen.
Woraus soll diese Würze bestehen?
2011 und 2012 muss die Langfristfinanzierung beschlossen werden - die ist Grundlage für die notwendige Aktion. Dann können zum Beispiel die EU und China im nächsten Jahr den Beschluss fassen, deutlich über das hinauszugehen, was sie 2009 in Kopenhagen auf den Tisch gelegt haben. Nachdem sich die USA vorläufig aus dem internationalen Klimaschutz verabschiedet haben, sind Europa und China die Giganten, die vorangehen müssen. Für die EU würde das ein 30-Prozent-Reduktionsziel bedeuten, für China, dass sie im März einen in Klima-Hinsicht ambitionierten Fünf-Jahres-Plan verabschieden. Würze kann auch 2012 beim UN-Entwicklungsgipfel "Rio plus 20" in Brasilien entstehen, wenn dort für die verschiedenen Weltregionen festgelegt wird, wie grünes Wachstum und nachhaltige Entwicklung aussehen kann. Und schließlich erscheint 2014 der fünfte Sachstandsbericht des IPCC, der aller Voraussicht nach aufzeigen wird, wie dringlich rasches Handeln ist und wie teuer weiteres Zögern wäre. Auf dieser Grundlage, mit dieser Würze, könnte die Bereitschaft entstehen, 2015 ein gutes Stück weiter zu gehen als jetzt in Cancún.
Potsdamer Klimaforscher haben berechnet, dass die Selbstverpflichtungen von Kopenhagen auf einen Anstieg der globalen Mitteltemperatur um mehr als 3 Grad bis 2100 hinauslaufen würden. Da fehlt noch viel.
Vor Kopenhagen waren wir auf einem Pfad, der auf 5,5 bis 6 Grad bis 2100 geführt hat. Was die Staaten im "Copenhagen Accord" an freiwilligen Selbstverpflichtungen eingestellt haben, bringt uns auf einen Pfad von 3,5 bis 4,5 Grad Temperaturanstieg gegenüber der vorindustriellen Zeit. 0,8 Grad haben wir davon schon. Ein weiteres halbes Grad ist bereits in der Atmosphäre. Notwendig wäre eine Begrenzung auf 2 Grad, besser auf 1,5 Grad. Der Sandwich-Ansatz läuft darauf hinaus, dass man die Maßnahmen sofort operationalisiert, die uns zumindest auf einen Pfad von 3,5 bis 4 Grad bringen. Und dass dann bis 2015 eine Strategie beschlossen wird, dies in Richtung 2 oder sogar 1,5 Grad nachzubessern.
Sie erwarten, dass die EU und China vorangehen. Aber in Deutschland und Europa scheint Klimaschutz kaum noch ein großes Thema zu sein. Rechnen Sie mit Initiativen der EU in Cancún?
Ich würde zunächst der Annahme widersprechen, dass Klimaschutz in Deutschland kein Thema mehr ist. Er steht in der öffentlichen Debatte nicht mehr so weit vorn wie zwischen 2006 und 2009. Aber im Energiekonzept der Bundesregierung gibt es immerhin 60 neue Klimaschutz-Gesetze oder Gesetzesänderungen - auch wenn wichtige davon im Parlament entschärft wurden. Und in der EU werden die großen Pläne und Entscheidungen für das nächste Jahr vorbereitet. Dann wird die EU auch darüber entscheiden, ob sie sich von den USA abbremsen lassen will oder ob sie sieht, dass ein Großteil der Welt bereits massiv vorangeht beim Klimaschutz, bei erneuerbaren Energien und bei der Energieeffizienz. Wenn die EU hier eine Führungsrolle spielen will, sollte sie sich spätestens im kommenden Jahr bereit erklären, nicht nur 20 Prozent bis 2020, sondern 30 Prozent bis 2020 zu reduzieren. Diese Debatte werden wir im nächsten Jahr erleben.
Und was macht Sie bei China, Brasilien und Südafrika so optimistisch?
China als der inzwischen wichtigste Emittent weltweit hat in den vergangenen Jahren alle anderthalb Jahre den Kraftwerkspark an Kohlekraftwerken dazugebaut, den wir in Deutschland haben. Gleichzeitig ist in China in den letzten zwei, drei Jahren eine gigantische Dynamik für erneuerbare Energien in Bewegung gekommen. Im vergangenen Jahr wurden weltweit 80 Gigawatt an erneuerbaren Energien installiert, davon knapp die Hälfte, 37 Gigawatt, in China. China ist längst zur Supermacht der erneuerbaren Energien geworden, und China gehört mittlerweile auch zu den Ländern, in denen die Energieeffizienz die größten Sprünge macht. Beides hat dazu geführt, dass China angekündigt hat, ab 2011 nur noch in halb so schnellem Tempo Kohlekraftwerke dazubauen zu wollen, was ein großer Schritt voran ist. Im Entwurf für den neuen Fünf-Jahres-Plan ist nun vorgesehen, dass China in ein nationales Emissionshandelsregime einsteigt. Das würde auch der Debatte in der EU enorm weiterhelfen.
Wie ist es mit Brasilien und Südafrika?
Südafrika richtet im kommenden Jahr den Klimagipfel aus, Brasilien 2012 den "Rio plus 20"-Gipfel, die Nachfolgekonferenz des UN-Gipfels von 1992. Beide Staaten betreiben schon jetzt eine intensive Diplomatie vor allem unter den Schwellen- und Entwicklungsländern, damit diese Gipfel zu Erfolgen werden. Zudem hat Südafrika der deutschen Regierung eine sehr interessante Initiative angeboten. Südafrika hat jetzt etwa ein Prozent an erneuerbaren Energien im Strombereich, bis 2020 würden sie gern auf 20 Prozent kommen. Sie wollen mit Deutschland darüber verhandeln, ob die Bundesregierung das mitfinanzieren würde. Ein interessanter Nebeneffekt: Auch die deutsche Erneuerbare-Energien-Industrie würde von dem Ausbau profitieren.

Christoph Bals ist der politische Geschäftsführer von Germanwatch.
(Foto: dpa)
Was wird die zentrale Messlatte für Erfolg oder Misserfolg in Cancún sein?
Die zentrale Messlatte für Cancún ist aus meiner Sicht, ob es hier gelingt, die Basis für das Klima-Sandwich zu schaffen. Dazu gehört es, die notwendigen Pakete für den Regenwald, Anpassung, Technologiekooperation und Finanzierung zu verabschieden und die freiwilligen Selbstverpflichtungen der einzelnen Staaten in formale Beschlüsse zu verwandeln. Dazu gehört auch, dass das 2-Grad-Limit erstmals auf UN-Ebene beschlossen wird sowie der Reviewprozess bis 2015. Das wäre eine Grundlage, auf der aufgebaut werden kann.
Mit Christoph Bals sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de