Politik

Alles nur ein Missverständnis? Sarkozy in Erklärungsnot

Merkel habe ihm ihre "totale und vollständige Unterstützung" signalisiert, behauptet Sarkozy.

Merkel habe ihm ihre "totale und vollständige Unterstützung" signalisiert, behauptet Sarkozy.

(Foto: dpa)

Sarkozy erfindet Merkel-Äußerungen, Merkel lässt das Ungesagte dementieren: So etwas gab es zwischen den engsten EU-Partnern noch nie. Westerwelle beeilt sich, von einem "Missverständnis" zu reden, durch das die deutsch-französische Freundschaft keinen Schaden nehmen wird. Und Paris schweigt sich nach dem Eklat auf dem jüngsten EU-Gipfel erst einmal aus.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat mit Behauptungen über angebliche Roma-Lager in Deutschland offenen Widerspruch von Kanzlerin Angela Merkel provoziert. Die CDU-Vorsitzende ließ Sarkozys Darstellung zurückweisen, wonach bald auch die deutschen Behörden solche Lager auflösen wollten.

Sarkozy steht wegen der französischen Abschiebepraxis innen- wie außenpolitisch unter Druck. Auf dem Gipfel in Brüssel musste er sich gegen heftige Vorwürfe der EU-Kommission und auch vieler Partnerstaaten wehren. Anschließend behauptete er: "Frau Merkel hat mir gesagt, dass sie beabsichtigt, in den kommenden Wochen Lager räumen zu lassen." Dann werde man "ja sehen, welche Ruhe in der deutschen Politik herrscht".

Berlin kann sich das nicht erklären

Doch die Kanzlerin weiß nichts davon, dass sie Sarkozy bei seiner umstrittenen Roma-Politik Rückendeckung gegeben haben soll.

Doch die Kanzlerin weiß nichts davon, dass sie Sarkozy bei seiner umstrittenen Roma-Politik Rückendeckung gegeben haben soll.

(Foto: dpa)

Regierungssprecher Steffen Seibert dementierte jedoch in Berlin, dass eine solche Äußerung gefallen sei. Die Kanzlerin und der Präsident hätten mit keinem Wort über solche Räumungen gesprochen. Auch die Abschiebung von Roma ins Kosovo sei kein Thema gewesen. Die Bundesregierung habe "keine Erklärung" für Sarkozy. In den französischen Medien wurde das Dementi fast völlig ignoriert. Der Elysée-Palast äußerte sich trotz mehrerer Anfragen nicht.

Andere Regelungen in Deutschland

Aus Deutschland werden zwar ebenfalls Roma zurück in ihre Heimat geschickt - vor allem in die serbische Ex-Provinz Kosovo, mit der im April ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet wurde. Nach Angaben des Innenministeriums gab es in den ersten sechs Monaten 102 solche Fälle. Vergleichbare Lager wie in Frankreich gibt es aber in Deutschland nicht. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, sagte im MDR, ihm sei "keines bekannt". Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF leben in Deutschland etwa 50.000 Roma-Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, darunter 20.000 Kinder.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle widersprach Sarkozy ebenfalls. "In Deutschland gibt es Rückführungen - und zwar gleich, um welches Herkunftsland es sich handelt - immer nur nach Einzelfallprüfungen. Das ist für uns Rechtslage, und etwas Anderes wäre auch gar nicht zulässig."

Komplett erfunden?

Vermutlich habe es zwischen Merkel und Sarkozy ein "Missverständnis" gegeben, sagte der deutsche Außenminister. Die deutsch-französischen Beziehungen seien jedoch "jenseits aller Meinungsunterschiede, Aufregungen und Missverständnisse" gesund und tadellos.

Auch von Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner gab es keine Bestätigung für die Darstellung seines Präsidenten. Kouchner sagte im Rundfunksender Europe 1, er habe Sarkozy und Merkel nicht über das Thema Roma-Flüchtlinge reden hören. "Ich habe (einer solchen Unterredung) nicht beigewohnt, obwohl ich die ganze Zeit anwesend war." Zuvor hatten EU-Diplomaten in Brüssel gesagt, solche Ankündigungen seien "nicht im Entferntesten gefallen". Sarkozy habe dies "komplett erfunden".

EU-Kommission gibt nicht nach

Reding gibt nicht auf: In zwei Wochen will sie Ergebnisse vorlegen.

Reding gibt nicht auf: In zwei Wochen will sie Ergebnisse vorlegen.

(Foto: dpa)

Der Präsident hatte sich auf dem Gipfel mit harschen Worten gegen Vorwürfe der EU-Kommission zur Wehr gesetzt. Justiz-Kommissarin Viviane Reding bekräftigte in der "Financial Times Deutschland" jedoch ihre Entschlossenheit, schnellstmöglich über ein Verfahren gegen Paris wegen Verletzung der EU-Verträge zu entscheiden. "Wir werden in zwei Wochen mit dem Resultat an die Öffentlichkeit gehen", sagte Reding der Zeitung. Die Kommission sei bereits dabei, alle rechtlichen Fragen zu klären.

Die Kritik der Kommission hatte sich vor allem an einem Schreiben der französischen Behörden an die Präfekten entzündet, in dem gezielt die Auflösung illegaler Roma-Lager angeordnet wird. Dies würde gegen EU-Recht verstoßen. Die EU-Kommission forderte die Franzosen auf, das umstrittene Rundschreiben zu erklären. Paris solle schnellstmöglich darlegen, wie der Brief mit dem EU-Recht und der EU-Grundrechtecharta in Einklang zu bringen sei.

"Den Blödsinn kann sie gar nicht gesagt haben"

Der SPD-Vize Olaf Scholz warf Sarkozy vor, von innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken zu wollen. Der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, nahm Merkel in der ARD mit den Worten in Schutz: "Den Blödsinn kann sie gar nicht gesagt haben, weil wir keine solchen Lager in Deutschland haben." Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth forderte einen generellen Abschiebestopp für Roma ins Kosovo.

Quelle: ntv.de, dpa/rts

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