Politik

Abschuss gekaperter Jets Schäuble stößt auf Widerstand

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) stößt mit seinen neuen Gesetzesplänen für einen möglichen Abschuss entführter Flugzeuge auf massiven Widerstand in Koalition und Opposition. Schäubles Vorschlag für einen im Grundgesetz verankerten "Quasi-Verteidigungsfall" sei "unausgegoren, nicht wirklich durchdacht und nicht realisierbar", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, am Dienstag der dpa in Berlin. "Wir werden dem nicht zustimmen." Auch SPD-Fraktionsvize Fritz Rudolf Körper erklärte, eine Grundgesetzänderung dieser Art sei "mit der SPD nicht umsetzbar". Für eine Änderung wären Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat erforderlich.

"Lizenz zum Töten Unschuldiger"

Die Grünen warnten Schäuble vor einer "Lizenz zum Töten Unschuldiger". Deutliche Kritik kam auch von FDP und Linkspartei. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) drohte mit einer neuen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Schäuble hatte in einem Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" die in seinem Ministerium auf Fachebene erarbeiteten Pläne erläutert. Demnach sollen in einem "Quasi-Verteidigungsfall" die Regeln des Kriegsvölkerrechts gelten, etwa die des Genfer Abkommens zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte. Dann sind nur Angriffe verboten, "die in keinem Verhältnis zu erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteilen stehen". Schäuble zufolge bleibt das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt, wenn zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe der Abschuss eines entführten Flugzeugs, also die Tötung von Passagieren, gesetzlich erlaubt wird.

Die Pläne für einen neuen Gesetzentwurf waren vor Weihnachten in Umrissen bekannt geworden. Damit soll das Luftsicherheitsgesetz aus Zeiten der rot-grünen Regierung, das im Februar 2006 von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt worden war, verfassungsgemäß gemacht werden. Die Richter hatten das Gesetz damals unter anderem mit der Begründung abgelehnt, es verstoße gegen die Menschenwürde.

Verteidigungsfall oder innere Sicherheit?

"Das Grundgesetz kennt keinen Quasi-Verteidigungsfall", sagte Wiefelspütz. "Wenn Herr Schäuble meint, ein anderes Verständnis von Landesverteidigung in das Grundgesetz einführen zu können, dann wird dieser Versuch aussichtslos sein." Am Begriff der Landesverteidigung sei mit der SPD nicht zu rütteln. Die Grenzen zwischen Verteidigungsfall und innerer Sicherheit dürfe man nicht verwischen.

"Das Gericht verbietet den Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeugs, wenn sich unschuldige Menschen an Bord befinden", sagte Wiefelspütz mit Blick auf das Karlsruher Urteil. An dieses strikte Verbot seien die Verfassungsorgane und damit auch der Gesetzgeber gebunden. Die SPD sei lediglich zu einer "sehr schmalen Grundgesetz-Änderung" bereit. So könne ein Flugzeug-Abschuss erlaubt werden, wenn sich an Bord ausschließlich Terroristen befänden.

"Eindeutig verfassungswidrig"

Baum bezeichnete Schäubles Vorstoß als "eindeutig verfassungswidrig". Er sagte dem "Münchner Merkur": "Sollten diese Pläne wirklich Gesetz werden, gehen wir sofort erneut vor das Bundesverfassungsgericht." Im Februar 2006 hatte Karlsruhe den Verfassungsbeschwerden der früheren FDP-Spitzenpolitiker Baum und Burkhard Hirsch sowie weiterer vier Kläger stattgegeben.

Der Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sagte in einem Interview, Schäuble versuche das Verfassungsgericht "zu hintergehen". Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sprach von einer "im Kern verfassungswidrigen Verfassungsänderung". Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Gisela Piltz, warnte vor einer "Militarisierung der Innenpolitik". Die FDP-Rechtspolitikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warf Schäuble im "Kölner Stadt-Anzeiger" einen "miesen Trick" vor. Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Neskovic, sprach von einer "hartnäckigen Ignoranz" Schäubles gegenüber Karlsruhe. Der Deutsche Anwaltverein warnte davor, das Grundgesetz zum "Spielball der herrschenden politischen Meinung" zu machen.

Quelle: ntv.de

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