"Irgendwo zwischen 50 und 60 Milliarden" Schäuble verteidigt Wackelhaushalt
14.09.2010, 18:02 UhrDie Opposition hat der Bundesregierung vorgeworfen, bei ihrer Sparpolitik einseitig die Armen zu belasten und sich der Pharma- und der Atom-Lobby zu beugen. Ohnehin stehe das Sparpaket auf tönernen Füßen. Finanzminister Schäuble sieht Deutschland wirtschaftlich auf gutem Weg, warnt jedoch vor zu hohen Erwartungen an 2011.
SPD, Grüne und Linke haben der schwarz-gelben Koalition zu Beginn der Haushaltswoche "grandioses Versagen" und ein "peinliches Schauspiel" vorgeworfen. Wirklich gekürzt werde nur bei den Schwachen der Gesellschaft, vor den Interessen der Wirtschaft knickten CDU/CSU und FDP regelmäßig ein. Angesichts des Widerstands auch aus der Koalition sowie wegen diverser Luftbuchungen stehe das Sparpaket der Bundesregierung auf tönernen Füßen.
"Wir sind auf einem guten wirtschaftlichen Weg", sagte dagegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Zugleich warnte der CDU-Politiker davor, auch für 2011 einen anhaltenden Konjunkturboom zu erwarten. Schäuble verteidigte den Schuldenabbau als wachstumsfreundlich und nachhaltig. Das Sparpaket habe eine "ausgewogene Struktur".
Vieles am Haushalt schon Makulatur
Das Sparpaket sieht bis 2014 Entlastungen des Bundes um 80 Milliarden Euro vor. Etliche Posten sind aber noch strittig oder wurden wieder abgeschwächt, darunter die Flugticketabgabe, Ökosteuerausnahmen für die Industrie oder die Städtebauförderung. Änderungen an den Einsparungen bei Arbeitslosen sind nicht geplant. Hartz-IV-Empfänger verlieren den Anspruch auf Elterngeld und Heizkostenzuschuss, gestrichen wird auch der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung für Hartz-IV-Empfänger.
Die überraschend starke Konjunktur sorgt dafür, dass Schäuble schon in diesem Jahr mit deutlich weniger Schulden auskommen wird als den geplanten 65 Milliarden Euro. "Irgendwo zwischen 50 Milliarden und 60 Milliarden Euro" könnten es sein, deutete Schäuble an. Dies wäre aber immer noch die mit Abstand höchste Neuverschuldung.
Wegen der Schuldenbremse kann die gute Entwicklung 2010 dazu führen, dass die Koalition im kommenden Jahr noch mehr sparen muss. Der Etat 2011 ist der erste, in dem die Schuldenbremse durchgesetzt wird. Sie grenzt den Spielraum für neue Kredite erheblich ein. Bis 2016 muss der Bund das um Konjunktur- und Einmaleffekte bereinigte "strukturelle Defizit" in gleichmäßigen Schritten auf rund 10 Milliarden Euro drücken.
Erster schwarz-gelber Etat
Im Einzelnen debattierte der Bundestag am Dienstag über die Posten Bildung, Gesundheit, Umwelt, und Landwirtschaft. Höhepunkt der Haushaltswoche ist die Generaldebatte an diesem Mittwoch. Dann tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel ans Rednerpult. Der Haushalt 2011 ist der erste Etat, den ihre "Wunschkoalition" zu verantworten hat. Endgültig verabschiedet werden soll er im November.
Der Entwurf Schäubles sieht einen massiven Defizitabbau vor. Für 2011 sind neue Kredite von 57,5 Milliarden geplant. Bis 2014 soll die Neuverschuldung auf 24 Milliarden Euro gedrückt werden. "Das ist Schuldenbremse im Grundgesetz konkret", sagte Schäuble. Auch die Ausgaben des Bundes werden gesenkt - von 307 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 301 Milliarden Euro im Jahr 2014.
Für das laufende Jahr rechnet die Bundesregierung inzwischen mit einem Wirtschaftswachstum von mehr als drei Prozent. Diese Entwicklung werde sich 2011 aber so nicht fortsetzen, warnte der Minister. "Wir haben aber alle Chancen für eine stetige und nachhaltige Entwicklung."
"Koalition tanzt nach der Pfeife von Monopolisten"
SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider sagte: "Dieser Haushalt ist das Zeugnis einer sozialen Schieflage, die die Spaltung in Deutschland vorantreibt." Während sich die Abgaben der Wirtschaft in Grenzen hielten, werde bei den Schwächeren der Gesellschaft gekürzt. Auch könne die Wirtschaft Lasten an die Verbraucher weiterreichen.
Linke-Chefin Gesine Lötzsch forderte die Rücknahme aller Sozialkürzungen. Nicht die Verursacher der Finanzkrise würden zur Kasse gebeten, sondern die normalen Menschen. Lötzsch warf der Koalition vor, den Interessen der Wirtschaft nachzugeben: "Diese Regierung wird immer mehr von Lobbyisten gesteuert."
Ähnlich äußerte sich Alexander Bonde von den Grünen: "Bei jedem einzelnen Husten eines Konzernchefs gerät die schwarz-gelbe Konsolidiererfront ins Wanken." Aber Millionen von Schwachen seien der Koalition egal. Chancen zum Subventionsabbau würden nicht genutzt. Die Politik tanze nach der "Pfeife von Monopolisten".
"Von der Pharmalobby abgeschrieben"
Das warf SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der Koalition auch in der Debatte um die Gesundheitspolitik vor. Vorschläge der Pharmalobby und von Privatkassen würden "nicht nur übernommen, sondern abgeschrieben", so Lauterbach. Hintergrund ist, dass künftig das Gesundheitsministerium die Kriterien für die Bewertung neuer Mittel festlegen soll. Das hatte auch die Pharmabranche gewollt. Zunächst sollten die Vorgaben für die Bewertung von einem unabhängigen Gremium gemacht werden.
CDU-Experte Jens Spahn sagte, Schwarz-Gelb mache "das härteste Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik". Privat und gesetzlich Versicherte profitierten gleichermaßen von Schwarz-Gelb.
"Marionetten der Atomkonzerne"
In der Debatte um den Umweltetat warf die Opposition der Bundesregierung ebenfalls vor, Lobby-Politik zu betreiben. "Das ist quasi ein Kaufvertrag für längere Laufzeiten", sagte der SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch über den Vertrag mit den Energiekonzernen. Der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler sagte, diese Regierung sei ein "Marionetten-Kabinett der Atomkonzerne". Er unterstrich, dass die Ökoenergie-Branche das Konzept als Katastrophe bewerte. "Sie sind ein eiskalter Atompolitiker", sagte Kindler zu Umweltminister Norbert Röttgen.
Dieser verteidigte das Energiekonzept der Regierung als "weltweit einmalig". Auch dank der Einnahmen aus längeren Atomlaufzeiten würden künftig drei Milliarden Euro pro Jahr in den Ausbau der Öko-Energien fließen, sagte Röttgen im Bundestag.
Öko-Ausgaben absetzbar
Die Energiekonzerne kommen bei der Vereinbarung mit der Regierung besser weg als bisher bekannt. Das Bundesfinanzministerium bestätigte in einer Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses, dass neben der bis 2016 befristeten Atomsteuer auch die Ausgaben für den Öko-Energiefonds von der Steuer absetzbar sind.
Quelle: ntv.de, hvo/dpa