"Wolf in Mönchskleidung" Scharfe Töne aus China
19.03.2008, 17:20 UhrChina hat den Ton gegenüber dem Dalai Lama verschärft und den aufbegehrenden Tibetern einen "Kampf auf Leben und Tod" angedroht. Das geistige Oberhaupt der Tibeter sei ein "Wolf in der Kleidung eines Mönches, ein Teufel mit dem Gesicht eines Menschen", sagte der kommunistische Parteichef Tibets, Zhang Qingli, in einem Anruf an örtliche Parteifunktionäre und Behördenvertreter. Die Proteste gegen die chinesische Fremdherrschaft in Tibet weiteten sich derweil aus und forderten weitere Menschenleben. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) kündigte in Berlin an, dass für Mai geplante Regierungsverhandlungen mit China bis zum Ende der Gewalt in Tibet ausgesetzt würden.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung kritisierte die scharfen Töne aus Peking. Der chinesischen Führung müsse von allen Seiten klargemacht werden, dass sie keine Chance habe, mit solch einem Vokabular durchzukommen und die Proteste mit völlig unangemessenen Mitteln niederzuschlagen, sagte Günter Nooke bei n-tv.
Bei der Verhaftungswelle nach den schweren Ausschreitungen in Lhasa wurden nach Augenzeugenberichten bislang mehr als 1000 Tibeter festgenommen. Mit Ablauf des Ultimatums an Unruhestifter, sich der Polizei in Lhasa zu stellen, haben sich bis Dienstag 105 Teilnehmer an den Protesten gemeldet, um eine Strafminderung in Anspruch nehmen zu können. Nach exiltibetischen Angaben sind in Lhasa sowie bei den folgenden Protesten an anderen Orten in Tibet und den angrenzenden Provinzen bislang mehr als 140 Menschen ums Leben gekommen, darunter Dutzende durch Schüsse.
Tibetische Reiter belagern Regierungsgebäude
Der kanadische Fernsehsender CTV berichtete indes von Hunderten aufgebrachten Tibetern, darunter auch Reitern, die am Dienstag eine Stadt in der chinesischen Provinz Gansu gestürmt hätten. Sie belagerten demnach ein Regierungsgebäude, in dem sich etwa 100 Polizisten und Soldaten verschanzt hatten. Mit einem massiven Tränengaseinsatz hätten die Soldaten den Angriff abgewehrt, berichtete CTV aus der Grenzregion zu Tibet. Auf Bildern waren blutende Demonstranten und Rauch in den Straßen zu sehen.
Um die Proteste unter Kontrolle zu bringen, sind 20.000 Angehörige der paramilitärischen bewaffneten Polizei (Wujing) von der Provinzhauptstadt Lanzhou an fünf Orte in den tibetischen Regionen von Gansu entsandt worden, berichtete Free Tibet Campaign. Augenzeugen hätten in Gannan 102 Lastwagen mit Polizeikräften gezählt, die mit Waffen und Tränengas ausgerüstet gewesen seien. In der Provinz Qinghai demonstrierten 200 tibetische Lehrer.
Chinas Regierungschef angeblich gesprächsbereit
Mit Vorsicht wurde eine Äußerung des britischen Premierministers Gordon Brown aufgenommen, wonach der chinesische Regierungschef Wen Jiabao bereit sei, mit dem Dalai Lama Gespräche zu führen. Dieser habe ihm am Telefon erklärt, er wolle unter bestimmten Bedingungen in einen Dialog mit dem Oberhaupt der Tibeter treten, sagte Brown vor dem Parlament in London. Zudem kündigte Brown an, er wolle den Dalai Lama während eines im Mai geplanten Aufenthalts in London treffen.
China reagierte verärgert auf diese Ankündigung Browns. Das Außenministerium in Peking appellierte an die Regierung in London, jede Art der Unterstützung für das im Exil lebende religiöse und weltliche Oberhaupt der Tibeter zu unterbinden. Der Dalai Lama sei ein politischer Flüchtling, der unter dem Vorwand der Religion die Abspaltung Tibets von China betreibe, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua einen Sprecher.
Papst Benedikt XVI. rief derweil zum Ende der Gewalt in Tibet auf. "Mit der Gewalt werden keine Probleme gelöst, sondern sie verschlimmern sich noch", sagte das katholische Kirchenoberhaupt in Rom. Alle Seiten sollten den Mut haben, den Weg des Dialogs und der Toleranz zu beschreiten.
Nach Protesten in Aba in der Provinz Sichuan, wo mindestens 20 Tibeter erschossen worden sein sollen, bestätigte ein Funktionär der Kreisregierung telefonisch die Zwischenfälle. "Wir warten auf Anweisung der Zentralregierung", sagte der Beamte, ob die Todeszahlen veröffentlicht werden. "Alles, was mit Toten zu tun hat, ist geheim." Die Lage habe sich aber beruhigt. Geschäfte und Schulen seien wieder geöffnet.
"Tief sitzende Unzufriedenheit"
Nach Ansicht des Dalai Lama sind die Proteste in Tibet und China "ein spontaner Ausdruck einer tief sitzenden Unzufriedenheit" nach Jahren von "Repression und Missachtung der Gefühle des tibetischen Volkes". Einen Boykott der Olympischen Spiele lehne er ab, allerdings müsse China an seine Verpflichtungen erinnert werden. "Als die Spiele an Peking vergeben wurden, hat sich die chinesische Führung der Weltgemeinschaft gegenüber verpflichtet, die universellen Werte wie politische Freiheit, Demokratie, Presse- und Redefreiheit zu respektieren", sagte der Dalai Lama der Tageszeitung "Südwest Presse" in Ulm.
In den eigenen Reihen ist der Dalai Lama wegen seiner Haltung zu China in die Kritik geraten. In einem 20-minütigen Gespräch mit Führern von Exil-Tibetern habe der Dalai Lama seine langfristigen Überlegungen dargelegt, sagte ein Sprecher. Das weltliche und religiöse Oberhaupt der Tibeter hatte mit Rücktritt gedroht, falls die Gewalt in Tibet außer Kontrolle geraten sollte. Der Dalai Lama wollte seinen Gesprächspartnern auch erläutern, warum er für Autonomie statt Unabhängigkeit von Tibet ist.
Nach Angaben der Olympia-Organisatoren in Peking werden die Vorgänge in Tibet den olympischen Fackellauf durch das größte Hochland der Erde und auf den Mount Everest nicht beeinträchtigen. Die Behörden könnten die Sicherheit in Tibet gewährleiten. Zudem gebe es Ausweichpläne.
Einreiseverbot für Journalisten
Angeblich aus Sicherheitsgründen wird ausländischen Journalisten derzeit nicht nur die Reise zur Berichterstattung nach Lhasa, sondern auch in die tibetischen Gebiete von Qinghai, Gansu und Sichuan verwehrt. Das alte Territorium von Tibet erstreckt sich heute nicht nur auf die 1965 von China gegründete Autonome Region Tibet, sondern auch auf angrenzende Gebiete dieser chinesischen Provinzen. Nachdem sich die Volksrepublik 1950 das Hochland einverleibt hatte, wurde Tibet in die heutige Autonome Region Tibet und auf die Nachbarprovinzen aufgeteilt.
Quelle: ntv.de