Politik

Struck: Einsatz wurde unterschätzt Schneiderhan verteidigt Luftangriff

Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan verteidigt die Bombardierung zweier Tanklastwagen in Afghanistan auf Bundeswehr-Anforderung. Ex-Verteidigungsminister Struck sagt unterdessen, dass die schwere Belastung durch den Afghanistan-Einsatz unterschätzt wurde.

Schneiderhan sagte, er gehe davon aus, dass die Entscheidung von Oberst Georg Klein, die entführten Tanklaster aus der Luft zerstören zu lassen, "erst nach sorgfältiger Beurteilung der Gesamtlage und in der Absicht getroffen wurde, erheblichen Gefahren für die eigenen und verbündeten sowie für die afghanischen Sicherheitskräfte zuvorzukommen". Der ranghöchste deutsche Soldat äußerte sich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) erstmals zu dem tödlichen Vorfall vor gut einer Woche.

Wolfgang Schneiderhan mit Peter Struck, ...

Wolfgang Schneiderhan mit Peter Struck, ...

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Schneiderhan sagte, er habe sich bereits im Frühjahr in Afghanistan mit Klein, der Kommandeur des zivil-militärischen Wiederaufbauteams in Kundus ist, und seinen Soldaten ausführlich über die Gefahren des Einsatzes unterhalten. "Die Professionalität, mit der unsere Soldaten und Soldatinnen gerade unter ständiger Bedrohung und in ungewisser Lage handeln, hat mich beeindruckt."

Steinmeier: Kein Krieg

Auch Bundesaußenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sagte, er stehe "selbstverständlich fest hinter unseren Soldaten". Es dürfe "keine Vorverurteilungen geben", sagte Steinmeier der "Welt am Sonntag". Das habe er auch seinen europäischen Amtskollegen "sehr deutlich" gesagt. Es sei eine Leitmaxime des Einsatzes, zivile Opfer zu vermeiden. Steinmeier lehnte zudem den Begriff "Krieg" für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr ab. "Krieg findet statt zwischen Staaten. In Afghanistan kämpfen wir mit der afghanischen Regierung gegen Terroristen", so Steinmeier. "Deshalb ist es kein Krieg, sondern ein Kampfeinsatz."

Eine vom afghanischen Präsidenten Hamid Karsai eingesetzte Untersuchungskommission wollte zunächst ihren Bericht in Kabul übergeben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa wurde das Treffen der Delegation mit Karsai jedoch auf Sonntag verschoben. Bei dem Luftangriff auf die zwei Tanklaster bei Kundus seien auch Zivilisten getötet worden, heißt es laut ARD in dem Bericht. Eine Zahl der Opfer werde nicht genannt. Als entlastend für die Bundeswehr sei dargestellt worden, dass die Fahrzeuge in einem Fluss und nicht in einem Dorf bombardiert wurden.

"Kein leichtfertiger Offizier"

SPD-Fraktionschef Peter Struck bezeichnete den Vorfall als gravierend. "Es muss geklärt werden, ob der Kommandeur sich richtig verhalten hat", sagte er der "Celleschen Zeitung". Der frühere Verteidigungsminister betonte aber, Oberst Klein, den er persönlich kenne, sei "kein leichtfertiger Offizier". Struck hielt zugleich am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr fest: "Wir müssen dort präsent sein, vor allem für unsere eigene Sicherheit. Man muss aber auch wissen, dass es sich um einen Kampfeinsatz handelt. Es können Menschen sterben, es können Soldaten sterben. Von einem Kriegseinsatz aber würde ich nicht sprechen."

... der von 2002 bis 2005 in der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder Verteidigungsminister war.

... der von 2002 bis 2005 in der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder Verteidigungsminister war.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Die schwere Belastung durch den Afghanistan-Einsatz wurde nach Strucks Ansicht unterschätzt. "Als wir 2001 reingegangen sind nach Afghanistan, haben wir gedacht, wir könnten nach drei oder vier Jahren wieder rausgehen", sagte er. "Und jetzt sind wir bereits acht Jahre dort, und es ist kein Ende abzusehen. Das Problem ist unterschätzt worden, weil die Taliban zu der Zeit, als ich Minister war, relativ machtlos waren." Struck unterstrich zudem, dass sein Satz, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse weiterhin gelte. "Wir müssen dort präsent sein, vor allem für unsere eigene Sicherheit. Man muss aber auch wissen, dass es sich um einen Kampfeinsatz handelt. Es können Menschen sterben, es können Soldaten sterben. Von einem Kriegseinsatz aber würde ich nicht sprechen."

Rechtssicherheit gefordert

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble forderte unterdessen eine Überprüfung der Vorschrift, dass die Staatsanwaltschaft gegen Soldaten nach einem Einsatz von Waffen tätig werden muss. "Diese Rechtslage gehört in der nächsten Legislatur auf den Prüfstand", sagte der CDU-Politiker der "Welt am Sonntag". Solange sei es allerdings die gesetzliche Pflicht der Staatsanwälte, in diesen Fällen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu prüfen, sagte der Minister laut Vorabbericht.

Juni 2009: SPD-Fraktionschef Struck auf dem Flug von Masar-i-Scharif ins Camp Mike Spann.

Juni 2009: SPD-Fraktionschef Struck auf dem Flug von Masar-i-Scharif ins Camp Mike Spann.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, kritisierte die Vorschrift. Die deutschen Soldaten im Afghanistan-Einsatz bräuchten Rechtssicherheit. Sie dürften nicht wie Straftäter behandelt werden, wenn sie Zwischenfälle wie den Luftangriff in Kundus zu verantworten hätten, sagte der SPD-Politiker der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung".

Aktuell prüft die Strafverfolgungsbehörde, ob Ermittlungen gegen den Bundeswehr-Offizier eingeleitet werden sollen, der bei Kundus den Luftangriff auf zwei Tanklastwagen angeordnet hat, bei dem es Dutzende Tote gab.

"Ein eindeutiger Kriegsakt"

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul befürchtet, dass die Arbeit der Entwicklungshelfer jetzt "noch schwieriger" wird. Zugleich drängte sie im Magazin "Der Spiegel" darauf, dass die Afghanen möglichst bis 2015 "die volle Verantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung übernehmen sollen". Erst dann könnten Truppen abziehen. Der zivile Aufbau werde länger dauern.

Der Afghanistan-Experte der Grünen-Bundestagsfraktion, Winfried Nachtwei, äußerte Verständnis für Oberst Klein. Zwar sei das Bombardement "ein eindeutiger Kriegsakt" gewesen und die Wirkung fast "durchweg kontraproduktiv", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Er könne sich das Bombardement aber "am ehesten erklären durch die Entwicklung der Gesamtlage in den letzten Monaten - jeden Tag Hinterhalte, jeden Tag Gefechte. Aus der Sicht kann so was plausibel werden."

Polens Bevölkerung gegen Afghanistan-Einsatz

Die große Mehrheit der Polen lehnt derweil ein weiteres militärisches Engagement ihres Landes in Afghanistan ab. 81 Prozent sprachen sich in einer am Freitag veröffentlichen Umfrage des Instituts TNS OBOP für einen Rückzug der polnischen Soldaten aus. 13 Prozent befürworteten die Fortsetzung des Einsatzes, sechs Prozent hatten keine klare Meinung. Seit dem Beginn der Mission in Afghanistan starben 13 polnische Soldaten, vier von ihnen kamen im September ums Leben. Die letzten Todesfälle lösten eine Debatte über die polnische Beteiligung am Kampf gegen die Taliban aus. Ministerpräsident Donald Tusk kündigte Gespräche mit Präsident Lech Kaczynski und Verteidigungsminister Bogdan Klich an. Das polnische Kontingent zählt derzeit rund 2000 Soldaten.

Asselborn: Taliban an Regierung beteiligen

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hält eine künftige Regierungsbeteiligung der Taliban für unvermeidlich. Der Krieg sei erst dann gewonnen, wenn es möglich sei, eine Regierung mit den radikal-islamischen Taliban zu bilden, sagte Asselborn im Deutschlandradio Kultur. Er betonte, dass die Taliban nicht gleichbedeutend mit der Terrororganisation Al Kaida seien. "Wenn die Taliban bereit sind, in die Regierung zu gehen, wenn sie in die Regierung gewählt werden, wenn sie die Rechtsstaatlichkeit anerkennen, dann haben wir gewonnen. Verloren haben wir, wenn wir als internationale Gemeinschaft abziehen und tags danach sind die Extremisten wieder an der Macht."

Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP

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