"Cowboy-Politik" gegen Syrien Schock über US-Angriff
27.10.2008, 21:24 UhrNach dem mutmaßlichen Kommandoeinsatz amerikanischer Soldaten in Syrien haben mehrere Staaten scharfe Kritik am Vorgehen des US-Militärs geübt. Bei dem Einsatz der von Hubschraubern unterstützten US-Soldaten gegen ein Dorf in der Nähe der Grenze zum Irak waren am Sonntag nach syrischer Darstellung mehrere Menschen getötet worden.
Von US-Seite gab es bis Montag keine offizielle Reaktion zu dem Zwischenfall. Lediglich ein Regierungsvertreter, der ungenannt bleiben wollte, bestätigte, dass US-Streitkräfte in syrisches Gebiet vorgedrungen waren. Der Einsatz gegen ausländische Kämpfer sei "erfolgreich" gewesen, sagte er. Die USA haben Syrien in der Vergangenheit wiederholt vorgeworfen, es unternehme zu wenig gegen das Eindringen von Terroristen in den Irak.
Der sichtlich geschockte syrische Außenminister Walid al-Muallim verurteilte den Angriff am Rande eines Besuchs in London als "kriminelle und terroristische Aggression" gegen sein Land. "Das nennen wir bei uns Cowboy-Politik", sagte er in London nach Gesprächen mit seinem britischen Amtskollegen David Miliband. Syrien werde im Falle eines erneuten Angriffs von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen. Al-Muallim forderte die US-Regierung auf, den Vorfall zu untersuchen und Syrien eine Erklärung dafür zu geben. Es sei eine gezielte Aktion gewesen, ein Versehen könne ausgeschlossen werden.
Syriens Botschafter bei der Arabischen Liga in Kairo, Jussif al- Ahmed, sagte: "Das ist wohl der Abschiedsgruß der US-Regierung, erst die Finanzkrise und jetzt noch dieses Verbrechen." Der völkerrechtswidrige Angriff zeige, dass es besser für den Irak wäre, kein Abkommen über eine weitere Stationierung von US-Truppen zu unterzeichnen.
Moskau reagiert besorgt
Ein Sprecher des russischen Außenministeriums sprach von einem Besorgnis erregenden einseitigen Gewaltakt. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, warnte, die Situation in der Nahost- Region sei ohnehin schon hochexplosiv, "da brauchen wir keinen zusätzlichen Sprengstoff". Auch der libanesische Ministerpräsident Fuad Siniora, der Syriens Präsidenten Baschar al-Assad kritisch gegenübersteht, verurteilte den Angriff.
Der britischen Außenminister Miliband hatte an der Pressekonferenz mit seinem syrischen Amtskollegen nicht teilgenommen. Für Miliband wäre es nach Einschätzung von Kommentatoren problematisch gewesen, als Verbündeter der Amerikaner im Irak neben Al-Muallim zu erscheinen.
Frankreich äußerte angesichts der Attacke "tiefe Besorgnis" und rief zu Zurückhaltung auf. Die territoriale Integrität von Staaten gelte es zu respektieren. Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um den Vorfall aufzuklären, teilte der lyse-Palast in Paris mit. Staatspräsident Nicolas Sarkozy sprach den Familien der Opfer sein tiefstes Beileid aus.
Schuldzuweisung auch an Bagdad
Ein syrischer Regierungssprecher sagte am Montag, nicht nur die USA seien Schuld am Tod der syrischen Zivilisten, sondern auch die irakische Regierung. Der Sprecher der irakischen Regierung, Ali al- Dabbagh, sagte der Nachrichtenagentur Aswat al-Irak, der Angriff habe möglicherweise Terroristen gegolten, die von dieser Region aus früher Iraker an der Grenze angegriffen hätten.
"Die irakische Verfassung erlaubt nicht, dass von unserem Staatsgebiet aus Nachbarstaaten angegriffen werden", sagte der irakische Abgeordnete Osama al-Nadschafi. Der sunnitische Parlamentarier, der zur oppositionellen säkularen Partei Nationale Liste gehört, forderte die Regierung und das US-Militär auf, den Vorfall aufzuklären.
Opfer beigesetzt
In der syrischen Kleinstadt Al-Bukamal wurden am Montag nach Angaben von Augenzeugen die sieben Opfer der Kommandoaktion vom Vortag beigesetzt. Die Trauergäste, zu denen auch einige Mitglieder der regierenden Baath-Partei gehörten, verbrannten amerikanische Flaggen aus Pappe.
Nach offiziellen Informationen aus Damaskus waren am Sonntag vier US-Militärhubschrauber aus dem Irak nach Syrien geflogen. Zwei davon seien gelandet und hätten Soldaten ausgesetzt, die beiden anderen Hubschrauber hätten die Aktion aus der Luft abgesichert. Auf einem Bauernhof erschossen die Soldaten zwei Männer sowie eine Frau und ihre vier Kinder. Bewohner des Dorfes Al-Sukkarija, das acht Kilometer von der Grenze entfernt liegt, bestätigten diese Angaben. Sie sagten, sieben syrische Zivilisten seien getötet worden; ein weiterer Mann sei von den Soldaten nach der Kommandoaktion verschleppt worden.
Geschäftsträgerin einbestellt
Das US-Militärkommando in Bagdad nahm keine Stellung zu dem Vorfall. Nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA wurde die Geschäftsträgerin der US-Vertretung in Damaskus, Maura Connelly, kurz nach der Attacke ins Außenministerium einbestellt.
Ein ranghoher Beamter des US-Außenministeriums hatte in der vergangenen Woche in einem Interview mit einer arabischen Tageszeitung erklärt, Washington halte im Gegensatz zu einigen europäischen Staaten an seiner Politik der Isolation gegenüber Syrien fest. Syrien müsse mehr tun, um das Eindringen von Terroristen in den Irak zu verhindern.
Raketenangriff auch auf Pakistan
In Pakistan wurden bei einem mutmaßlichen US-Raketenangriff in den unruhigen Stammesgebieten im Nordwesten des Landes ein Taliban-Kommandeur und mindestens 19 weitere Menschen getötet. Drei Menschen seien verletzt worden, sagte ein Sicherheitsbeamter. Eine Rakete, vermutlich von einer Drohne abgefeuert, habe in der Nacht zum Montag das Haus von Taliban-Kommandeur Mohammad Omar in Süd-Waziristan nahe der afghanischen Grenze getroffen und zerstört. Acht der Toten seien "ausländische Kämpfer". Damit beschreiben pakistanische Behörden arabische oder zentralasiatische Aufständische mit Verbindungen zum Terrornetz Al Kaida.
Quelle: ntv.de