Zwang Kaczynski den Piloten? Schrecklicher Verdacht
12.04.2010, 20:39 Uhr
Überdimensionale Traueranzeige in Warschau.
(Foto: AP)
Nach dem tragischen Absturz der polnischen Präsidentenmaschine öffnen in Moskau russische und polnische Spezialisten gemeinsam die so genannte Blackbox. Die Daten sollen Aufschluss darüber geben, ob Kaczynski als Präsident trotz der russischen Warnungen Landebefehl gegeben haben könnte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
Zwei Tage nach dem tragischen Absturz der polnischen Präsidentenmaschine im Westen Russlands kommt das politische Leben in Polen nur schwer wieder in Gang. Nach dem Tod des Präsidenten Lech Kaczynski und vieler Mitglieder der Elite muss jetzt ein institutionelles Vakuum überwunden werden.
Parlamentschef Bronislaw Komorowski, der nach der Katastrophe die Geschäfte des Staatsoberhauptes übernommen hat, sorgte mit seinem selbstsicheren Auftreten für die nötige Ruhe. "Der Staat bleibt intakt", versicherte der 57-jährige Politiker der Regierungspartei von Donald Tusk, Bürgerplattform (PO). Mit ersten Personalentscheidungen wollte er seine Qualitäten als über den Parteien stehenden Vermittler unter Beweis stellen. "Möge dieser Tod uns versöhnen", titelte die größte polnische Qualitätszeitung "Gazeta Wyborcza" ihren Leitkommentar. Doch ähnlich wie nach dem Tod von Papst Johannes Paul II, wird die Zeit der Besinnung nach der Tragödie eher von kurzer Dauer sein.
Pilot missachtet Warnungen
Wenn auch in Polen die Trauer um den 60-jährigen Kaczynski und die anderen Opfer zunächst alles andere überdeckt, so suchten Experten doch nach Erklärungen. In Moskau öffneten russische und polnische Spezialisten gemeinsam die so genannte Blackbox. Die dort aufgezeichneten Daten sollen Beweise liefern. Die Möglichkeit, dass auch Kaczynski als Präsident trotz der russischen Warnungen Landebefehl gegeben haben könnte, schlossen Beobachter nicht aus.
Der Luftfahrtexperte von der Technischen Hochschule in Breslau, Tomasz Szulc, sagte, dem Piloten habe wahrscheinlich die "nötige Durchsetzungsfähigkeit" gefehlt. Er bezog sich damit auf einen früheren Vorfall: Im August 2008 hatte Kaczynski einem anderen Piloten trotz des damals in Georgien geltenden Kriegsrechts befohlen, das Flugzeug des Präsidenten in Tiflis zu landen. Der Pilot widersetzte sich und landete in Aserbaidschan. Kaczynski soll nach Medienberichten von damals über die lange Autofahrt so sauer gewesen sein, dass er den Piloten feuern lassen wollte.
Die russische Staatsanwaltschaft leitete unterdessen ein Ermittlungsverfahren wegen des Absturzes ein. Eine Untersuchung muss zeigen, ob Kaczynski bei Smolensk erneut seinen Piloten zwang, das Schicksal herauszufordern.
Laut dem Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt sind Militärpiloten, die im Ostblock ausgebildet wurden, "sehr stark auf ein System von Befehl und Gehorsam", auf eine "Art Kadavergehorsam" gedrillt. "Westliche Militärpiloten entscheiden unter allen Umständen immer selbst. Im Osten spielt der Befehl eine sehr große Rolle und das kann natürlich entscheidend gewesen sein", so Großbongardt bei n-tv.
Kritik an der Besetzung der Maschine
Der frühere polnische Präsident Lech Walesa kritisierte indes, dass derart viele wichtige Politiker, Militärs und Staatsbeamte in einem Flugzeug gesessen hätten. "Das war unverantwortlich", sagte er. Es müsse Regeln geben, dass so etwas nicht wieder passieren könne. In Deutschland dürfen Spitzenpolitiker ohne Einschränkung gemeinsam in einem Flugzeug reisen. Es gibt laut Regierungssprecher Christoph Steegmans "keinerlei Vorschrift jenseits des gesunden Menschenverstandes", die verhindert, dass bei einem einzigen Unglück mehrere Spitzenpolitiker ums Leben kommen. So flogen Angela Merkel (CDU) und Horst Köhler im vergangenen Jahr gemeinsam zur Trauerfeier nach dem Amoklauf in Winnenden. Es gab schon Fälle wo (fast) das gesamte Kabinett in einem Flieger saß, beispielsweise auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Ministerrat oder nach Israel.
In Deutschland ist allerdings ganz egal, wie hochrangig die Passagiere sind: Ob das Flugzeug bei schwierigen Bedingungen landet, entscheidet immer dessen Kommandant, also der Chefpilot.
Strengere Reise-Regelungen gelten bei manchen deutschen Konzernen. So dürfen bei Daimler aus Sicherheitsgründen maximal zwei bis drei Vorstände gemeinsam in einer Maschine fliegen. Und bei der Deutschen Bank müssen sogar alle Beschäftigten eine Reiserichtlinie befolgen: pro Maschine ist nur eine bestimmte Anzahl von Angestellten erlaubt.
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa