Gewaltsame Proteste in Kenia Schuldenfalle droht Afrika in den Abgrund zu reißen
22.07.2023, 15:39 Uhr Artikel anhören
Der leere Kochtopf als Symbol des Hungerprotests in Nairobi, im Hintergrund eine brennende Barrikade.
(Foto: picture alliance / AA)
Kenias Regierung muss wegen exorbitanter Staatsschulden Steuern erhöhen. Dabei steigen die Lebenshaltungskosten bereits seit Jahren. Die Proteste gegen die Maßnahmen münden in Gewalt, das wichtigste Land der Region wackelt. Das Kenia-Szenario droht auch weiteren Staaten.
Sie schlagen auf Töpfe und Pfannen. Sie brüllen "genug ist genug!" und "wir sind hungrig!". Seit Mittwoch demonstrieren in Kenia die Menschen gegen steigende Lebensmittelpreise und Steuererhöhungen. Die Polizei versucht, die Demonstrationen mit Gewalt niederzuschlagen. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben in den vergangenen Wochen mehr als 20 Menschen durch Polizeigewalt.
"Sufuria Movement" heißt die Protestbewegung in Kenia, die von einer Allianz aus über 20 Oppositionsparteien ausgerufen wurde. "Sufuria" bedeutet in der lokalen Sprache Swahili "Topf" oder "Pfanne" und steht symbolisch für das Essen, das in jedem kenianischen Haushalt immer teurer wird.
Die Regierung hat Ende Juni das neue Budget für das im Juli beginnende Haushaltsjahr veröffentlicht. Darin wurden die Steuern auf Benzin und Diesel von 8 auf 16 Prozent verdoppelt. Dies bedeutet, dass die ohnehin hohen Lebenshaltungskosten weiter steigen werden, da fast alle Produkte in Kenia mit Lastwagen transportiert werden. Dagegen ging die Opposition jetzt erneut drei Tage lang auf die Straße: "Wir fordern die Kenianer auf, aus ihren Häusern zu kommen und mit Töpfen und Pfannen zu schlagen, um den Mangel an Lebensmitteln anzuzeigen", sagte Martha Karua, Mitglied der Oppositionsallianz "Azimio La Umoja" im Vorfeld der Protestaktion.
Corona-Schulden schlagen zurück
Steigende Lebenshaltungskosten gepaart mit oder geschuldet durch Steuererhöhungen sind derzeit in vielen Ländern Afrikas zu beobachten. Zu Zeiten der Corona-Pandemie waren die Preise auf dem Kontinent überall drastisch angestiegen, die Benzinpreise hatten sich fast verdoppelt. Eine Preissenkung nach dem Ende der Pandemie blieb aber aus. Der Grund: Viele Staaten haben sich während der Pandemie schlichtweg überschuldet, um Folgen des Lockdowns abzumildern. Jetzt müssen viele Regierungen auf dem Kontinent die Steuern erhöhen, weil die ersten Raten der Schuldenrückzahlung fällig sind.
Das Beispiel Kenia zeigt, welches Konfliktpotenzial daraus entstehen kann. Nach Angaben der Weltbank beläuft sich Kenias Gesamtverschuldung auf 67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist die Schuldenrückzahlung die größte Ausgabe, weit vor den Bereichen Sicherheit, Bildung oder Gesundheit. Der Internationale Währungsfonds (IMF) hat jüngst Risiko-Warnungen für Kenia ausgesprochen. Daraufhin brach der Kurs der kenianischen Währung Shilling stark ein. Während der jüngsten Haushaltsdebatte im Juni hatte Kenias Finanzminister Njuguna Ndung'u deswegen versichert, dass der Staat im kommenden Haushaltsjahr alle anstehenden Schuldenrückzahlungen einhalten werde, um Investoren nicht zu vergraulen. Stattdessen würden die Steuern steigen müssen.
Zinsdienst frisst Haushalt
UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat vergangene Woche einen Bericht zur drohenden Schuldenfalle der Entwicklungsländer vorgestellt und gewarnt: "Insgesamt stecken 52 Länder - fast 40 Prozent der Entwicklungsländer - in ernsthaften Schuldenproblemen." 3,3 Milliarden Menschen weltweit, so Guterres, leben bereits in Staaten, in denen die Zinszahlungen für Schulden höher sind als die Ausgaben für Gesundheit oder Bildung- Ausgaben für die Kredittilgung sind in dieser Beispielrechnung noch gar nicht enthalten
Am stärksten betroffen sind die afrikanischen Länder. Kenia ist ein Beispiel, wie es insgesamt auf dem Kontinent aussieht. Die internationale Nichtregierungsorganisation ONE, die sich gegen die Verschuldung der Dritten Welt einsetzt, bezeichnet 21 der 55 Staaten Afrikas als bankrott oder zumindest kurz davor. Insgesamt müssen afrikanische Länder im Jahr 2023 rund 70 Milliarden US-Dollar Schulden begleichen - Steuergelder, die dann letztlich in den Bereichen Bildung und Gesundheit fehlen.
Das Problem der Schuldenfalle Afrikas ist zudem der Sogeffekt, der am Beispiel Kenias ersichtlich wird. Kenia ist in der Ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) ein wirtschaftliches Schwergewicht, weil dort relativ viel produziert und in die Nachbarländer exportiert wird sowie Importwaren aus Übersee mit Lastwagen durch Kenia in den Kontinent hinein transportiert werden. Sprich: Wenn in Kenia die Preise steigen, wirkt sich dies direkt negativ auf die Nachbarstaaten aus.
"Afrika will nichts umsonst"
Kenias Präsident William Ruto gibt den internationalen Finanzinstitutionen die Schuld an der Misere. Ende Juni hat er beim Gipfeltreffen zum neuen globalen Finanzpakt in Paris während eines Runden Tisches mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Kristalina Georgieva und dem Präsidenten der Weltbankgruppe Ajay Banga auf den Tisch gehauen.
Das weltweite Finanzsystem sei zugunsten der reichen Länder "manipuliert", weil es entwickelten Staaten günstigere Zinsen auf Kredite ermöglicht als den weniger entwickelten Staaten. Ruto forderte quasi eine Generalüberholung des Modells. "Afrika will nichts umsonst. Aber wir brauchen ein neues Finanzmodell, bei dem die Macht nicht in den Händen einiger weniger liegt", sagte Ruto.
Er schlug vor, dass die Welt eine jährliche Kreditlinie in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar einrichten sollte. Sobald diese erreicht sei, könnten fällig werdende Staatsschulden für angeschlagene Volkswirtschaften wie in Kenia in neue, langfristige Kredite mit einer Laufzeit von 50 Jahren und einer tilgungsfreien Zeit von 10 bis 20 Jahren umgewandelt werden. So könne verhindert werden, dass die afrikanischen Staaten alle bankrottgehen – und aus der Schuldenfalle eine Gewaltspirale wird, die weite Teile des Kontinents zusätzlich destabilisiert.
Quelle: ntv.de