Panorama

"Werfen mich Löwen zum Fraß vor" Queere in Uganda sind völlig verängstigt und isoliert

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Die Regenbogenfahne in der Öffentlichkeit, das ist inzwischen in Uganda undenkbar.

Die Regenbogenfahne in der Öffentlichkeit, das ist inzwischen in Uganda undenkbar.

(Foto: AP)

Vor einem Monat tritt in Uganda ein Gesetz in Kraft, das die "Beteiligung an homosexuellen Handlungen" als Verbrechen einordnet, welches mit lebenslanger Haft und sogar Todesstrafe geahndet werden kann. Seitdem kämpfen Queere in dem Land buchstäblich ums Überleben.

Es herrscht Angst und Panik in der LGBTQI+ Gemeinde von Uganda. Aber nicht nur dort. Das Gesetz, das queere Menschen in dem ostafrikanischen Staat kriminalisiert, verlangt auch dem Rest der Bevölkerung Schmerzhaftes ab. Wer queere Menschen beherbergt, macht sich strafbar. Mutter, Vater, Vermieter, Freund und Freundin -jeder. Wer von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften weiß, muss es der Polizei melden. Lange Haftstrafen drohen nicht nur Queeren, sondern auch ihrem Umfeld.

Uganda ist schon lange kein sicheres Land für queere Menschen mehr, aber einen Monat nach Verabschiedung des Gesetzes sind LGBTQI+ Communities völlig isoliert, kriminalisiert und in den Untergrund gedrängt. Verängstigt und mittellos einem aufgehetzten Mob ausgeliefert. Trotz aller Kritik aus dem Westen schielen konservative Kräfte in benachbarten ostafrikanischen Staaten begeistert auf das wirksame ugandische Model. Die Flamme lodert und ein Flächenbrand der Homophobie droht die Region zu erfassen, wenn Ugandas Antihomosexuellen-Gesetz nicht gekippt wird. Die Möglichkeit besteht.

"Wir hatten keine Chance"

Bis zuletzt hatte Samuel Ganafa gehofft, Präsident Yoweri Museveni würde das umstrittene Antihomosexuellen-Gesetz nicht unterschreiben. Bei aller Kritik, die dem diktatorisch herrschenden Präsidenten Ugandas gebührt, in diesem Fall hatte er scheinbar keine Wahl. Nur ein einziger Abgeordnete im Parlament des ostafrikanischen Staates stimmte dagegen. Der Druck konservativer Kräfte in Uganda ist riesig.

Samuel Ganafa hat Angst um sein Leben.

Samuel Ganafa hat Angst um sein Leben.

(Foto: Nicole Macheroux-Denault)

"Ich sehe eine Person, die um einen Ausgleich ringt", sagt Ganafa, der Gründer der Schwulenhilfe Spectrum in Kampala und schaut dem Präsidenten direkt in die Augen. Natürlich nur auf dem Porträt, das im Büro der Schwulenorganisation hängt. Museveni muss überall hängen, das ist Pflicht in Uganda. "Der Druck war zu groß, die Kräfte der religiösen und Kulturorganisationen einfach zu stark", murmelt Samuel Ganafa und schüttelt den Kopf und nickt dem Präsidenten zu. "Diese Kampagne war sehr gut finanziert. Wir hatten keine Chance." Das Geld kam nicht nur aus Uganda, da sind sich hier alle sicher. US finanzierte evangelistische Kirchen stehen im Verdacht ordentlich investiert zu haben.

Einen Monat nach Musevenis Unterschrift ist das Büro von Spectrum verwaist. Alle Programme zur Unterstützung der LGBTQI+ Gemeinde sind eingestellt. Und Samuel bangt wie alle in Uganda öffentlich bekannten Homosexuellen um sein Leben. Er wurde schon einmal verhaftet. Die Anklage: Unnatürlicher Geschlechtsverkehr. Das war Jahre bevor es dieses drakonische Gesetz gab. Damals kam er auf Kaution frei. Heute drohen ihm 15 Jahre Haft.

Kaum noch Hoffnung

"Ein Spitzel hat der Vermieterin unseres Büros gesteckt, dass sie Zitat: Schwule in ihrem Haus hat", sagt Samuel Ganafa und zeigt auf die gepackten Kisten im Bürogang. Sie bringen alle Akten an sichere Orte. Die Namen, die Informationen darin könnten für Betroffene schreckliche Folgen haben, sollten sie in die Hände der Polizei fallen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei hier auftaucht. Die Vermieterin hat keine andere Wahl als Spectrum und Samuel anzuzeigen. Sonst macht sie sich selbst strafbar. "Zu Hause verschärfe ich jetzt auch die Sicherheitsvorkehrungen." Zweimal wurde Samuel Ganafas Haus von einem wütenden Mob gestürmt. "Sie haben laut geschrien, ich sei ein verdammter Schwuler". Samuel Ganafa schaut auf den Boden. Er ist über sechzig, war Zeit seines Lebens ein extrem mutiger und überzeugter Aktivist. Jetzt verliert er die Hoffnung. "Ich habe nie daran gedacht, Asyl zu beantragen. Aber jetzt bin ich so weit, dass ich sage: Wenn ich irgendwie nach Kenia, Tansania oder ein anderes Land flüchten kann, dann geh ich. Das ist alles zu viel."

Der lebendigen queeren Szene in Uganda wird der Sauerstoff zum Atmen genommen. Nach nur einem Monat ist der gesellschaftliche Schaden schon riesig. Kreative, engagierte und gebildete Mitglieder der Gesellschaft werden von Denunzianten, Erpressern und Schlägern aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Würde das Gesetz heute abgeschafft, es bliebe ein negatives Sentiment, das nach jahrelangen Diskussionen über Queere tief in die Matrix der ugandischen Gesellschaft eingewoben ist.

Nur noch wenige safe places

Gabrielle hat bereits ihren Job verloren.

Gabrielle hat bereits ihren Job verloren.

(Foto: Nicole Macheroux-Denault)

"Einige meiner Freunde haben Selbstmordgedanken", sagt Gabrielle. Die 23 jährige Transfrau versteckt sich in einem der zahlreichen sogenannten Safehouses für Queere. "Es ist ein schrecklicher Moment, wenn man nicht einmal weiß, ob die Person neben Dir Dein Feind ist. Uganda ist zur Löwenhöhle mutiert. Jeden Moment können wir gefressen werden."

Gabrielle lebt mit über 20 anderen Transgendermännern und -frauen sowie einigen Schwulen und Lesben in einem von Mauern umgebenen Haus in Kampala. Sechs Leute schlafen in den kleinen Zimmern. Manchmal zwei auf einer Matratze. Täglich bitten neue, verzweifelte Männer und Frauen darum aufgenommen zu werden. Lebensmittel werden online bestellt. Die meisten Bewohner waren seit Wochen nicht mehr draußen. Zu groß ist die Angst angegriffen zu werden.

"Ich habe noch viel zu viel Power in mir, um den ganzen Tag hier im Bett zu liegen", sagt Gabrielle. Vor dem Gesetz war sie in einer Kirchengemeinde für Queere aktiv. "Wir haben dort viel diskutiert", sagt Gabrielle. "Wir haben lautstark unsere Rechte verteidigt. Aber ich weiß nicht, ob ich bereit bin dafür zu sterben." Gabrielles Chef im Restaurant hat ihr, einen Tag nachdem Präsident Museveni das Gesetz unterschrieb, gekündigt. Vorher war alles in Ordnung. Natürlich wusste er, dass Gabrielle queer ist.

Mark hat in einer Agentur für mobiles Geld gearbeitet. Auch ihm wurde gekündigt. "Ein Kollege hat mich erpresst." Eines Abends gingen die beiden Männer aus, der Kollege ging auf Mark ein, schien Interesse an ihm zu haben. Als Mark den ersten Schritt machte, reagierte der Kollege empört. "Am folgenden Tag verlangte er 150.000 Shilling von mir, damit er niemandem erzählt, dass ich schwul bin", erzählt Marc. Das sind knapp 50 Euro. Viel Geld für Mark, der ablehnte zu zahlen. Der Kollege steckte dem Chef, dass Mark schwul ist. "Ich wurde zum Gespräch gebeten und mein Chef sagte, er könne mich nicht länger beschäftigen. Ich sei eine Gefahr für andere Mitarbeiter."

Wenige Tage später wurde Mark die Wohnung gekündigt. Der Vermieter sagte, Nachbarn seien besorgt, er gefährde ihre Kinder. Von einem Tag auf den anderen fiel der junge Mann aus einem geregelten Leben ins Nichts. "Es macht mich fertig. Ich bin in einem Alter, in dem man die Energie hat zu arbeiten und die eigene Zukunft zu gestalten", sagt Mark. "Jetzt habe ich keinen Job, keine Wohnung. Meine Eltern wollen nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich bin eine Person ohne Hoffnung."

Verstoß gegen die Verfassung

Inzwischen wurden drei verschiedene Klagen gegen das Antihomosexuellen-Gesetz eingereicht. Sie beklagen die blanke Verletzung von Menschenrechten und verlangen die Rücknahme des Gesetzes. In einer ersten Stellungnahme hat der ugandische Generalstaatsanwalt letzte Woche die Vorwürfe zurückgewiesen. "Jetzt warten wir auf einen Gerichtstermin", sagt Samuel Ganafa. "Die Anwälte sagen uns, alle Teile des Gesetzes verstossen gegen unsere Verfassung. Wir sind optimistisch, dass es aufgehoben wird." Doch das könnte Jahre dauern. In der Zwischenzeit bemühen sich die Anwälte der Aktivisten eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Aber auch das kann dauern.

Im Safehouse vergeht die Zeit langsam und die Probleme werden grösser. Ruthra Kabega ist der Chef hier. Ein Transmann mit viel Mut und Herz. Das Verhältnis mit dem Vermieter ist gut. "Er weiß, was ich bin", erzählt Ruthra Kabega. "Er hat mir gesagt, es ist in Ordnung, aber wir sollen uns still verhalten. Dann hat er die Miete von 200 auf 500 US Dollar erhöht."

Ohne Unterstützung von privaten Spendern aus den USA könnte Ruthra Kabega die Miete für das Safehouse nicht bezahlen. Er organisiert das Essen, die Medikamente und macht die Regeln. Keine Dating-Apps, kein Streit, Respekt. Und bitte nur raus gehen, wenn wirklich nötig. "Vor kurzem wurden einige unserer Bewohner in Gewahrsam genommen", erzählt Kabega. Er ist an dem Abend zur Polizeistation gegangen, hat allen Mut zusammengenommen. "Einer der Polizisten fragte: Bist Du ein Mann oder eine Frau?". Dann zwangen sie Ruthra Kabega sich auszuziehen. Splitternackt. "Es war schrecklich! Der einer Polizist sagte, die ist ne Frau, aber die will man nicht haben." Ruthra Kabega hat den Polizisten Geld gegeben. Sie haben es verlangt. Danach wurden die MitbewohnerInnen frei gelassen. "Da ist etwas in meinem Kopf kaputt gegangen", sagt Ruthra Kabega. Die Tränen kann er kaum unterdrücken.

Vielen Patienten unerreichbar

Viele Patientinnen und Patienten trauen sich nicht mehr zu Jude Isabirye.

Viele Patientinnen und Patienten trauen sich nicht mehr zu Jude Isabirye.

(Foto: Nicole Macheroux-Denault)

Der mentale Schmerz, der hier entsteht ist unermesslich. Die physischen Folgen sind nicht minder erschreckend. "Die Lage in unserer Klinik hat sich im vergangenen Monat drastisch verändert", sagt Jude Isabirye. Der Assistenzarzt der Eddwaliro Clinic in Kampala schlägt Alarm. Seit Inkraftreten des neuen Gesetzes ist die Zahl der Patienten um 60 bis 65 Prozent gesunken. Eddwaliro ist ein Mitglieder-basierter medizinischer Dienst. Ein Großteil der Mitglieder kommen aus der LGBTQI+ Community.

"Sie haben schlichtweg Angst herzukommen, Angst gebrandmarkt zu werden", sagt Jude Isabirye. Das kleine Team der Klinik hat versucht Patienten anzurufen, besonders diejenigen die chronisch krank sind und unbedingt ihre Medikamente abholen müssten. Darunter sind auch zahlreiche HIV-Patienten. Das Aussetzen von antiretroviralen Medikamenten führt zu Resistenzen und im schlimmsten Fall dem Versagen der Therapie. "Wir erreichen viele Patienten nicht mehr. Aus Sicherheitsgründen haben sie ihre Telefonnummern geändert. Wir dachten, ok wir gehen persönlich zu ihnen. Wir haben die Adressen. Aber die meisten sind umgezogen". Zudem ist ein persönlicher Besuch auffällig und gefährlich für Patient und Mediziner. Jude Isabiryes grösste Sorge gilt den Patientenakten. Ein Blick hinein würde der Polizei Beweise liefern, die für eine Verurteilung reichen. Besonders heikel sind Informationen über den HIV Status der Patienten. Laut dem neuen Gesetz droht die Todesstrafe, wenn bei gleichgeschlechtlichem Sex eine andere Person mit HIV infiziert wird. Rechtlich unklar ist weiterhin, ob medizinisches Personal auch verpflichtet ist, den Behörden queere Menschen zu melden. Der Eid des Hippokrates sollte theoretisch über dem Recht stehen. Aber was ist schon sicher in diesen Tagen in Uganda?

"Wir sind hier, um allen Ugandern zu helfen, ohne zu diskriminieren", sagt Jude Isabirye. "Deshalb liebe ich meinen Job. Aber ich bin auch Mensch. Ich habe Angst um meine Sicherheit. Hier ist jetzt alles möglich." Der hochqualifizierte Ugander hat zum ersten Mal in seinem Leben einen Pass beantragt. Nächste Woche, sagt er, kann er ihn abholen. "Falls sich eine Gelegenheit ergibt, bin ich bereit das Land zu verlassen."

"Ja bitte. Sofort!", sagt auch Gabrielle. "Wenn mir jemand jetzt und hier sagt, lass uns gehen, dann packe ich nicht einmal eine Tasche. Ich habe als Aktivist versucht Uganda sicherer zu machen, aber diese Reise ist zu lang und mein Leben nun zu unsicher."

Kanada bietet LGBTQI+ Verfolgten aus Uganda Asyl. Aktivisten in Deutschland versuchen verzweifelt, die Bundesregierung zu aktiver Unterstützung der hoffnungslo gewordenen Männer und Frauen zu bewegen. Berlin hat den ugandischen Botschafter einberufen und den Unmut der Bundesregierung über das neue Gesetz geäußert. Doch viel mehr als diplomatischen Protest bietet Berlin offiziell bisher nicht. Uganda ist ein strategisch wichtiger Player im politisch volatilen Ostafrika. Und es ist das Land, das weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Nun flüchten die eigenen Bürger wegen massiver Menschenrechtsverletzungen. Die neu gegründete deutsche Queere Nothilfe Uganda sammelt Spenden, um betroffene Menschen in Uganda zu unterstützen. Dem Auswärtigen Amt wurde eine Liste mit besonders gefährdeten Aktivisten in Uganda übergeben. Samuel Ganafas Name steht auch darauf. Er wartet auf Antwort. Er ist nicht allein.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen