"Macht der Verbraucher" Seehofer will die Agrar-Wende
19.04.2008, 08:29 UhrDie Nahrungsmittelkrise ruft immer mehr Politiker auf den Plan. Rufe nach einer grundlegenden Änderung der Agrarpolitik werden laut. Diesen Rufen hat sich jetzt auch Bundesverbraucherminister Horst Seehofer (CSU) angeschlossen. "Wir brauchen eine Renaissance der Landwirtschaft, einen Ausbau der Agrarproduktion in Deutschland, der gesamten EU und vor allem in den Entwicklungsländern", sagte Seehofer der "Bild am Sonntag".
"Wir haben in der EU 3,8 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen stillgelegt, um einen Überschuss bei Milch, Butter, Wein und Fleisch zu bekämpfen. Diese Flächen müssen möglichst rasch wieder genutzt werden. Wir müssen wieder erkennen, dass Agrarwirtschaft eine Frage von nationalem Interesse in jedem Land ist und kein Randthema." Lebensmittel kommen nicht aus dem Kochtopf, sie müssen im Stall und auf dem Acker produziert werden."
Macht der Verbraucher
Seehofer empfahl den Verbrauchern, von ihrer Macht Gebrauch zu machen. Der Minister: "Generell gibt es im Lebensmittelbereich nach wie vor einen sehr scharfen Wettbewerb. Qualität hat einerseits ihren Preis, andererseits haben wir gerade in Deutschland ein großes Angebot mit breiter Preisspanne. Dem Verbraucher kann man nur raten, die Preise deshalb genau zu vergleichen. Ich gehe daher davon aus, dass sich das Preisniveau bei den Lebensmitteln in absehbarer Zeit wieder einpendeln wird." Zu Panik bestehe kein Anlass.
Hilfe immer schwieriger
Auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) schlägt Alarm: Aufgrund der akuten Nahrungsmittelkrise fehlen der weltgrößten Hilfsorganisation gut 750 Millionen Dollar. Erst jüngst war das Welternährungsprogramm von einem zusätzlichen Bedarf von 500 Millionen Dollar ausgegangen.
"Der Bedarf hat sich um weitere 50 Prozent erhöht", sagte Ralf Südhoff, Leiter des Berliner WFP-Büros, gegenüber n-tv.de. Wenn nicht bald zusätzliche Mittel flössen, könne die UN-Organisation nicht mehr wie vorgesehen 73 Millionen Hungernde in aller Welt unterstützen. Südhoff appelliert daher an die Staatengemeinschaft, dringend mehr Geld zur Bekämpfung des Hungers bereitzustellen. "Damit nicht noch Millionen weitere Menschen unter Hunger leiden, müssen wir die Hilfsmittel unbedingt aufstocken", so Südhoff. Die Kosten für Nahrungsmittel, aber auch für Transporte seien erneut gestiegen. Wegen der Preisexplosion steht bereits eine Hilfsaktion vor dem Aus.
850 Millionen Menschen hungern
Weltweit sind mehr als 850 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Durch die starke Verteuerung der Lebensmittelpreise wird diese Zahl noch weiter steigen. Dem "Internation Food Policy Research Insitute" in Washington zufolge sind bei einem Prozent Preissteigerung bei Lebensmitteln zusätzliche 16 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Bereits jetzt sterben täglich 25.000 Menschen an den Folgen des Hungers.
Arme Länder besonders betroffen
Derweil drohen wegen der drastisch steigenden Lebensmittelpreise in Lateinamerika und der Karibik Millionen Menschen in extreme Armut abzurutschen. Die Verteuerung der Hauptnahrungsmittel in der Region wie Getreide, Weizen und Reis habe sich so sehr beschleunigt, dass staatliche Eingriffe dringend nötig seien, erklärte die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Eclac). Bereits ein Anstieg der Lebensmittelpreise von 15 Prozent bedeute, dass weitere 15,7 Millionen Menschen in der Region in extreme Armut abrutschten.
Zuletzt hatten auch der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank vor politischen und sozialen Gefahren des Preisanstiegs weltweit gewarnt. In mehreren Entwicklungsländern kam es zu Unruhen. In Haiti führte dies zum Sturz der Regierung.
Armut auch in Deutschland
Die Verbraucherorganisation Foodwatch geht von bis zu 20 Millionen Menschen in Deutschland aus, die zu wenig Geld haben, um sich ausreichend und ausgewogen ernähren zu können. Laut Armutsbericht der Bundesregierung fielen 2003 rund 11 Millionen Menschen unter das Armutsrisiko. Geldmangel ist nach Ansicht von Foodwatch eine Hauptursache für Fehlernährung.
Quelle: ntv.de