Politik

Humanitäre Katastrophe droht Separatisten schlagen Waffenruhe vor

Die ukrainischen Truppen haben zuletzt den Ring um Donezk immer enger gezogen.

Die ukrainischen Truppen haben zuletzt den Ring um Donezk immer enger gezogen.

(Foto: REUTERS)

In den umkämpften Hochburgen der Separatisten in der Ostukraine werden die Lebensumstände immer schwieriger. Daher erklären sich die Rebellen zu einer humanitären Feuerpause bereit. Für Aufregung sorgt eine angeblich verhinderte russische Invasion - getarnt als Hilfskonvoi.

Die Separatisten in der Ukraine haben ihre Bereitschaft zu einem Waffenstillstand erklärt. Damit könne eine humanitäre Katastrophe im umkämpften Osten des Landes verhindert werden, erklärte Rebellenführer Alexander Sachartschenko. Er warnte, dass es in der Rebellenhochburg Donezk schon jetzt an Lebensmitteln, Medikamenten, Wasser und Elektrizität mangele. Gleichzeitig warnte Sachartschenko, dass die Rebellen bereit zur Verteidigung der Millionenstadt seien, falls diese von ukrainischen Truppen gestürmt werden sollte.

Die Separatisten der selbsternannten "Volksrepublik Lugansk" kontrollieren immer noch Gebiete im ukrainisch-russischen Grenzbereich.

Die Separatisten der selbsternannten "Volksrepublik Lugansk" kontrollieren immer noch Gebiete im ukrainisch-russischen Grenzbereich.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Die ukrainische Regierung war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Sie hat ihre Bereitschaft zu einer Waffenruhe bislang davon abhängig gemacht, dass die Rebellen ihre Waffen abgeben. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach mit seinem US-Kollegen John Kerry über humanitäre Hilfe für die Ostukraine. Er forderte offiziellen Angaben zufolge "dringende Schritte, um eine drohende humanitäre Katastrophe" zu verhindern. Kerry habe bestätigt, dass eine solche Mission in Absprache mit den Behörden in Kiew in Vorbereitung sei.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist bereit, einen Hilfskonvoi in die ostukrainische Rebellenhochburg Lugansk zu lassen. Bedingung dafür sei jedoch, dass die Mission von einem internationalen Team ohne militärische Begleitung geführt werde, sagte er nach Angaben seines Büros in einem Telefongespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Demnach führt er bereits Gespräche mit dem Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).

Zuvor verhinderte die Ukraine nach eigenen Angaben den Einmarsch russischer Soldaten, die als Friedenstruppen getarnt gewesen sein sollen. Ein langer russischer Militärkonvoi sei am Freitag angeblich in Abstimmung mit dem Roten Kreuz auf die Grenze zugefahren, sagte ein Berater Poroschenkos. Er sei "von russischen Truppen und Militärausrüstung" begleitet worden und "sollte offenbar die Grenze überqueren, um einen ausgewachsenen Konflikt zu provozieren". Nach einem Appell der Regierung in Kiew an die Führung in Moskau habe die Wagenkolonne angehalten.

Merkel telefoniert mit Obama

Russlands Außenministerium wies die Äußerungen als Märchen zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte: "Es gab keine Versuche russischer Truppen, auf ukrainisches Territorium zu gelangen." Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rijabkow warf den USA "anti-russische Hysterie" vor. Die Ukraine hat in den vergangenen Monaten bereits mehrfach derartige Vorwürfe erhoben, die sich nicht von unabhängiger Seite bestätigen ließen. Vom Roten Kreuz war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

US-Präsident Barack Obama und Merkel warnten Russland vor einer Intervention unter dem Vorwand humanitärer Hilfe. In einem Telefonat stimmten beide darin überein, "dass jede russische Intervention, auch zu angeblichem humanitären Zweck, ohne die förmliche, ausdrückliche Zustimmung und Genehmigung der Regierung der Ukraine unakzeptabel ist (...) und zu zusätzlichen Konsequenzen führen würde".

USA warnen Moskau

Die USA hatten Russland bereits am Freitag gewarnt, man werde jeden Versuch zur Lieferung humanitärer Hilfe in die Ukraine als Invasion betrachten. "Da die Ukraine internationalen Hilfsorganisationen Zugang zu ihrem Territorium gewährt hat, besteht kein Grund, weshalb Russland Hilfsgüter liefern sollte", sagte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, bei einer Krisensitzung des UN-Sicherheitsrates in New York.

Auf dem Maidan wurden die letzten Barrikaden abgebaut - Kiews Bürgermeister Klitschko packte mit an.

Auf dem Maidan wurden die letzten Barrikaden abgebaut - Kiews Bürgermeister Klitschko packte mit an.

(Foto: dpa)

Daher wäre jeder weitere einseitige Intervention Russlands auf ukrainischem Staatsgebiet völlig inakzeptabel und zutiefst alarmierend. "Dringende humanitäre Hilfe sollte von internationalen Organisationen gestellt werden, die die Expertise, Erfahrung und Unabhängigkeit dafür mitbringen", sagte Power. "Sie sollte nicht von Russland gegeben werden."

Russland hatte die Entsendung eines Hilfskonvois zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Ukraine angeboten. Das Land machte die Offerte am Dienstag in einer Sicherheitsratssitzung, die es wegen der humanitären Lage im Nachbarstaat gefordert hatte. Die Nato erklärte dazu, das Bündnis teile die Sorgen, dass Russland unter dem Vorwand eines humanitären oder friedenssichernden Einsatzes Truppen in die Ostukraine entsenden könnte.

Nach Angaben der Nato hat die russische Führung im Grenzgebiet etwa 20.000 Soldaten zusammengezogen. Dort hielt Russland in der abgelaufenen Woche auch große Manöver ab. Am Freitag hatte das Verteidigungsministerium in Moskau erklärt, die Manöver seien beendet und die beteiligten Einheiten in ihre Kasernen zurückgekehrt.

Tote bei Kämpfen gegen Separatisten

In der ostukrainischen Rebellenhochburg Donezk waren derweil erneut Explosionen zu hören. Nach Angaben der Stadtverwaltung schlugen Granaten im Viertel Kjiwski sowie im Südosten der Stadt ein, wo ein Gebäude getroffen und ein Zivilist getötet worden seien. In Lugansk töteten Granatsplitter ein sechsjähriges Mädchen, wie die Behörden mitteilten. Sechs weitere Zivilisten wurden verletzt. Hunderttausende seien weiter ohne Strom und Wasser. "Die Lage bleibt kritisch", sagte ein Stadtsprecher.

Die Regierungstruppen versuchen seit Wochen, die Großstädte Donezk und Lugansk von den Separatisten zurückzuerobern. Wegen der Kämpfe ruht auch die Arbeit am Absturzort des malaysischen Flugzeugs MH-17. "Die Front führt direkt über das Trümmerfeld. Die Situation ist wie Treibsand - die Lage ändert sich stündlich", sagte der Vizechef des OSZE-Einsatzes, Alexander Hug, in Wien.

In der Nacht mussten die Streitkräfte erneut Verluste in den eigenen Reihen hinnehmen, als sie von ihren Gegnern beschossen wurden. Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine sprach von 13 getöteten Soldaten innerhalb von 24 Stunden, nachdem die Armee bereits am Freitag 15 Todesopfer in den eigenen Reihen beklagt hatte.

In der Hauptstadt Kiew kam es zu Tumulten auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz. Dort räumten Stadtangestellte mithilfe von Anwohnern Zelte und Barrikaden ab, mit denen Demonstranten seit fast sechs Monaten den Maidan blockieren. Da sich die Aktivisten den Ordnungskräften entgegenstellten, kam es zu Schlägereien, außerdem wurden Reifen in Brand gesetzt. Bürgermeister Vitali Klitschko rief dazu auf, die nach dem Machtwechsel in Kiew nicht länger benötigten Barrikaden abzuräumen.

Quelle: ntv.de, mli/rts/AFP/dpa

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