EU erhöht den Druck Seuchen breiten sich aus
13.05.2008, 19:29 UhrHilfsorganisationen mit einheimischen Mitarbeitern dringen mehr als eine Woche nach dem verheerenden Zyklon in Birma allmählich in die entlegenen Regionen des Katastrophengebietes vor. Zu einem Zentrum für die Einsätze entwickelt sich die schwer zerstörte Hafenstadt LaButta, wo der Malteser Hilfsdienst in einem verlassenen Haus inzwischen Behelfskliniken eingerichtet hat.
Deutschland wird die Hilfe für die Opfer der Wirbelsturm-Katastrophe nach Angaben des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Günter Gloser (SPD), von zwei auf vier Millionen Euro verdoppeln.
Opferzahlen erneut erhöht
Die birmanischen Behörden haben die offizielle Zahl der Opfer derweil erneut erhöht. Wie das staatliche Fernsehen berichtete, wurden mindestens 34.273 Menschen getötet. Weitere 27.838 gälten als vermisst, hieß es. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen könnte die tatsächliche Zahl der Todesopfer zwischen 60.000 und 100.000 liegen.
Nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sind weniger als ein Drittel der mehr als 1,5 Millionen Überlebenden des verheerenden Zyklons versorgt worden. Und selbst die rund 270.000 Opfer, denen man habe helfen können, hätten nur das Allernötigste erhalten.
Erste Ruhr-Fälle
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind im Katastrophengebiet die ersten Ruhr-Fälle aufgetreten. Cholera sei dagegen noch nicht ausgebrochen. "Wir arbeiten eng mit dem birmanischen Gesundheitsministerium zusammen", teilte der Regionaldirektor für Südostasien, Samlee Plianbangchang, mit. "Die Lage in LaButta ist sehr, sehr dramatisch", sagte Birke Herzbruch von Malteser International in Rangun. Durchfallerkrankungen seien ein großes Problem. Heftige Niederschläge erschweren die Situation.
Viele Rot-Kreuz-Helfer sind durch den Zyklon obdachlos geworden und leisten trotzdem unermüdlich Hilfe, berichtete Bridget Gardner vom Internationalen Roten Kreuz in Genf nach ihrer Rückkehr aus LaButta. "Jeweils vier oder fünf Helfer kümmern sich pro Tag um bis zu 200 Menschen. Und sie haben kein Heim mehr, in dem sie sich nach ihrer schweren Arbeit ausruhen könnten."
Ausländische Helfer nicht erwünscht
Die Staatspresse als Sprachrohr der Militärjunta machte noch einmal deutlich, dass ausländische Helfer im Land nicht erwünscht sind. Die Verteilung der Hilfe im Land übernehme das Militär, sofern die Spender keine einheimischen Mitarbeiter im Land haben, hieß es. Die Junta hat inzwischen begonnen, Lieferungen aus dem Ausland anzunehmen.
Im Falle einer weiteren Verzögerung internationaler Hilfseinsätze für Birma befürchten die Vereinten Nationen eine dramatische Verschlechterung der Lage im Zyklon-Gebiet. Nur eine konzertierte und rasche Hilfsaktion könne eine zweite Katastrophe verhindern, sagte eine Sprecherin des zuständigen UN-Büros in Genf. Eine Luft- oder Seebrücke zur Einfuhr von Hilfsgütern müsse nun schnellstmöglich errichtet werden.
Eine Million braucht Hilfe
"Wir bringen ihnen das, was sie am meisten brauchen, Nahrungsmittel, Zeltplanen, Moskitonetze, Kochsets oder Kleidung", berichtete Rot-Kreuz-Mitarbeiter Bernd Schell. Er rechne damit, dass etwa eine Million Menschen dringend Hilfe benötigen.
Die Hilfsorganisation World Vision hat in den Katastrophengebieten 37 Betreuungszentren für Kinder eingerichtet. Dort sollen Mädchen und Jungen Schutz finden, die ihre Eltern durch den Zyklon verloren haben, berichtete das Hilfswerk in Friedrichsdorf bei Frankfurt.
"Wir können ins Delta kommen"
In Rangun trafen Medikamente und medizinische Ausrüstung zur Behandlung von 80.000 Menschen ein. Im besonders betroffenen Irrawaddy-Delta begann die Welthungerhilfe mit der Verteilung von Hilfsgütern. "Wir können ins Delta kommen", sagte Generalsekretär Hans-Joachim Preuß in Berlin. Allerdings seien dort zunächst einheimische Helfer tätig und keine internationalen Mitarbeiter.
Ein aus zwölf Mitgliedern bestehendes Team zu Wasseraufbereitung des Technischen Hilfswerks machte sich derweil von Bangkok auf dem Weg nach Rangun. Ihre Ausrüstung soll am Mittwoch eintreffen. Ärzte ohne Grenzen ist dazu übergegangen, an Ort und Stelle neue Mitarbeiter anzuheuern. Sie sollen helfen, die eingetroffenen Hilfsgüter per Lastwagen zu den Bedürftigen zu bringen.
EU erhöht Druck auf Junta
Die Europäische Union hat die Militärmachthaber in Birma unterdessen aufgefordert, das Land unverzüglich für internationale Katastrophenhelfer zu öffnen. Bei einem Krisentreffen erinnerten die für humanitäre Hilfe zuständigen EU-Minister in Brüssel die Regierung in Birma an deren Verantwortung, die eigene Bevölkerung zu schützen. Zudem hoffen sie darauf, dass der UN-Sicherheitsrat sich auf Drängen Frankreichs und Großbritanniens mit dem Verhalten der Regierung befasst und diese auffordert, Hilfe und Helfer zuzulassen.
"Die UN-Charta eröffnet einige Wege, wenn die Probleme nicht gelöst werden können, damit humanitäre Hilfe in ein Katastrophenland kommt, dessen Politiker die Ankunft von schneller und gut organisierter Hilfe nicht zulassen", sagte EU-Chefdiplomat Javier Solana. "Das Wichtigste ist, die humanitäre Hilfe dorthin zu bekommen, weil viele normale Menschen leiden. Wir müssen alle Mittel nutzen, um ihnen zu helfen."
Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sagte, der UN-Sicherheitsrat müsse von der birmanischen Regierung fordern, dass diese ihre Pflicht, die eigene Bevölkerung zu schützen, wahrnehme.
Kein militärisches Eingreifen
Wieczorek-Zeul schloss ein militärisches Eingreifen zur Erzwingung der Hilfe aus und wies den Begriff eines "humanitären Erstschlags" zurück. "Es geht nicht um Zwangsmaßnahmen. Das hat nichts mit Sanktionen oder militärischen Drohungen zu tun", sagte sie. "Wenn eine Regierung nicht zulässt, dass geholfen werden kann, dann gibt es eine Verpflichtung, die Bevölkerung zu schützen."
Sie zeigte sich skeptisch zu Vorschlägen, für den Fall einer Blockade im Sicherheitsrat Hilfsgüter und Lebensmittel auch ohne Genehmigung der birmanischen Behörden von Flugzeugen abzuwerfen. "Es ist wichtig, dass Menschen behandelt und Wunden versorgt werden. Das ist nicht durch das Abwerfen von Lebensmitteln zu erledigen, sondern es braucht den direkten Zugang."
EU-Kommissar fliegt nach Birma
Der für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissar Louis Michel reiste noch am Abend nach Bangkok (Thailand), um von dort weiter nach Birma zu gelangen. Michel sagte, er wolle den birmanischen Machthabern klarmachen, wie wichtig die Öffnung für internationale Helfer sei. "Wenn das nicht bald geschieht, dann gibt es eine Katastrophe nach der Katastrophe", sagte er. Michel stellte eine Erhöhung der EU-Hilfe von zunächst zwei Millionen Euro um weitere fünf Millionen Euro für Nahrungsmittelhilfe in Aussicht.
Quelle: ntv.de