Die Geschichte von Merkel und den dummen Deutschen "Sie hält uns für plemm plemm"
02.08.2013, 09:37 Uhr
Kanzlerin Angela Merkel: Laut Autor Bollmann hält sie vor allem die westdeutschen für hysterisch, verwöhnt und geschichtsvergessen.
(Foto: REUTERS)
Ein Journalist unterstellt Kanzlerin Merkel, ihre Bürger mitunter zu verachten. Und schreibt ein Buch darüber. In Berlin stellt er es vor - ausgerechnet mit dem Oppositionellen schlechthin, Grünen-Chef Trittin. Zum stumpfen Kanzlerinnen-Schimpfexzess kommt es trotzdem nicht.
Ralph Bollmann scheint es kaum abwarten zu können: Bei der Präsentation seines Buches "Die Deutschen: Angela Merkel und wir" platzt seine krachendste Thesen schon nach ein paar Minuten aus ihm heraus. "Ich glaube, dass sie uns für ein bisschen plemm plemm hält."
Kaum zwei Meter neben dem Mann, der 13 Jahre lang Parlamentskorrespondent der "Tageszeitung" war, sitzt Grünen-Chef Jürgen Trittin und schmunzelt. Bollmann hat ausgerechnet ihn zur Buchvorstellung eingeladen. Nicht zu vergessen: In ein paar Wochen ist Bundestagswahl.
Kommt jetzt der medienwirksame Rundumschlag gegen die CDU-Chefin? In Szene gesetzt von einem Autoren, der heute zwar für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung arbeitet, der den Großteil seines Berufslebens aber für eine Klientel geschrieben hat, die mindestens unionsskeptisch ist? Und das ganze orchestriert von einem Politiker, der mit Begeisterung jede Gelegenheit nutzt, um der CDU ein paar Prozentpunkte zu stibitzen? So stumpf, wie es zunächst erscheint, ist der Auftritt nicht. Einhellig erzählen Bollmann und Trittin die Geschichte einer Kanzlerin, die ihre Bürger mitunter für dumm hält. Doch sie ziehen gänzlich unterschiedliche Konsequenzen daraus.
Die Deutschen identifizieren sich mit Merkel
Bollmanns Buch ist keine klassische Biografie. Es ist vielmehr eine Doppelbiografie. Merkel auf der einen und wir, die Deutschen, auf der anderen Seite.
Bollmanns Fazit zu den Deutschen: Sie erkennen sich in ihrer Kanzlerin wieder. "Nicht immer ganz bewusst, aber sie entspricht dem Klischee, das wir oft von uns haben", erklärt er. Als Beispiele nennt Bollmann ihre Nüchternheit, ihre Sparsamkeit und Reserviertheit. In seinem Buch heißt es dazu noch: ihre "kühle Arroganz, die sich auf eigentümliche Weise mit einem ungelenken, bisweilen fast schüchternen Auftreten paart". In diesem sich Wiedererkennen macht Bollmann den Schlüssel zum Verständnis von Merkels Popularität aus.
Sein Schluss zur Kanzlerin erscheint da fast paradox: Während sich die Mehrzahl der Deutschen mit ihr identifiziert, teilt sie laut Bollmann in vielerlei Hinsicht nicht die Meinung ihrer Bürger. Beispiele dafür gebe es zur Genüge: Sie setzte noch auf Atomkraft, als viele sie längst ablehnten. Sie war für einen Bundeswehreinsatz im Irak, obwohl die meisten sich raushalten wollten. Und sie hofierte die Regierung der Vereinigten Staaten, als sich immer mehr Deutsche angesichts der Skandale im Kampf gegen den Terrorismus enttäuscht von Washington abwendeten.
Die Kanzlerin und die Komikernation
Sie hält die Deutschen bei Themen wie diesen für "hysterisch, verwöhnt und geschichtsvergessen", davon zeigt sich Bollmann überzeugt. Und dem Autor zufolge verdichtet sich diese Haltung vor allem in einem Satz Merkels, der ihr im vermeintlich geschützten Kreis einer CDU-Vorstandssitzung entfuhr, als die Deutschen gerade hitzig über ein mögliches Verbot der Beschneidung von Jungen debattierten. Merkel war gegen das Verbot und sagte: "Wir machen uns ja sonst zur Komikernation."
Doch obwohl Merkel die Deutschen laut Bollmann mitunter verachtet, passt sie sich trotzdem an. Heute lehnt sie militärische Interventionen mit Verve ab (Libyen-Einsatz). Der Atomausstieg ist beschlossen ("Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen."). Und ihre Rhetorik in Sachen USA wird immer kritischer ("In Deutschland und Europa gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts.").
Viele sprechen da von politischem Opportunismus. Trittin gehört dazu. Seine Grünen hätten sich "zur Aufgabe gemacht, ihre innere Überzeugung zur Mehrheitsmeinung zu machen." Als Beispiel nennt er den Kampf seiner Partei für den Atomausstieg. Merkel nennt er "verlogen".
Machtpragmatismus statt Opportunismus
Bollmann zieht dagegen einen gänzlich anderen Schluss. Das überrascht angesichts der Weise, wie er die Buchpräsentation in Szene gesetzt hat. Von einer einhelligen Schimpftirade zumindest, auf die sich die Medien in der Ruhe der parlamentarischen Sommerpause stürzen könnten, kann keine Rede sein.
Bei seinem Auftriff in Berlin und in seinem Buch nimmt Bollmann Merkel letztlich in Schutz - trotz seiner plakativen Verachtungsthese. Statt von politischem Opportunismus spricht er bei Merkels Volten wider Willen nämlich von "Machtpragmatismus", der der Demokratie dient.
Bollmann sagt: Es sei nicht die Aufgabe einer Bundeskanzlerin, ihren persönlichen Überzeugungen zum Durchbruch zu verhelfen. Eine These, die er mit einem Zitat aus Sophokles Antigone zu belegen versucht: "Wer nur nach seinem Sinn regiert, herrscht bald allein in einem leeren Land", heißt es da.
Quelle: ntv.de