Politik

Helferin über die Arbeit in Zaatari "Sie hielten mich für eine Missionarin"

Wejdan Jarrah: "Humanitäre Hilfe ist mein Leben."

Wejdan Jarrah: "Humanitäre Hilfe ist mein Leben."

Die Helfer internationaler Organisationen sind jeden Tag mit dem Elend und dem Mangel der Flüchtlinge im Zaatari-Lager konfrontiert. Wenn es schlecht läuft, wird die Arbeit sogar zum Spießrutenlauf. Eine Mitarbeiterin des Lutherischen Weltbundes hat mit n-tv.de gesprochen.

n-tv.de: Sie arbeiten seit einem Jahr in Zaatari. Wie hat sich das Camp seither verändert?

Wejdan Jarrah: Es ist ein Riesenunterschied zum vergangenen Jahr! Vor allem die Organisation ist besser geworden, seit nicht mehr die Jordanische Wohltätigkeitsorganisation JHCO hier das Sagen hat, sondern die nationale Flüchtlingsbehörde SRAD und das UNHCR.

Welche Probleme gab es?

Es wurde viel geschmuggelt, weil die Leute nicht ordentlich versorgt waren. Hier leben 85.000 Menschen und es sind schon 100.000 Container geliefert worden. Doch ein Teil wurde illegal weiterverkauft und nun haben wir immer noch 1500 Familien, die in Zelten wohnen müssen. Jetzt ist das System besser: jeder, der einen Container in Empfang nimmt, wird mit einem Augenscanner gespeichert.

Wie ist die Stimmung bei den Campbewohnern?

Sie ist jetzt jedenfalls besser als kurz nach Eröffnung des Camps. Vor einem Jahr gab es ständig Auseinandersetzungen zwischen den Gemeindeanführern und der Campleitung. Letzten Winter gab es regelrechte Aufstände. Die Menschen haben erbärmlich gefroren, weil es zu wenig Decken und Öfen gab. Es war der härteste Winter seit Jahren im Nahen Osten, tagelang lag sogar Schnee. Und damals lebten noch 5000 Familien in Zelten.

Wie sind die Aussichten für diesen Winter? Es ist ja schon jetzt richtig kalt, sobald die Sonne untergegangen ist.

Es fehlen auch in diesem Jahr warme Kleider, Decken und Öfen. Außerdem reicht bei vielen das ausgegebene Gas zum Heizen nicht. Viele Familien kommen auch mit den Lebensmittelmarken nicht hin. Die Rationen werden nicht nach Anzahl der Personen, sondern pro Familie ausgegeben. Bei großen Familien reicht es dann nicht.

Sie arbeiten als Muslima für eine christliche Organisation, den Lutherischen Weltbund (LWB). Führt das nicht zu Irritationen bei den fast ausschließlich muslimischen Campbewohnern?

Die Friedensoase bietet verschiedene Aktivitäten für Kinder und Jugendliche an.

Die Friedensoase bietet verschiedene Aktivitäten für Kinder und Jugendliche an.

(Foto: Nora Schareika)

Ganz am Anfang gab es tatsächlich eine Kampagne gegen mich, angestiftet von ein paar Jugendlichen. Sie warfen mir vor, ich sei eine Christin, die im Gewand einer Muslimin evangelisieren wolle. Einmal wurde ich mit Steinen beworfen und konnte mich eine Zeitlang nur mit Schutz im Camp bewegen. Das hat sich zum Glück alles geklärt.

Warum tun Sie sich das trotz solcher Erfahrungen an?

Humanitäre Hilfe ist mein Leben. Es gibt mir spirituelle Kraft. Ich habe durch meine Arbeit beim LWB sehr viel über die christliche Idee von Frieden und Respekt gelernt. Und ich lerne jeden Tag auch etwas über mich. Letztlich geht es darum, Menschen menschlich zu behandeln.

Der LWB hat sich in Zaatari auf die psychosoziale Arbeit mit Jugendlichen spezialisiert und seinen Campus Friedensoase genannt. Woher kommt der Name?

Als wir die Friedensoase eingerichtet haben, haben wir die Jugendlichen dieses Distrikts gefragt, worauf sie Lust hätten. Das Angebot richtet sich ausschließlich nach den Wünschen der Jugendlichen – sonst würde keiner die Kurse besuchen. Es gibt Näh- und Kosmetikkurse, aber auch Computerlehrgänge und Fußballtraining. In dieser Zeit sagte ein Junge zu uns: "Wir hocken hier mitten in der Wüste und kommen aus dem Krieg – wir brauchen eine Oase des Friedens."

Sie üben als Psychologin hauptsächlich mit Jugendlichen Traumabewältigung und Konfliktmanagement. Haben Sie eine persönliche Lieblings-Erfolgsgeschichte?

Es gab einen 15-jährigen Jungen, Ali. Er weigerte sich, in die Schule zu gehen und schmuggelte Drogen ins Lager. Wir konnten ihn überzeugen, an unseren Angeboten teilzunehmen. Jetzt geht er in die Schule, schmuggelt nicht mehr und hat sogar Freunde von sich mitgebracht. Nachdem sich die Geschichte von Ali herumgesprochen hatte, kamen sogar Eltern zu uns und baten darum, uns um ihre halbwüchsigen Kinder zu kümmern.

Wie ist die Situation in Aufnahmegemeinden wie Ihrer Heimatstadt Irbid?

Anfangs waren die Jordanier wahnsinnig gastfreundlich und räumten noch den letzten Keller leer, um Flüchtlinge aufzunehmen. Leider hat sich die Stimmung gedreht. Viele Jordanier sind frustriert, weil sie meinen, die internationalen Organisationen hülfen nur den Syrern, nicht aber denen, die sie aufnehmen. Das stimmt zwar so nicht, doch die Wahrnehmung ist so. Tatsächlich sind aber durch die Flüchtlingswelle die Preise enorm gestiegen und die Schulen sind restlos überfüllt. An einem Pult sitzen mitunter vier Kinder – so kann kein vernünftiger Unterricht stattfinden.

Mit Wejdan Jarrah sprach Nora Schareika

Hilfsprogramm des Lutherischen Weltbundes in Jordanien

Im Flüchtlingslager Zaatari

Peace Oasis für Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren

  • Trainings für Konfliktbewältigung, Kommunikation, Förderung des Selbstbewusstseins
  • Freizeitangebote: Kunst (Musik, Zeichnen, Tanzen, Schreiben) und Sport (z.B. Fußball)
  • Lehrgänge: Nähen, Computer, Friseurhandwerk und Kosmetik
  • Langfristiges Ziel: Erweiterung auf andere Distrikte des Lagers

Wintervorbereitungen

  • Von Dezember bis März können die Temperaturen in der Wüste auf um die null Grad sinken. Das ist besonders gefährlich für Menschen in Zelten und einfachsten Behausungen.
  • 15.000 Familien sind nach Angaben von Hilfsorganisationen nicht ausreichend für den Winter ausgestattet.
  • Allen Hilfsorganisationen fehlt dieses Jahr das Geld für Winterprogramme. Der UNHCR beziffert den Fehlbetrag auf 58 Mio. US-Dollar.
  • Der Lutherische Weltbund (LWB) will 1500 syrische Familien mit Heizöfen, Gas, Decken und Winterkleidung ausstatten. Die Kosten belaufen sich auf 75 Euro pro Familie, insgesamt 125.000 Euro.

In den jordanischen Aufnahmegemeinden

  • Instandsetzung von bestehenden Schulen und Konstruktion von neuen Klassenräumen, um der sprunghaft angestiegenen Schülerzahl gerecht zu werden.
  • Ausbau von Behausungen für syrische Flüchtlinge. Ziel ist, außerhalb der Lager menschenwürdige Wohnbedingungen herzustellen und diese winterfest zu machen. Flüchtlinge nutzen Ställe, Keller, Baustellen, Hütten, Zelte als Unterkünfte. Diese haben keine Sanitäranlagen und sind nicht witterungs- und winterfest. Jordanische Vermieter verlangen zudem oft überhöhte "Mieten". Der LWB finanziert die Instandsetzung solcher Unterkünfte und handelt sichere Wohnbedingungen und Mietverträge mit den Vermietern aus.
  • Verteilung von Lebensmittelkarten für Flüchtlinge und bedürftige jordanische Familien, auch um Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen abzubauen.

Spendenkonto des LWB (Deutsches Nationalkomitee):
IBAN: DE21 5206 0410 0000 4195 40
BIC: GENO DE F1 EK1
Stichwort: Jordanien
www.dnk-lwb.de/spenden

 

Quelle: ntv.de

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