Grüne mit Linksdrall Sieg ohne Verlierer
24.11.2007, 08:10 UhrDie Grünen haben den Streit in der Sozialpolitik mit einem Kompromiss beigelegt. Nach einer betont sachlichen Debatte entschied sich die Mehrheit der Delegierten auf dem Parteitag in Nürnberg für das Modell des Parteivorstands. Es sieht eine Grundsicherung von Bedürftigen und eine Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge um rund 70 auf 420 Euro im Monat vor.
Der vom baden-württembergischen Landesverband eingebrachte Gegenentwurf eines Grundeinkommens für alle wurde abgelehnt. Einzelne Punkte davon wurden aber übernommen. Das Konzept eines Grundeinkommens wird in fast allen Parteien in Deutschland debattiert.
Gegen Sanktionen
Befürworter des Grundeinkommens begrüßten, dass der Antrag des Bundesvorstands Sanktionen für Empfänger von Arbeitslosengeld II ausdrücklich eine Absage erteilte. "Der Grundbedarf muss jederzeit gewährleistet sein und darf künftig nicht durch Sanktionen angetastet werden", heißt es in dem Antrag der Parteispitze. "Scheinangebote mit dem Zweck der so genannten 'Überprüfung der Arbeitsbereitschaft' lehnen wir ab. Auf keinen Fall darf es einen Sanktionsautomatismus geben."
Auffällig war der unaufgeregte Tonfall der Debatte. Redner beider Seiten betonten, dass es bei der Abstimmung nicht um eine Machtprobe gehe. Niemand wolle den Rücktritt der Grünen-Chefs Reinhard Bütikofer und Claudia Roth, sagte ein Grundeinkommens-Befürworter gegenüber n-tv.de.
Bütikofer selbst dementierte bei n-tv, dass er und Roth im Falle einer Niederlage zurücktreten würden. Dies sei eine Erfindung der Medien. Ein Votum für ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre für Bütikofer und Roth die dritte Parteitagsniederlage in Folge gewesen.
"Ach Schatz, bleib doch zu Hause"
Die Delegierten forderte Bütikofer zu einer Entscheidung ohne Rücksicht auf mögliche Auswirkungen für die Parteispitze auf. Die Botschaft von Nürnberg müsse sein: "Die Grünen nehmen sich die Probleme von heute als Sofortprogramm vor." Der Parteitag werde die Diskussion über die Zukunft der sozialen Sicherung nicht beenden, aber er solle eine klare Richtung angeben. Die Entscheidung müsse "visionär sein und ehrgeizig, aber auf jeden Fall muss sie auch politisch praxistauglich sein".
Nur gelegentlich blitzte in der Debatte Polemik durch. "Ach Schatz, bleib doch zu Hause. Du hast das bedingungslose Grundeinkommen und dann machst du es uns ein bisschen nett", persiflierte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt mögliche Auswirkungen eines Grundeinkommens.
"Für eine gute Idee ist es nie zu früh"
"Geld für alle ist eine Provokation", gab der Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick zu. "Aber für eine gute Idee ist es nie zu früh." Thomas Poreski vom Grünen-Landesverband Baden-Württemberg argumentierte, mit dem Grundeinkommen werde Armut effektiv reduziert. "Arme und Langzeitarbeitslose werden mit dem Grundeinkommen besser gestellt", so Poreski. Gleichzeitig sei der Arbeitsanreiz wesentlich höher als bei den bedürftigkeitsgeprüften Modellen.
Mit dem nun beschlossenen Antrag setzen sich die Grünen für massive Investitionen in Bildung, Kultur und Kinderbetreuung ein. Die Gesamtkosten werden auf etwa 60 Milliarden Euro im Jahr veranschlagt. Der Vorstand hält dieses Modell für gerechter, weil es sozial Schwache gezielter fördere. Das bedingungslose Grundeinkommen war von Gegnern auf mehr als 1.000 Milliarden Euro im Jahr beziffert worden. Die Befürworter hingegen sagten, ein Grundeinkommen würde mit einer Einkommensteuerreform finanziert und den öffentlichen Haushalt nicht belasten.
Die Partei will mit dem jetzigen Beschluss auch um eine sogenannte Brücken-Existenzsicherung kämpfen. Damit soll allen Bürgern ermöglicht werden, mit finanzieller Unterstützung zeitlich begrenzt aus ihren Berufen aussteigen zu können. Ziel ist, Spielraum für Fortbildung, Familienzeit, ehrenamtliches Engagement oder ähnliches zu ermöglichen. Wie lange eine solche Auszeit vom Erwerbsleben dauern und wie hoch die staatliche "materielle Absicherung" sein soll, wird nicht angegeben.
Quelle: ntv.de