Politik

Was tun im Katastrophenfall? Sirenenersatz gesucht

Kurz-Lang-Kurz aus der Sirene bedeutete "Radio einschalten, Nachrichten hören". Heute sind die meisten Alarmsirenen abgebaut, der Unterhalt war zu teuer. Ein wirksameres Alarmsystem wurde noch nicht entwickelt.

Die Sturmflut-Sirene in Büsum ist 46 Jahre alt.

Die Sturmflut-Sirene in Büsum ist 46 Jahre alt.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wie bekomme ich im Katastrophenfall nachts meine Bürger aus den Federn? Diese Frage treibt derzeit Innenpolitiker der Länder um. Massen-SMS, Katastrophen-Wecker, satellitengestütztes Warnsystem, Polizei-Lautsprecherwagen, Kirchenglocken - das Potpourri an Möglichkeiten ist reichhaltig. Eine bundesweite Regelung gibt es aber nicht. In den 90er Jahren wurden viele der 80.000 grauen, lärmenden Sirenen von Schul- und Behördendächern abgebaut. "Unbrauchbar", "nach Ende des Kalten Krieges überflüssig", "im Unterhalt zu teuer", hieß es damals. "Im Nachhinein ist man immer schlauer", sagt Thomas Giebeler vom schleswig-holsteinischen Innenministerium.

Nur im Umkreis von Atomkraft- und Chemiewerken, an der Küste in Sturmflut-Gebieten und vereinzelt in den Städten gibt es diese Alarmanlagen noch. Kurz-Lang-Kurz: Dieses Sirenengeheul bedeutete lange Zeit "Radio einschalten, Nachrichten hören". Nach Angaben des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sind noch 35.000 Sirenen im Dienst. Der Bund ist im Kriegsfall dafür zuständig, die Bürger zu alarmieren, der Katastrophenschutz ist Ländersache.

Warnsysteme wegrationalisiert und vergessen

Der Bund überließ es nach Ende des Ost-West-Konflikts den Ländern, Sirenen weiter zu betreiben. Da vielen Kommunen der Unterhalt zu teuer war, wurden die Melder eingemottet. Laut BBK erreichten die Sirenen 80 Prozent der Bevölkerung. Unter veränderten internationalen Bedingungen nach dem 11. September 2001 und durch Katastrophen wie das Elbe-Hochwasser 2002, als Städte nachts von den Fluten überrascht wurden, sind Politiker ins Grübeln geraten. Der Arbeitskreis V der Innenministerkonferenz hat mehrere Vorschläge ausgelotet. Auch ein Wiederaufbau der Sirenen wird erwogen. Kosten: 130 Millionen Euro.

"Durch unser föderales System und eine Heterogenität der Ideen haben wir in Deutschland ein Warnunwesen geschaffen. Überall gelten andere Warnsysteme, zudem gibt es ein Bevölkerungsbildungsproblem beim Katastrophenschutz", sagt Katastrophenforscher Willi Streitz von der Universität Kiel. "Es gibt zahlreiche Vorschläge, die jetzt ergebnisoffen diskutiert werden", erklärt BBK-Sprecherin Ursula Fuchs.

Fokus auf komplizierte Technik

In Bundesländern, wo Rauchmelder Pflicht sind, könnte ein Chip in die Melder eingebaut werden. Dieser wird über Zeitzeichensender angepeilt und könnte im Bedarfsfall Alarm auslösen. "Natürlich könnte es eine Verwechselung mit einem Feueralarm geben, deshalb müsste dies mit Infokampagnen begleitet werden", sagt Fuchs. Sie verweist darauf, dass es im BBK seit einigen Jahren ein satellitengestütztes Warnsystem gibt. Dies kann 170 angeschlossene Rundfunksender unmittelbar alarmieren - es ist aber nur wirksam, wenn Radio, Computer oder TV angeschaltet sind. Streitz kritisiert, dass zu viel über komplizierte technische Lösungen nachgedacht werde. Diese würden schon bei Stromausfällen nicht mehr funktionieren.

Eine andere Möglichkeit ist ein Radiowecker, den die Flensburger Firma 2wcom entwickelt hat. Auf der UKW-Frequenz werden von Behörden ausgesandte Warnungen wie "Schwerer Störfall im AKW Krümmel - bitte Fenster und Türen geschlossen halten" gesendet und im Radio-Display angezeigt. Auch wenn das Radio ausgeschaltet ist, wird sofort ein deutlich wahrnehmbares Signal ausgelöst. Die Firma hat 50.000 dieser Frühwarnsysteme an die schwedische Regierung verkauft, die sie an Bewohner in der Nähe von Atomkraftwerken ausgegeben hat.

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) hat auf seinem Schreibtisch zu Testzwecken ein solches Radio stehen. Es kostet zurzeit 50 Euro. "Der Wecker ist an sich eine gute Idee. Nur ist das Land finanziell nicht in der Lage, jeden Haushalt damit auszurüsten", erteilt Carstensen dieser Lösung eine Absage. Thomas Giebeler vom Innenministerium meint: "Die Sirene ist nach wie vor die wirksamste Methode, um die Menschen im Katastrophenfall bis in den hintersten Winkel der Republik aus den Betten zu bekommen."

Quelle: ntv.de, Georg Ismar, dpa

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