Politik

Schüler als "sexuelle Dienstleister" Skandal an UNESCO-Modellschule

Nach diversen Missbrauchs-Fällen in katholischen Einrichtungen kommt ein weiterer Skandal ans Tageslicht – diesmal an einer der bekanntesten deutschen Reformschulen. Auch die private Odenwaldschule in Hessen hat den massiven Missbrauch von Schülern jahrelang vertuscht. Kurienkardinal Walter Kasper fordern inzwischen eine "ernsthafte Reinigung".

An der einst als pädagogisches Vorzeigeprojekt konzipierten Lehranstalt soll es zu massivem sexuellen Mißbrauch von Schülern durch Lehrer gekommen sein.

An der einst als pädagogisches Vorzeigeprojekt konzipierten Lehranstalt soll es zu massivem sexuellen Mißbrauch von Schülern durch Lehrer gekommen sein.

(Foto: dpa)

Ein weiterer Skandal um den sexuellen Missbrauch von Schülern bahnt sich an einer Reformschule im hessischen Odenwald an. Nach Recherchen der "Frankfurter Rundschau" könnte es an der Odenwaldschule (OSO), eine der bekanntesten deutschen Reformschulen, bis zu 100 Opfer gegeben haben. 2005 hatte das Wirtschaftsmagazin "Capital" die Schule zur besten hessischen Schule mit gymnasialer Oberstufe gekürt.

Der Vorstand der Odenwaldschule, einer UNESCO-Modellschule mit gut 200 Schülern in Heppenheim, hat nach Informationen der Zeitung "den jahrelangen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Pädagogen" eingeräumt. Die Schulleiterin Margarita Kaufmann sagte der FR: "Es ist für mich eine Tatsache, dass hier mindestens seit 1971 sexueller Missbrauch stattgefunden hat." In einer Erklärung auf der Internetseite der Schule schreibt Kaufmann, das Ausmaß des Missbrauchs sei größer als bisher bekannt, die Schule sei "durch die Berichte der Opfer und das Ausmaß der Verbrechen massiv erschüttert und irritiert".

Schüler als "sexuelle Dienstleister"

Ehemalige Schüler berichteten der Zeitung davon, wie sie von Lehrern regelmäßig durch das Streicheln der Genitalien geweckt, wie sie als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden.

Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen, schreibt die FR weiter. Lehrkräfte hätten Schutzbefohlene geschlagen, mit Drogen und Alkohol versorgt oder beim gemeinschaftlichen Missbrauch eines Mädchens nicht eingegriffen.

Erste Vorwürfe schon vor zehn Jahren

Erste Vorwürfe gegen den langjährigen Rektor Gerold Becker, der die OSO von 1971 bis 1985 leitete, waren der Zeitung zufolge vor gut zehn Jahren publik geworden. Seinerzeit berichteten ehemalige Schüler von massiven Übergriffen Beckers gegen 13-Jährige. Die Vorwürfe wurden aber nur halbherzig aufgegriffen. "Es war eine Unterlassung und ein grober Fehler, dass die Schule damals nicht nachgeforscht hat", sagt Kaufmann, die seit 2007 im Amt ist.

Sie selbst sei im vergangenen Jahr erneut von Altschülern angesprochen worden, die fürchteten, die Schule werde sich auch bei der 100-Jahr-Feier im April 2010 wieder ihrer Verantwortung entziehen. Daraufhin habe sie etliche Gespräche mit Ex-Schülern geführt und dabei erst "das wahre Ausmaß" des Skandals erahnt. Kaufmann geht von mindestens drei Lehrern aus, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben sollen. Von Zeugen habe sie "die Namen von 20 Opfern gehört". Nach FR-Recherchen gehen die betroffenen ehemaligen Schüler von 50 bis 100 Missbrauchsopfern aus.

Kurienkardinal fordert "Reinigung"

Die Schuldigen müssen verurteilt, die Opfer entschädigt werden, fordert Kardinal Walter Kasper, Kurienkardinal und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Die Schuldigen müssen verurteilt, die Opfer entschädigt werden, fordert Kardinal Walter Kasper, Kurienkardinal und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

(Foto: dpa)

Der Missbrauch-Skandal in der katholischen Kirche macht nach Ansicht des deutschen Kurienkardinals Walter Kasper kirchenintern eine "ernsthafte Reinigung" dringend erforderlich. Es sei gut, dass Papst Benedikt XVI. Klarheit schaffen wolle und "Null- Toleranz" denen gegenüber verlange, die sich mit so schwerer Schuld beschmutzten, sagte Kasper der römischen Tageszeitung "La Repubblica". Nach Ansicht von Bayerns Justizministerin Beate Merk birgt der Skandal ernste Gefahren für das Verhältnis von Staat und Kirche. Die CSU-Politikerin mahnte vor allem eine bessere Zusammenarbeit der Kirche mit der Justiz an. "Es gibt Fälle, in denen es nicht so läuft, wie es laufen sollte", sagte Merk der "Süddeutschen Zeitung".

Die bayerische Justizministerin Merk sieht die Kirche in der Pflicht.

Die bayerische Justizministerin Merk sieht die Kirche in der Pflicht.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wenn sich herausstelle, dass die Kirche der Staatsanwaltschaft bewusst Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch verschwiegen habe, dann werde das Verhältnis von Staat und Kirche beschädigt. Sie forderte zudem, die Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch auf 30 Jahre zu erweitern. Die jetzigen Verjährungsfristen seien viel zu kurz.

Justizministerium prüft Fristen und Runden Tisch

Im Bundesjustizministerium wird inzwischen eine Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist für Ansprüche auf Schadensersatz bei sexuellem Missbrauch geprüft. Sie liegt bei drei Jahren. Bleiben soll dagegen die strafrechtliche Verjährungsfrist von 10 Jahren (in besonders schweren Fällen erst nach 20 Jahren) ab dem 18 Lebensjahr.

Auch die Einberufung eines Runden Tisches hält das Ministerium für dringender denn je. Wenn sich alle Beteiligten darauf verständigten, dann könne dabei auch über Entschädigungen bereits verjährter Fälle geredet werden, sagte Staatssekretär Max Stadler (FDP). 

In der Bundesregierung ist noch nicht entschieden, wer die Federführung bei einem Runden Tisch zu den Kindesmisshandlungen übernehmen soll. Auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) unterstützt die Initiative. Sie hatte davor gewarnt, nur die katholische Kirche an den Pranger zu stellen.

"Ich halte den Vorschlag für überlegenswert und bin gesprächsbereit", sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zu einer Einberufung eines Runden Tisches. Das Problem sei viel verbreiteter in der Gesellschaft als bisher bekannt. "Wir brauchen eine offene Debatte über geeignete Maßnahmen und Initiativen ­ auch um zu verhindern, dass nach Abebben des aktuellen Skandals das Thema wieder in der Versenkung verschwindet", sagte Nahles der Zeitschrift "Super Illu".

Am Freitag hatten Kirchenbeauftragte zahlreiche Details zu Missbrauchsfällen im oberbayerischen Kloster Ettal sowie bei den Regensburger Domspatzen bekanntgegeben.

Domspatzen in therapeutischer Behandlung

Im Skandal um sexuellen Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen gibt es einen konkreten Verdacht gegen zwei frühere leitende Geistliche des Knabenchors.

Im Skandal um sexuellen Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen gibt es einen konkreten Verdacht gegen zwei frühere leitende Geistliche des Knabenchors.

(Foto: dpa)

Mehrere frühere Regensburger Domspatzen, die sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt wurden, sind nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" bei Therapeuten im Münchner Raum in Behandlung. Ein Betroffener aus dem Allgäu habe von grausamen Ritualen im Internat Etterzhausen berichtet, einer Vorschule für jüngere Schüler, aus dem sich Regenburgs Domspatzen rekrutierten. Dort habe Ende der 1950er Jahre der Direktor, ein katholischer Priester, härteste Strafen verhängt. So habe er oft auch in seinen Privaträumen ein "Nacktprügeln" betrieben, bei dem sich die acht- bis neunjährigen Kinder entblößen mussten und Schläge mit der Hand bekamen.

Ratzinger hat nichts gewusst?

Der Regisseur und Komponist Franz Wittenbrink, der bis 1967 im Regensburger Internat der Domspatzen lebte, sprach dem Bericht zufolge von einem "ausgeklügelten System sadistischer Strafen verbunden mit sexueller Lust", das dort bestand. Der damalige Internatsdirektor habe sich "abends im Schlafsaal zwei, drei von uns Jungs ausgesucht, die er in seine Wohnung mitnahm". Dort habe es Rotwein gegeben und der Priester habe mit den Minderjährigen masturbiert. "Jeder wusste es", sagte Wittenbrink, ein Neffe des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel (CSU).

"Warum der Papstbruder Georg Ratzinger, der seit 1964 Domkapellmeister war, davon nichts mitbekommen haben soll, ist mir unerklärlich." In seinem Jahrgang habe ein Mitschüler kurz vor dem Abitur Selbstmord begangen.

Abtprimas Wolf sieht Konsequenzen nicht ein

Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" ist der oberste Benediktiner, Abtprimas Notker Wolf, verärgert über die Aktivitäten der Erzdiözese München und Freising nach den Missbrauchsfällen im Benediktinerkloster Ettal. Es müsse geklärt werden, "ob die Erzdiözese so mit einer Abtei umgehen kann, wie sie es jetzt tut, beispielsweise die Schließung der Schule anzudrohen, falls der Schulleiter nicht zurücktritt, ohne dass diesem das Geringste vorgeworfen werden kann", sagte Wolf.

Quelle: ntv.de, hdr/AFP/dpa

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