Bundesweite Nitrofen-Fahndung Skandal immer skandalöser
13.06.2002, 00:00 UhrNach der Zuspitzung des Nitrofen-Skandals in Mecklenburg-Vorpommern wird nun bundesweit nach verseuchtem Futter und belasteten Lebensmitteln gefahndet. Am Donnerstag waren nach neuen Funden mit Nitrofen verseuchter Futtermittel in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mehrere hundert landwirtschaftliche Betriebe gesperrt. Mecklenburg-Vorpommern sperrte nach jüngsten Meldungen rund 400 Betriebe.
Aus dem ehemaligen DDR-Pestizidlager im mecklenburgischen Malchin waren im vergangenen Dezember 72 Tonnen an das Futtermittelwerk FUGEMA geliefert und mit 6.000 Tonnen Getreide vermischt worden. Daraus sind nach Angaben der Behörden 50.000 Tonnen konventionelles Futtermittel für Schweine, Hennen und Rinder hergestellt und ausgeliefert worden.
"Dramatische Situation"
Der Nitrofen-Skandal hat die Landwirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns nach Ansicht von Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) in eine Krise gestürzt: "Es ist eine dramatische Situation." Von den gesperrten Betrieben könnten die ersten zum Wochenende wieder geöffnet werden.
In Brandenburg wurden 38 Agrarbetriebe wegen Nitrofen-Verdachts vorsorglich geschlossen. Von der Schließung sind Öko-Höfe und konventionelle Betriebe betroffen. In Niedersachsen sperrten die Behörden sechs, in Sachsen-Anhalt drei Betriebe.
Die Edeka AG (Hamburg) mit mehr als 10.000 Einzelhandelsgeschäften gab bekannt, dass keiner der gesperrten Betriebe Lieferant des Unternehmens sei. Die Supermarktkette Netto will von ihren Fleischlieferanten erneut Unbedenklichkeitserklärungen einholen. Netto betreibt 180 Geschäfte in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg.
Entwarnung in NRW
Bei einem südhessischen Großhändler sind in dieser Woche rund 200 Kilogramm Nitrofen belastete Ei-Produkte für Bäckereien sichergestellt worden. Rund 800 Kilogramm aus der Charge sind nach Behördenangaben bereits an die Verbraucher gegangen. Es habe aber keine Gesundheitsgefahr bestanden, da die Nitrofen-Belastung nur "leicht über dem Grenzwert " gelegen habe und die Ei-Produkte bei der Weiterverarbeitung zudem stark verdünnt worden seien.
In Nordrhein-Westfalen konnte hingegen Entwarnung gegeben werden. Entgegen vorherigen Annahmen seien doch keine FUGEMA-Lieferungen an zwei Futtermittelmakler in dem Bundesland gegangen, teilte das Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium mit.
Höhn: Kontrollen verstärken
Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) macht mangelnde Kontrollen mitverantwortlich für den Nitrofen-Skandal. Im ZDF sagte sie, es gebe einen "gesellschaftlichen Druck, Kontrollen abzubauen und der Wirtschaft zu vertrauen ". Dies habe Auswirkungen auf den Umfang der Kontrollen. Angesichts des geplanten Ausbaus der ökologischen Landwirtschaft seien aber mehr Kontrollen notwendig.
Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Gerd Sonnleitner, forderte die Futtermittelindustrie auf, zur Aufklärung des Nitrofen-Skandals beizutragen. Zugleich warf er Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) Versagen vor. "Künast hat ihr Ministerium und die ihr unterstellten Behörden nicht im Griff gehabt", sagte Sonnleitner. Daher müsse sie die politische Verantwortung für den Skandal übernehmen.
Der Deutsche Verband Tiernahrung (DVT) warnte vor einer "globalen Verunglimpfung" der Futtermittelhersteller. Verschiedene Politiker erweckten den Eindruck, es werde unverantwortlich gehandelt und "irgendetwas zusammengemischt". Dies sei nicht richtig. Die Produktion des Futters erfolge nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und mit dem Ziel einer optimalen Versorgung der Tiere.
Quelle: ntv.de