Politik

Spähprogramme-Enthüller auf der Flucht Snowden landet in Moskau

Die USA gehen davon aus, dass sich Hongkong an das 1998 vereinbarte Auslieferungsabkommen hält.

Die USA gehen davon aus, dass sich Hongkong an das 1998 vereinbarte Auslieferungsabkommen hält.

Während seiner spektakulären Flucht rund um die Welt erreicht der Prism-Enthüller Edward Snowden Moskau. Von Hongkong kommend möchte er weiter nach Lateinamerika reisen. Die US-Regierung fordert seine Auslieferung. Bei seiner Flucht bekommt er Hilfe von Wikileaks-Experten.

Der von den USA gesuchte Geheimdienstspezialist und Informant Edward Snowden ist an Bord einer Maschine der russischen Fluggesellschaft Aeroflot in Moskau gelandet. Das Flug mit der Nummer SU213 sei auf dem großen Hauptstadt-Airport Scheremetjewo gelandet, teilte der Flughafen am Sonntag mit. Die Passagiere landeten auf dem Terminal F. Russische Medien berichteten von zahlreichen Reportern in der Ankunftshalle.

Von dort werde er zu einem dritten Ziel reisen, berichtete die "South China Morning Post" auf ihrer Website. Laut russischer Medienberichte will er nach Lateinamerika weiterfliegen. So führe seine Route über die kubanische Hauptstadt Havanna nach Venezuela. Ob Venezuela das von den Wikileaks-Experten angesprochene Asylland ist, wurde nicht deutlich. Die USA haben Snowden wegen Spionage angeklagt und fordern seine Festnahme sowie seine Auslieferung.

Rechtsexperten von Wikileaks haben Snowden offenbar geholfen, in einem "demokratischen Land" politisches Asyl zu bekommen. Das verbreitete die Enthüllungsplattform im Kurznachrichtendienst Twitter. Auch habe Wikileaks bei seiner "sicheren Ausreise" aus Hongkong geholfen. Details wurden nicht genannt. Der Gründer der Enthüllungsplattform, Julian Assange, fand vor einem Jahr Zuflucht in der Londoner Botschaft Ecuadors und lebt seither dort.

USA spionieren China aus

Vor seiner erneuten Flucht hatte Snowden den nächsten Skandal enthüllt. Der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) soll Millionen chinesischer Mobilfunknachrichten sowie wichtige Datenübertragungsleitungen der Tsinghua-Universität in Peking ausspioniert haben. 2009 habe es auch Angriffe auf Computer von Pacnet in Hongkong gegeben, die seither aber eingestellt wurden, berichtete Snowden in einem Interview der Zeitung "South China Morning Post". Pacnet ist Betreiber eines der größten Glasfasernetze in der Asien-Pazifik-Region und wickelt auch Internetverkehr mit den USA ab. 

Mit den Angriffen auf die renommierte Tsinghua-Universität in Peking zielte der Abhördienst auf eines der sechs großen Netzwerke des Landes, das Bildungs- und Forschungsnetzwerk CERNET, das dort angesiedelt ist. Es war einst das erste Internet-Netzwerk in China und hat sich zum größten Forschungsnetz entwickelt. Bei dem jüngsten Angriff im Januar seien allein an einem Tag mindestens 63 Computer und Server der Universität gehackt worden, berichtete Snowden.

Der Abhördienst habe auch Mobilfunkanbieter in China angegriffen, um SMS-Kurznachrichten abzufangen, so Snowden weiter. Solche Kurznachrichten über Handy sind in China ein besonders beliebtes Kommunikationsmittel. Im vergangenen Jahr wurden nach offiziellen Angaben fast 900 Milliarden SMS verschickt. Zuvor hatte der Ex-Geheimdienstmitarbeiter schon enthüllt, dass auch die chinesische Universität in Hongkong angegriffen worden sei, die die Zentrale des Internetverkehrs in der Hafenmetropole ist.

USA verlangen Snowdens Auslieferung

Die mutmaßlichen US-Spähaktivitäten in China sind nun der dritte Skandal, den Snowden enthüllt. Er hatte im Mai den "Guardian" und die "Washington Post" über das Programm Prism informiert, mit dem der NSA die Daten von Internetkonzernen wie Google und Facebook absaugt. Erst am Wochenende hatte der "Guardian" unter Berufung auf Snowden über eine systematische Bespitzelung von Telefon- und Internetnutzern durch den britischen Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) berichtet. GCHQ soll ein noch viel umfangreicheres Abhörprogramm betreiben als die USA. Der Abhördienst könne täglich bis zu 600 Millionen Telefonverbindungen erfassen.

Angesichts jahrelanger Vorwürfe der USA, dass chinesische Hacker in Netzwerke und Computer in den USA eindringen, hatte die Regierung in Peking immer beteuert, dass China selbst Opfer großangelegter Computerspionage sei. Die Enthüllungen Snowdens stützten die chinesische Argumentation, weil plötzlich die USA als Täter darstünden, meinten Diplomaten in Peking.

Pekings amtliche Nachrichtenagentur Xinhua erhob in einem Kommentar schwere Vorwürfe gegen die USA. Die Enthüllungen zeigten, dass sich die USA, die sich lange als unschuldiges Opfer von Cyberattacken dargestellt hätten, als "größter Schurke unserer Zeit" entpuppt hätten, hieß es. Washington müsse reinen Tisch machen. "Es schuldet China und anderen Ländern, die es ausspioniert haben soll, eine Erklärung."

Berlin äußert sich zurückhaltend

Zum Bericht über die Datenüberwachung durch britische Behörden, der am Samstag veröffentlicht wurde, will die Bundesregierung vorerst keine Bewertung abgeben. "Die Bundesregierung nimmt den Zeitungsbericht sehr ernst. Sie wird der Angelegenheit nachgehen und zum gegebenen Zeitpunkt dazu Stellung nehmen", sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger reagierte dagegen alarmiert. "Die Vorwürfe gegen Großbritannien klingen nach einem Alptraum à la Hollywood", sagte die FDP-Politikerin in Berlin. "Die Aufklärung gehört sofort in die europäischen Institutionen."

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte der "Welt am Sonntag", die Regierung in London müsse ihre europäischen Partner umfassend und schnell unterrichten. "Wenn das berichtete Ausmaß der Datenüberwachung so stimmt, wäre dies nicht akzeptabel." Zur Abwehr terroristischer Gefahren seien zwar große Anstrengungen notwendig. "Auf der anderen Seite müssen die Rechte der Bürger gewahrt werden." Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte dem Blatt gar, der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertige keine flächendeckende Überwachung der gesamten Kommunikation.

Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Steffen Bockhahn, äußerte indes den Verdacht, dass die Bundesregierung mit ihren Geheimdiensten an dem Geschäft der Datenerfassung und des Datenaustausches beteiligt sei. "Es liegt die Vermutung nahe, dass sie andere Regierungen nicht besonders scharf kritisiert, weil sie Gleiches oder Ähnliches tut", sagte Bockhahn.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa/rts

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