Neue Pässe, neue Gesetze, neue Probleme So geht es nach dem Krim-Referendum weiter
17.03.2014, 09:51 Uhr
Putinfans auf dem Leninplatz in Simferopol.
(Foto: REUTERS)
Die Bewohner der Krim entscheiden sich in einem international umstrittenen Referendum für die Unabhängigkeit von der Ukraine. Sie streben den Beitritt zur Russischen Föderation an und bitten Moskau um Aufnahme. Dem Kontinent droht damit die erste Annexion seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Worauf müssen sich Krim und Ukraine, Russland und EU jetzt gefasst machen? Eine mögliche Chronologie.
Putin schafft Fakten
Vereinfachend gibt es jetzt zwei Handlungsstränge, einen russischen und einen der EU. Moskaus erster Schritt: Der Kreml wird die Grundlagen für die Aufnahme der Krim schaffen. Am 21. März tagt die Duma. Experten rechnen damit, dass das Parlament schon bei diesem Termin eine Gesetzesänderung verabschiedet, die die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation erleichtert. Hauptargument dabei ist der angeblich mangelhafte Schutz von Russen und russlandgesinnten Ausländern in der Ukraine und in Regionen ohne "effektive, souveräne Staatsmacht" im Allgemeinen. Nach der Parlamentsentscheidung ist es am Ende Präsident Wladimir Putin, der entscheidet, ob die Halbinsel Teil Russlands wird. Bisher deutet alles darauf hin, dass es dazu kommt.
Die Krim wird russisch
Es folgt ein Transformationsprozess, der nach Einschätzung von Rustam Temirgalijew, dem Vizeregierungschef der Krim, rund ein Jahr dauern wird. Justiz und Verwaltung übernehmen dabei russisches Recht. Durch Wahlen versucht Moskau, eine Führung der Halbinsel zu etablieren, die eine Legitimationsgrundlage hat und in das föderale System Russlands passt. Die Bewohner der Krim müssen Russisch als Amtssprache übernehmen und können einen russischen Pass bekommen. Der Rubel löst die Hrywnja als Währung ab. Urkainisches Staatseigentum fällt Moskau zu. Auch bei der Religion dürfte die "Russifizierung" kaum haltmachen: Der Patriarch der ukrainisch-orthodoxen Kirche rechnet mit einem Verbot seiner Institution auf der Krim. Kirchen und Verwaltungsgebäude fallen dann der russisch-orthodoxen Kirche zu.
Stufe zwei des Sanktionsplans greift
Für die EU verstoßen diese Entwicklungen gegen das Völkerrecht. Eine militärische Intervention schließt sie aus. Abgesehen davon setzt die Staatengemeinschaft deshalb aber alles daran, Russland zu bremsen. An diesem Montag treffen sich die EU-Außenminister. Es gilt als sicher, dass sie die zweite Stufe des drei-stufigen Sanktionsplans der Gemeinschaft umsetzen. Nach dem Stopp der Verhandlungen über Visaerleichterungen und ein Wirtschaftsabkommen folgen Kontensperrungen und Einreiseverbote für führende russische Politiker und Beamte. Unter den Betroffenen dürften zwar weder Präsident Putin noch Außenminister Sergej Lawrow sein. Schließlich will die Union noch mit ihnen verhandeln. Als sichere Kandidaten für die Sanktionsliste sind aber andere Regierungsmitglieder und Parlamentarier zu nennen. Hinzu dürften hochrangige Militärs, Geheimdienstler und die Führung der Krim kommen.
16. März ist eine Zäsur. Russland verschiebt Grenze nach Westen. Eiszeit. Mein Kommentar https://t.co/87worD9kYf #Krim #Putin @ntvde_Politik
— Dirk Emmerich (@DEmmerich) 16. März 2014
">Die EU bindet Kiew an sich
Um eigene Stärke zu demonstrieren und sicherzustellen, dass nicht weitere Teile der Ukraine, namentlich die russlandfreundlichen Provinzen im Osten des Landes, aufbegehren, wird die EU die Ukraine fester an sich binden. Schon am Freitag, am Rande des nächsten EU-Gipfels in Brüssel, werden die ukrainische Übergangsregierung und die Staatengemeinschaft den politischen Teil eines Assoziierungsabkommens unterzeichnen, ein bedeutender Schritt auf dem Weg Kiews zur EU-Mitgliedschaft. Der wirtschaftliche Teil, also ein Freihandelsabkommen, soll folgen.
Die EU greift zu ihrer schärfsten Waffe
Ein weiteres Druckmittel der Staatengemeinschaft ist die dritte Stufe ihres Sanktionsplans. Wortwörtlich ist von weiteren Schritten in "einer Reihe von Wirtschaftsbereichen" die Rede. Die EU hat die Mittel, Moskau in eine schwere Krise zu stürzen. Das wirtschaftlich ohnehin schon angeschlagene Land macht die Hälfte seiner Geschäfte mit EU-Staaten.
Die Zeiten des gemeinsamen Wohlstands sind in Gefahr
Wenn sich weder Russland noch die EU zu Kompromissen bereit erklären, wird sich das Zusammenleben in Europa deshalb maßgeblich verändern. Militärische Auseinandersetzungen sind allen Drohgebärden zum Trotz - die USA entsenden F16-Kampfjets nach Polen, Russland bringt Truppen an der Grenze zur Ukraine in Stellung - das unwahrscheinlichste Szenario. Der starke wirtschaftliche Austausch, der sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 bis in die östlichsten Zipfel des Kontinents ausbreitete, droht aber dem längst überwunden geglaubten Streben um Einflusszonen und Kulturkämpfen zum Opfer zu fallen.
Es gibt eine Reihe von Russlandexperten, die befürchten, dass sich Putin trotz aller Risiken nicht beirren lässt und die Krim in sein Reich aufnimmt. Und wie ein Beleg dafür kündigte der Präsident in der vergangenen Woche auch schon Gegenmaßnahmen auf EU-Sanktionen an. Aber nicht alle sind derart pessimistisch. Das Ende des Prinzips des gemeinsamen Wohlstands auf dem Kontinent ist ein Szenario, aber noch nicht programmiert. Kyryl Savin zumindest, der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, glaubt, dass sich Putin noch rechtzeitig auf die wirtschaftlichen Vorteile der Partnerschaft mit der EU besinnen wird. Ein Ausweg, bei dem er sein Gesicht wahren könnte, wäre dann, die Krim nicht zu annektieren, sondern lediglich in eine autonome Republik unter russischem Protektorat zu verwandeln.
Quelle: ntv.de