Politik

Streit um Impfstoff-Beschaffung Söder wechselt ins Lager der EU-Kritiker

Söder ist mit der Rolle der EU unzufrieden.

Söder ist mit der Rolle der EU unzufrieden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Bundeskanzlerin Merkel verteidigt weiter die gemeinsame Impfstoffbeschaffung der EU durch die Kommission. Sie steht damit zunehmend allein da. Nach Opposition und SPD attackiert auch CSU-Chef Söder das Werk der Kommissionspräsidentin von der Leyen.

Hätte die EU-Kommission mehr unternehmen können, um eine größere Impfstofflieferung ab der ersten Zulassung eines Vakzins sicherzustellen? Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte noch am Donnerstagabend im Interview mit ntv und RTL das Vorgehen unter Brüssels Ägide. "Ich finde, dass die Grundentscheidungen richtig waren." Es sei nicht erwiesen, dass die EU am Anfang mehr Impfstoff bekommen hätte, wenn sie mehr bezahlt hätte, sagte Merkel auf Nachfrage von RTL/ntv-Politikchef Nikolaus Blome. "Die Europäische Union hat ungefähr doppelt so viel Impfstoff bestellt, wie sie Einwohner hat. Das heißt, wir können alle zweimal geimpft werden, wenn die Bestellungen alle sich realisieren."

Ganz anders hört sich am selben Abend CSU-Chef und Bayern-Ministerpräsident Markus Söder an. "Das Verfahren und die Anwendung ist von vielen Fehleinschätzungen begleitet", sagt Söder im ZDF. Beispielhaft zählt Söder als Fehleinschätzung auf: "Wie schnell kommt ein Impfstoff? Welcher ist der erfolgreichste? Und auch die Tatsache, dass man da in einem internationalen Wettbewerb steht". Giftig merkt er an: "Ich glaube, dass das Verfahren irgendwann von europäischen Rechnungsprüfern als hervorragend beschrieben wird. Man habe sich an ein ganz normales Wirtschaftlichkeitsverfahren gehalten und so weiter. Aber das entspricht natürlich nicht dieser außerordentlichen Notsituation."

Von der Leyen räumt Versäumnisse ein

Verärgert ist Söder sichtlich, dass die zum Impfgipfel am Montagabend einbestellten Kommissionsvertreter keinerlei Selbstkritik erkennen ließen. "Fakt ist: Die Europäische Kommission hat in dem Gespräch gesagt, insgesamt war alles gut", während Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sehr wohl Versäumnisse eingeräumt hatte. "Deswegen glaube ich, kann man das jetzt so annehmen", sagte Söder, der bislang zugleich jede Kritik an Merkel unterlassen hatte, die Brüssel weiter die Stange hält.

"Wir hätten früher wissen müssen, dass es bei diesen neuen Verfahren zu Beginn eine Achterbahnfahrt geben wird, bevor man einen stabilen Prozess erreicht. Dafür kann man uns kritisieren", sagte von der Leyen. Die EU habe sich sehr stark auf die Entwicklung eines Vakzins konzentriert. "Rückblickend hätten wir stärker parallel über die Herausforderungen der Massenproduktion nachdenken müssen." Zudem hätte man besser kommunizieren können. Auf die Kritik, die EU habe Impfstoffe zu zögerlich bestellt, erwiderte von der Leyen, die EU sei mehr ein Tanker, während ein Land ein Schnellboot sein könne.

"Neue Lieferketten aufbauen, die Fertigung hochfahren: Das hätten wir früher machen können", räumte die CDU-Politikerin ein. Die EU ziehe ihre Lehren daraus und spreche bereits mit der Industrie über die Gefahr, dass bei Virus-Mutanten die bekannten Impfstoffe wenig nützen könnten. "Wir müssen die Forscher dann dabei unterstützen, die Vakzine sofort anzupassen, und wir müssen sicherstellen, dass wir die Fertigung einer zweiten Generation von Vakzinen hochfahren können. Wir müssen in neue Produktionskapazitäten investieren, im Wissen, dass es Monate dauert, bis sie voll einsatzfähig sind."

"Richtig scheiße gelaufen"

Im Koalitionsausschuss am Mittwoch hatte bereits Vize-Kanzler Olaf Scholz das Verfahren heftig kritisiert. Berichte wonach der SPD-Kanzlerkandidat gesagt habe, die Impfstoff-Bestellung sei "richtig scheiße gelaufen", dementierte die SPD-Spitze auf Nachfrage ausdrücklich nicht. SPD-Chefin Saskia Esken sagte über den Ausraster in "Guten Morgen Deutschland" bei RTL: "Tatsächlich muss man sagen: Olaf Scholz geht nicht oft auf die Art und Weise aus sich raus, da ist schon einiger Ärger zusammengekommen."

Scholz, der normalerweise eher beherrscht auftritt, ließ seinem Ärger demnach freien Lauf: "Was in Brüssel" mit der EU-Kommission und von der Leyen laufe, "sei die nächste Sauerei". Kanzlerin Angela Merkel soll den SPD-Politiker bei seinem Wutausbruch zunächst gewähren lassen haben, berichtet die "Bild"-Zeitung. Doch bei der direkten Attacke auf von der Leyen soll sie dann eingeschritten sein und die EU-Kommissionschefin verteidigt haben - so wie am Folgeabend im Interview mit ntv und RTL.

Quelle: ntv.de, shu

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