Politik

Rücktrittsforderung an Gysi Stasi-Streit im Bundestag

In einer selten heftigen und emotionalen Debatte im Bundestag haben Union, SPD, Grüne und FDP von Linke-Fraktionschef Gregor Gysi Konsequenzen wegen neuerlicher Stasi-Vorwürfe verlangt. Die Forderungen der Redner in einer Aktuellen Stunde im Parlament reichten von umfassender Aufklärung über Entschuldigung bis zu Amtsverzicht. Gysi wurde vorgeworfen, er habe als Anwalt in der DDR Mandanten an die Staatssicherheit verraten. Die Debatte war geprägt von persönlichen Angriffen gegen Gysi und wurde immer wieder von Zwischenrufen unterbrochen. Der Linke-Politiker, der überraschend selbst auftrat, bestritt energisch, Informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen zu sein.

In der neuen Debatte geht es um das Jahr 1979 und ein Treffen Gysis mit seinem damaligen Mandanten, dem DDR-Dissidenten Robert Havemann, und einem weiteren Regimekritiker. Die Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, sagte in der ARD, es gehe um "Unterlagen zu einem IM, und der kann nach Aktenlage nur Gregor Gysi gewesen sein". Inzwischen habe ihre Behörde Erkenntnisse, dass "nach diesen Unterlagen, die jetzt vorliegen, eine wissentliche und willentliche Unterrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit stattgefunden hat - und zwar durch Gregor Gysi über unter anderem Robert Havemann". Sie widersprach Aussagen Gysis, die Informationen in den Akten könnten möglicherweise ohne sein Zutun durch Abhöraktionen gewonnen worden sein.

Bereits vergangene Woche hatte sich Birthler im ZDF ähnlich geäußert. Gysi nahm dies zum Anlass, rechtliche Schritte gegen den Sender einzuleiten. Das ZDF bestätigte den Eingang eines "Unterlassungsbegehrens".

Forderung nach Rücktritt und Entschuldigung

Der CDU-Abgeordnete Thomas Strobl warf Gysi vor, seine Mandanten in gemeinster Weise an den Staat verraten zu haben. Das sei niederträchtig und eine "Schande für einen Rechtsanwalt". Und Havemann sei nicht sein einziger Mandant gewesen, den er an die Stasi verraten habe. Politiker von Union und SPD forderten Gysi auf, sein Amt als Fraktionschef niederzulegen. Stephan Mayer (CSU) sagte, er wolle Gysi nicht als Abgeordneten-Kollegen bezeichnen.

Christoph Waitz von der FDP sagte, Gysi solle sich bei den Opfern entschuldigen. Der SPD-Abgeordnete Stephan Hilsberg, einer der Gründer der SPD in der DDR, sagte, es sei unerträglich, wie Gysi die Öffentlichkeit belüge. Auch der Grünen-Parlamentarier Wolfgang Wieland sagte, Gysi halte ein Lügengebäude aufrecht.

Gysi stellt sich der Kritik

Gysi stellte sich der Kritik direkt. Seit Jahren versuchten Politiker anderer Parteien mit allen Mitteln, ihn als Person zu beschädigen, um seine Partei Die Linke zu treffen. "Vom Leben eines Anwalts in der DDR haben Sie schlicht und einfach keine Ahnung", warf er SPD und Union vor. "Die Staatssicherheit versuchte nicht einmal, mich anzuwerben." Gysi betonte, er habe im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den 1982 gestorbenen Havemann lediglich Gespräche mit dem Zentralkomitee der SED geführt. Er sprach von einem "traurigen Schauspiel" im Bundestag.

Vor der Sitzung hatte er erklärt: "Es gibt Leute, die wollen die Wahrheit nicht wahrhaben. Die wollen hören, dass ich sage, was ich für eine Sau gewesen bin. Aber das werden sie von mir nicht hören, weil es nicht stimmt."

Havemann-Sohn: Gysi handelte in Vaters Sinne

Havemanns Sohn Florian würdigte die Arbeit Gysis als Anwalt für seinen Vater. "Unabhängig von der Frage, ob Herr Gysi IM war, was ich nicht beurteilen kann, hat er im Sinne unseres Vaters gehandelt", sagte Havemann der "Mitteldeutschen Zeitung". "Unser Vater wollte über Gregor Gysi eine Verbindung zur Parteiführung herstellen. Das ist ihm gelungen. Ab dem Zeitpunkt, als er Anwalt unseres Vaters war, hat es keinen Prozess mehr gegeben."

Dass nun wieder Vorwürfe gegen Gysi erhoben würden, habe politische Gründe, die im Erstarken der Linken zu suchen seien, meinte Florian Havemann. Auch Gysi hielt den Fraktionen von Union und SPD vor, die Debatte im Bundestag über seine angeblichen Stasi-Verbindungen aus Verunsicherung über die Zustimmung in der Bevölkerung zu seiner Partei zu führen. "Sie sind verzweifelt über den Erfolg der Linken ... Ihre Hoffnung ist, dass ich rausgehe aus der Politik", sagte Gysi vor der Sitzung. Es gehe darum, ihn als Person "fertig zu machen", meinte Gysi. Auf diese Art und Weise sei er aber "nicht zu schaffen".

Bahro-Sohn: Sein Vater wäre Gysi beigesprungen

Der Sohn des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro, den Gysi ebenfalls verteidigt hatte, bezeichnete die Bundestagsdebatte als eine der schlechtesten Stunden der Demokratie. "Das war eine Tribunalveranstaltung, wie ich sie im Bundestag noch nicht gesehen habe", sagte Andrej Bahro der Deutschen Presse-Agentur dpa. Dass Gysi nur für seine Rede in den Bundestag gekommen sei und den Plenarsaal danach verlassen habe, sei seiner Gesundheit geschuldet: "Die jahrelange Jagd auf ihn hat ihn gesundheitlich ruiniert." Wären Gysis damalige Mandaten wie sein Vater nicht tot, "wären sie ihm jetzt ganz sicher beigesprungen". Rudolf Bahro starb 1997.

Lafontaine fordert Birthlers Absetzung

Linke-Chef Oskar Lafontaine forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Behördenchefin Birthler von ihrem Amt abzuziehen, weil sie es zur Bekämpfung der Linken missbrauche. Birthler ignoriere, dass erst 1980 geprüft worden sei, ob sich Gysi als IM überhaupt eigne und dies 1986 mit Nein beantwortet worden sei. Wer dennoch behaupte, Gysi sei 1979 als IM tätig gewesen, sei als Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde ungeeignet: Birthler "ist nicht in der Lage, ihr Amt objektiv und unparteiisch auszuüben".

Quelle: ntv.de

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